Sanktionen: Durch Elend zum Umsturz?

Sanktionen, wie sie derzeit gegen Russland verhängt werden, richten sich gegen die ganze Volkswirtschaft eines feindlichen Landes und sollen es wirtschaftlich und militärisch schwächen. Oft spielt angeblich noch ein weiteres Motiv eine Rolle: Den Lebensstandard der Bevölkerung so weit zu verschlechtern, dass sie aus Verzweiflung einen Aufstand beginnt und das Regime stürzt. Viele Beispiele zeigen, dass das nicht funktioniert.

Von Thies Wilkening, Hamburg

Die USA haben, allein oder mit ihren Verbündeten, seit dem Zweiten Weltkrieg Sanktionen gegen diverse Staaten verhängt. So war während des ersten Kalten Krieges der Export von Computertechnik jeglicher Form in die stalinistischen Staaten des Ostblocks verboten. Aktuell sind neben Russland fünf Staaten von weitreichenden, den Außenhandel beschränkenden US-Sanktionen betroffen: Nordkorea, Kuba, Iran, Syrien und Venezuela. Die massivsten und am längsten andauernden Sanktionen wurden dabei bereits 1960 gegen Kuba verhängt, um die revolutionäre Regierung unter Fidel Castro für die Verstaatlichung von US-Kapital zu bestrafen und zu stürzen.

Die Sanktionen wurden mehrfach gelockert und verschärft. Jahrzehntelang war sämtlicher Handel zwischen den USA und Kuba komplett verboten. Auch ausländischen Unternehmen, die sowohl auf Kuba als auch in den USA aktiv sind, drohen Strafen. Wegen der geografischen Nähe Kubas zu den USA hat das Embargo großen Einfluss auf die kubanische Wirtschaft. Seit 1992 ist das durch ein US-Gesetz (Cuban Democracy Act) definierte Ziel der Sanktionen die Restauration des Kapitalismus auf Kuba. In den 1990ern, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, traten auf Kuba starke Versorgungsprobleme auf. Trotzdem wurde die Regierung nie gestürzt und die Kommunistische Partei Kubas ist bis heute an der Macht. Das hat auch damit zu tun, dass es der Bevölkerung auf Kuba trotz der Blockade bezüglich Gesundheitsversorgung, Bildung und der Abwesenheit von Hunger besser geht als in vielen kapitalistischen Staaten der Karibik und Zentralamerikas.

Irak: Hungersnot, aber kein Aufstand

Aber auch kapitalistische Regierungen haben Sanktionen überlebt. Während des Golfkriegs verhängten die Vereinten Nationen 1990 massive Sanktionen gegen den Irak, die jegliche Exporte verboten und in ihrer Durchführung enorm erfolgreich waren. Das Bruttoinlandsprodukt sank um 74%. Da der Irak mangels Exporten keine Devisen einnahm und – auch weil Saatgut und landwirtschaftliche Maschinen nicht mehr importiert werden durften – im Land nicht genügend Nahrungsmittel für die Bevölkerung angebaut werden konnten, brach die Lebensmittelversorgung zusammen. Die Kindersterblichkeit stieg um mehr als das Doppelte an, Schätzungen zufolge starben während der 1990er etwa eine halbe Million Kinder in Folge der Sanktionen. Darauf angesprochen erklärte die damalige US-Außenministerin 1996: „Wir denken, dass der Preis es wert ist.“ Das eigentliche Ziel, der Sturz des Regimes von Saddam Hussein, wurde damit nicht erreicht. Schließlich marschierten die USA 2003 im Irak ein und zerschlugen den Staat militärisch.

Ab 1997 gab es US-Sanktionen gegen den Sudan. Sie waren weniger hart als gegen den Irak oder Kuba, konnten aber vom Diktator Omar al-Bashir dennoch genutzt werden, um die Verantwortung für alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme auf den äußeren Feind abzuwälzen. Sein Regime blieb bis zur Aufhebung der Sanktionen 2017 trotz wachsender Proteste stabil. Als sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung nicht verbesserten und al-Bashir seine „Ausrede“ verloren hatte, wurde er im April 2019 nach monatelangen Massenprotesten gestürzt.

In einem großen und entwickelten Land wie Russland werden Sanktionen nicht unmittelbar zu einer Hungersnot oder massenhaften Todesfällen führen. Sie werden den Arbeiter*innen und Armen in Russland aber wachsende Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut durch gestiegene Inflation bringen. Diese Existenznöte werden es schwieriger machen, sich politisch zu organisieren und widerständig zu sein. Mehr und mehr Russ*innen werden in den nächsten Jahren mit dem wirtschaftlichen Überleben beschäftigt sein. Aus dem Elend entsteht keineswegs automatisch revolutionäres Potenzial. Zudem sind die Sanktionen eine Gelegenheit für Putin, „den Westen“ für alle Probleme verantwortlich zu machen, sich selbst als „Verteidiger Russlands“ darzustellen und den Nationalismus zu stärken. Das Regime muss durch eine Massenbewegung der Arbeiter*innen und Jugendlichen gestürzt werden. Sanktionen helfen dabei nicht.

Bild: Biden unterschreibt im Februar 2022 ein Gesetz zur Anordnung von Sanktionen gegen Russland. https://twitter.com/POTUS/status/1495911308625125380