IPCC-Bericht verlangt Systemwandel

Im April wurde der 3. Teil des IPCC-Berichts des Weltklimarats veröffentlicht, der sich mit Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung beschäftigt. Die Wissenschaftler*innen fordern darin tiefgreifende Maßnahmen, die sie in vielen Bereichen als „Systemwechsel“ bezeichnen. Dabei geht es nicht nur um reine Klimaschutzmaßnahmen, sondern um ganze Wirtschaftsbereiche, die von Grund auf geändert werden müssen. 

Von Verena Saalmann, Müllheim

Noch ist es möglich, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Geht es jedoch weiter wie bisher, gibt es bald keine Möglichkeit mehr, das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Selbst um eine – für die Menschen mit massiven Folgen verbundene – Marke von zwei Grad Erwärmung einzuhalten, wären radikale Veränderungen nötig. „Jetzt oder nie“, erklärte Jim Skea vom Weltklimarat. Wobei „nie“ bedeuten würde, dass es immer wärmer wird, der Meeresspiegel steigt, mehr Arten sterben, Extremwetter zunehmen und die Erde langsam aber sicher für Menschen unbewohnbar wird.

Sie machen einfach weiter

Wenige Tage nach Veröffentlichung des Berichtes hat das Europaparlament dem Bau neuer Erdgasleitungen zugestimmt – darunter die längste Gasleitung Europas von Zypern und Kreta zum griechischen Festland – obwohl im Bericht steht, dass der Gasverbrauch bis 2050 um 70% reduziert werden muss.

Investitionen in neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres

In der Langfassung des Berichts – sie wird nur von Wissenschaftler*innen verfasst – wird CCS (CO2-Speicherung in Endlagern unter der Erde) nicht als Alternative betrachtet. Die Technik ist noch zu wenig erforscht und sehr teuer, und gegen die Einrichtung von Endlagern (auch bei CO2) gibt es massiven Widerstand in der lokalen Bevölkerung. In der Version für politische Entscheidungsträger*innen – daran haben Politiker*innen mitgearbeitet – steht allerdings, dass gemeinsam mit CCS fossile Energieträger (wie Kohle oder Öl) länger benutzt werden können – um den Verlust von Investitionen („stranded assets“) zu vermeiden. Diese Änderung dient ausschließlich den Interessen der Konzerne, die  fossile Energieträger verarbeiten.

50 Jahre heiße Luft

Es ist nicht der erste IPCC-Bericht und nicht die erste Warnung. Friedrich Engels schrieb schon im 19. Jahrhundert, dass die Menschheit im Kapitalismus so stark in den Kreislauf der Natur eingreift, dass sie ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hat. 1972 veröffentlichte der „Club of Rome“, eine Gruppe von Forscher*innen, einen Bericht über die „Grenzen des Wachstums“, der weltweit bekannt wurde. Die Prognose: Bis 2100 würden Wirtschaftswachstum, Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch in eine Katastrophe führen.

Seit 50 Jahren halten die Vereinten Nationen (UN) Klimakonferenzen ab. Das Pariser Abkommen von 2015 war das erste mit einem konkreten Ziel, doch keine Regierung tat genug, um dieses Ziel zu erreichen. Normalerweise haben die COP genannten Gipfel maximal vage Absichtserklärungen und leere Versprechungen hervorgebracht. Den COP26 in Glasgow 2021 nannte Greta Thunberg ein „PR-Event“, auf dem nur leere Versprechungen gemacht würden.

Anlass zur Hoffnung?

Wissenschaftler*innen benutzen oft das Bild, wir stünden an einer Weggabelung. Die Wahrheit ist, dass wir nicht stehen und es keine Gabelung ist, an der wir uns befinden. Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das mit hoher Geschwindigkeit auf eine Wand zurast. Noch können wir rechtzeitig bremsen. Selbst wenn wir gegen die Wand prallen, haben wir einen Einfluss darauf, wie stark und schmerzhaft der Aufprall wird. Im Auto oder Fahrrad tritt man auf die Bremse, auch wenn es zu einem Unfall kommt – genauso haben wir die Möglichkeit, zu beeinflussen, wie schlimm es kommt: „Entscheidungen, die wir heute fällen, können eine lebensfreundliche Zukunft noch ermöglichen“ (IPCC-Vorsitzender Hoesung Lee).

Das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, wird immer unwahrscheinlicher. Danach ist aber nicht alles verloren. Es kommt um jedes Zehntel Grad bei der Erwärmung an. Und jedes Zehntel, das verhindert wird, macht es der Menschheit in Zukunft erträglicher,  auf dem Planeten zu leben. Es rettet Arten vor dem Aussterben und hält Landstriche bewohnbar. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

Das geht jedoch nur, wenn der Kapitalismus ausgebremst wird. Die Unternehmen und Regierungen sind nicht in der Lage, einen dauerhaften und wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Um das Klima zu retten, müssen wir ihnen die Macht und Kontrolle entreißen und es selber tun. Wer mit klimaschädlichen Methoden Profite erzielt, muss enteignet werden. Die Arbeiter*innen in den Fabriken wissen, wie diese produzieren können, ohne die Umwelt zu zerstören. Klimaschädliche Arbeitsplätze können in nachhaltige umgewandelt werden, wenn die Beschäftigten die Kontrolle übernehmen und die Produktionsweise ändern oder ganz umstellen. Windräder statt Kohle. Solarenergie statt Öl. Öffentlicher Nahverkehr statt PKWs. Schienenverkehr statt Inlandsflüge. Die Technologien, um das Klima zu retten, sind vorhanden. Sie müssen nur angewendet werden. Die Zeit nannte den Bericht des IPCC einen „Aufruf zur Revolution“ – folgen wir diesem Ruf!