Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst: Mehr braucht mehr (Druck)

Die zwei Pandemiejahre waren für Beschäftigte in den Kitas, im Ganztag und in der Sozialarbeit und Behindertenhilfe eine besondere Herausforderung.

Von Hannah Windisch, Kassel

Man kann sich nicht per Homeoffice vor Corona schützen, wenn der Beruf darin besteht, für das Wohlbefinden und die Betreuung anderer verantwortlich zu sein. Im Sozial- und Erziehungsdienst wurde die eigene Gesundheit gefährdet, um Notfallbetreuung, regelmäßiges Testen, Hygienedisziplin und das Auffangen von Ängsten und Sorgen der Kinder und Eltern möglich zu machen, das alles auch bei personellen Ausfällen durch erkrankte Kolleg*innen. Soziale Arbeit hält die Gesellschaft zusammen und den Laden am Laufen. Bedarf und Anforderungen an diese Berufsgruppe sind weiter gestiegen, Anerkennung und Wertschätzung, die sich auch in höheren Löhnen für die Beschäftigten ausdrücken, jedoch nicht. Das hätte sich schon vor Jahren ändern müssen, aber jetzt erst recht!

Streik am 8. März?

Die fünfjährige Laufzeit des im Jahr 2015 verhandelten Tarifvertrags ist lange vorbei. Schon 2020 versuchte ver.di, die Tarifverhandlungen wieder aufzunehmen, coronabedingt wurden diese jedoch unterbrochen. Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, doch ein Aussetzen der Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) soll es in diesem Jahr nicht geben. Die Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst hat am 17. Dezember die Forderungen für die Tarifrunde beschlossen, verhandelt wird das erste Mal am 25. Februar.

Zudem gibt es innerhalb von ver.di die Diskussion, den 8. März in diesem Jahr zu einem „richtigen“ Streiktag zu machen. 8M-Bündnisse bundesweit diskutieren schon seit Wochen, wie sie das Thema „Sozial- und Erziehungsdienst“ (SuE) aufgreifen und Solidarität organisieren können. Politisch passt das wie die Faust aufs Auge, denn es geht um eine Aufwertung sogenannter Frauenberufe, um einen Kampf gegen den Gender-Pay-Gap und um die Frage, wie viel in dieser Gesellschaft die Förderung und Betreuung von Menschen wert ist. Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr die Gesellschaft auf die Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst angewiesen ist, das muss sich auch in den Arbeitsbedingungen widerspiegeln. ver.di fordert daher bessere Arbeitsbedingungen, mehr Fachkräfte und ordentliche Bezahlung.

Lehren aus 2015

Vielen Kolleg*innen, die in der Tarifrunde 2015 gestreikt haben, sind diese vier Wochen in Erinnerung geblieben. Die Forderung nach Aufwertung der SuE-Berufe unter anderem durch eine ordentliche Lohnerhöhung von 10 %, war eine mobilisierende Kampfansage, der darauf folgende Streik erst recht. Entscheidend für die große Streikbeteiligung und den hohen Organisierungsgrad der Beschäftigten waren auch die bundesweiten Streikdelegiertenkonferenzen, die mehr Demokratie und damit mehr Einfluss und Gestaltungsspielraum von unten ermöglicht haben. Dennoch lagen zentrale Entscheidungen nicht in der Hand dieser Konferenzen. Am Ende der Auseinandersetzung und nach einer Urabstimmung unter allen Beschäftigten, die mit ca. 70% dafür stimmten, weiter zu streiken, verhandelte die ver.di-Führung in einer von ihr selbst herbeigeredeten Schlichtung ein Ergebnis von 3,7 % durchschnittlich mehr Lohn. Diese Entwicklung stellt bis heute eine große Enttäuschung für die kämpfenden Beschäftigten dar. 

Mit welcher Streikstrategie zum Erfolg?

Das schwache Ergebnis der letzten Tarifrunde ist ein Ergebnis des Hinwegsetzens der  Gewerkschaftsführung über den Willen ihrer Mitglieder. Zum anderen fehlte es an der Aufrechterhaltung des politischen Drucks. Dieser ist für die Entwicklung gesellschaftlicher Solidarität entscheidend, da Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst nur sehr indirekt ökonomischen Druck erzeugen.

Die Pandemie hat das Bewusstsein der Bevölkerung für die Systemrelevanz pflegerischer, sozialer und erzieherischer Berufe erhöht. Das kann bedeuten, dass Solidarität gegenüber Arbeitskämpfen in diesen Bereichen leichter und mit größerer Überzeugung entsteht und streikende Beschäftigte Rückenwind bekommen. Gleichzeitig mussten viele Eltern in den letzten Monaten ihre Kinder im Homeoffice selbst betreuen, da Betreuungseinrichtungen immer wieder schließen mussten – eine teils frustrierende und erschöpfende Herausforderung. Oft wurden dafür Urlaubstage verbraucht. Daher bleibt es wichtig, durch Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen die Solidarität von Eltern, nicht-streikberechtigten Kolleg*innen, Azubis und weiteren zu gewinnen.

Die Berliner Krankenhausbewegung und auch die Beschäftigten bei der Bahn haben vorgemacht, dass Streik als Antwort auf die Pandemie erfolgreich sein kann. Auf diese Erfolge zu verweisen und die Verbindungen zwischen den Kämpfen aufzuzeigen, ist ein wichtiges Mittel, um politischen Druck zu erzeugen. Darüber hinaus sind von den Einzelgewerkschaften und dem DGB initiierte Solidaritätsaktionen und Streiks auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes oder im Einzelhandel wichtig, um den Streik der Erzieher*innen zu unterstützen.

Auch wenn das Ergebnis der SuE-Tarifrunde 2015 schwach ausfiel, war der Streik nicht umsonst. Kolleg*innen konnten dabei viel über Selbstorganisation, Demokratie und Streikkultur lernen. Es lohnt sich, noch einmal die Erfahrungen aus den vier Wochen im Mai und Juni 2015 durchzugehen. Kolleg*innen haben Demonstrationen organisiert, Streikposten an Straßenkreuzungen, Aktionen in und vor Rathäusern. Auszubildende haben Schulstreiks und Straßenaktionen organisiert. In vielen Städten haben sich Solidaritätskomitees gegründet, den Brückenschlag zu betroffenen Eltern gesucht, Vordrucke für das Reklamieren von Kitabeiträgen verteilt, Solidaritätskontakte aus anderen Branchen wie der Bahn, der Post oder Amazon hergestellt.

Auch dieses Mal sollten statt punktuellen Delegiertenstreiks gemeinsame Streiks mit allen organisiert werden. Über die Erfahrung des gemeinschaftlichen Protests von unten und Solidarität von außen wird es möglich sein, die Kolleg*innen mit ausreichend Widerstandskraftfähigkeit gegen die Arbeitgeber und schwache Schlichtungsvorschläge auszustatten. Im Zweifel brauchen die Kolleg*innen auch die Rückendeckung aus ver.di, GEW und ihrer Klasse insgesamt, um erneut für ein faires Ergebnis zu streiken, zur Not auch wochenlang. 

Bild: ubahnverleih, CC0, via Wikimedia Commons