Vom Entsetzen zur Antikriegsbewegung

Das Entsetzen über den russischen Angriff treibt die Menschen auf die Straße. Bis zu einer halben Million in Berlin am 27. Februar, viele Zehntausend in Köln am Tag darauf. Faktisch ist die einzige sichtbare Forderung „Stoppt Putin“.  Wenn sich das nicht ändert, bleiben die Demonstrationen wirkungslos oder werden instrumentalisiert. Proteste in Deutschland stoppen Putin nicht. Sie werden erst dann zu einer effektiven Friedensbewegung, wenn sie Forderungen an diejenigen richten, die damit real unter Druck gesetzt werden – unsere eigenen Regierenden.

Von Claus Ludwig, Köln

Olaf Scholz lobte in seiner Rede am 27. Februar die gleichzeitig in Berlin Demonstrierenden – und kündigte das größte Rüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik an. Diese Aufrüstung sichert keinen Frieden, sondern verschärft die Gefahr der Ausdehnung von Konflikten. Die aktuelle Aggression ist vom Putin-Regime ausgegangen, aber die NATO-Staaten haben mit Truppenstationierungen, Manövern wie „Defender 2020“ und der Aufrüstung der Ukraine zur Militarisierung beigetragen und tragen weiter dazu bei.

Gräueltaten des Gegners

„Stoppt Putin“ klingt zunächst richtig. Aber wie kann das passieren? Putin kann durch eine Antikriegsbewegung im eigenen Land gestoppt werden. Dies könnte befördert werden durch den militärischen und zivilen Widerstand in der Ukraine. Mehr Opfer unter den russischen Soldat*innen und wirtschaftliche Probleme würden die Proteste anheizen. Doch dabei spielen weder deutsche Politiker*innen noch Demonstrierende die entscheidende Rolle.

Wenn der deutsche Staat, EU oder NATO versuchen, Putin militärisch zu stoppen, würde das einen europäischen Krieg bedeuten, der zur Massenvernichtung führen kann. Das würde auch die Menschen in der Ukraine nicht retten.

Es bleibt daher die Kernaufgabe von Antikriegsprotesten in Deutschland, sich gegen Aufrüstung und Militarismus im eigenen Land zu positionieren und damit Druck auf die Herrschenden auszuüben. Bleibt die Empörung auf die Gräueltaten des Gegners beschränkt, wird diese genutzt, die heimischen Kriegsvorbereitungen zu legitimieren. Vor dem 1. Weltkrieg war der deutsche Kaiser angeblich empört über die Unterdrückung der Völker im zaristischen Russland, die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs hingegen über den Mangel an Demokratie im deutschen Kaiserreich. Sie alle nutzten die realen Verbrechen des Gegners zur Rechtfertigung der eigenen Kriegsvorbereitungen.

100 Milliarden für Gesundheit, Bildung, Klimaschutz

Für die etablierten Parteien und die Rüstungskonzerne bedeutet „Stoppt Putin“ mehr als der Ausdruck von Empörung. Für sie ist es der Deckmantel, die Aufrüstung voranzutreiben. Laut Finanzminister Lindner soll Deutschland innerhalb weniger Jahre eine der „schlagkräftigsten Armeen in Europa“ aufbauen. Den Ukrainer*innen hilft das überhaupt nichts, Monitor-Redakteur Georg Restle hat Recht: Die neue deutsche Aufrüstungsdebatte ist so hilflos wie verlogen: Als hätte selbst eine perfekt ausgerüstete Bundeswehr der Ukraine heute geholfen. Als hätte Wettrüsten je Kriege verhindert. Als hätte der Ausstieg aus internationalen Rüstungskontrollverträgen Frieden gebracht.“

Die Proteste gegen den Krieg müssen politisch klarer werden und deutliche Forderungen an die Regierung richten, sonst bleiben sie bestenfalls hilflos oder werden zur oberflächlich-humanistischen Begleitmusik des Kriegsgeschreis:

  • Keine Aufrüstung der Bundeswehr – die 100 Milliarden brauchen wir für Gesundheits- und Bildungswesen und Investitionen in klimaneutralen Verkehr und Produktion
  • Rückzug der Bundeswehr-Einheiten aus Osteuropa
  • Keine Waffenlieferungen an die Ukraine
  • Rüstungskonzerne enteignen, Produktion unter demokratischer Kontrolle umstellen

Eine Friedensbewegung in Deutschland, die solche Forderungen aufstellt, stärkt auch die russischen Antikriegsproteste. Die Kriegsgegner*innen dort könnten in ihrer Argumentation gegen Putins Invasion darauf Bezug nehmen. Das wäre der beste Beitrag gegen den Krieg und damit auch für die Menschen in der Ukraine.