Steinmeier bleibt Präsident, das Amt bleibt überflüssig

Am heutigen Sonntag wird der Bundespräsident gewählt. Die nur dafür existierende Bundesversammlung tagt in Berlin und bestätigt Frank-Walter Steinmeier (SPD) für eine zweite Amtszeit. Aufgabe des Präsidenten ist neben der Repräsentation Deutschlands nach außen und der formalen Unterzeichnung von Gesetzen vor allem, Reden zu halten.

Von Thies Wilkening, Hamburg

Laut seiner Website ist der Bundespräsident ein „lebendiges Symbol des Staates“. Die Funktion des Bundespräsidenten (Gendern unnötig – bisher und bis auf weiteres sind alle Präsidenten Männer) ist also letztlich eine ideologische. Er dient dazu, für die Bundesrepublik Deutschland als bürgerlichen Staat zu werben und soll die Identifikation der Bevölkerung mit diesem Staat verstärken. Das Präsidentenamt kostet 44 Millionen Euro im Jahr, die sinnvoller ausgegeben werden könnten. Sozialist*innen sind für die Abschaffung des Bundespräsidenten und anderer symbolischer Staatsoberhäupter, wie der König*innen in manchen europäischen Staaten.

Trotzdem beteiligt sich DIE LINKE an der Bundespräsidentenwahl und hat mit Gerhard Trabert einen eigenen Kandidaten aufgestellt. Die rein symbolische Wahl für einen eigenen symbolischen Akt zu nutzen, ist nicht falsch. Steinmeier zu unterstützen, wie Bodo Ramelow im letzten Jahr forderte, wäre ein falsches Signal der weiteren Anpassung an die SPD gewesen. Mit der Nominierung von Trabert zeigt die Partei ihre Eigenständigkeit. Er steht als Sozialmediziner und mit seinem Engagement z.B. als Mitbegründer des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland für eine bessere und kostenlose Gesundheitsversorgung für alle. Durch seine Einsätze in der zivilen Seenotrettung von Flüchtenden auf dem Mittelmeer sowie der medizinischen Versorgung von Menschen in den Lagern von Moria und anderswo steht er für Solidarität mit Geflüchteten. Das ist auch ein Signal an die Minderheit innerhalb der LINKEN, die diese Solidarität ablehnt. Natürlich hat Trabert keine Chance, gewählt zu werden, durch die Unterstützung der Ampel und der Union steht die Wiederwahl von Steinmeier mit großer Mehrheit fest. Als Mitarchitekt der Agenda 2010 oder mit seinem Versäumnis, sich nicht um die schnelle Freilassung von Murat Kurnaz aus Guantanamo zu bemühen, ist Steinmeier eine passende Besetzung für das Amt, in einer Zeit, in der unter der Ampel vieles einfach so weitergeht, wie bereits unter der GroKo, Hartz 4 um 3 Euro erhöht wurde und zweifelhaft ist, ob vom Bürgergeld mehr als eine reine Umbenennung zu erwarten ist.

„Lebende Staatssymbole“ der letzten Jahrzehnte

Einige frühere Präsidenten haben als Person oder mit ihren Äußerungen den Charakter des deutschen Staates besonders treffend verkörpert. Zum Beispiel der zweite Bundespräsident Heinrich Lübke (CDU, im Amt 1959-69), der während des Krieges als Bauleiter KZ-Häftlinge für den Bau von Rüstungsfabriken angefordert und zur Zwangsarbeit eingesetzt hatte. Als Präsident fiel er vor allem durch zunehmende Demenz auf und lieferte mit seinen Reden Material für Kabarettist*innen. Zwei spätere Bundespräsidenten, Walter Scheel (FDP, 1974-79) und Karl Carstens (CDU, 1979-84) waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Carstens unterstützte die Aufrüstungspolitik des damaligen Kanzlers Helmut Schmidt gegen die Friedensbewegung.

Sein Nachfolger Richard von Weizsäcker (CDU, 1984-94) wurde für seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes bekannt, als er von „Befreiung“ sprach und dafür von Teilen der Union und anderen bürgerlichen Kräften massiv kritisiert wurde – damals war in diesen Kreisen noch üblich, zu bedauern, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Weniger bekannt ist, dass Weizsäcker in der Rede ursprünglich auch die Freilassung des damals noch lebenden Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aus dem Gefängnis fordern wollte. Sein Pressesprecher hielt ihn davon ab, stattdessen forderte Weizsäcker dann in seiner Weihnachtsansprache 1985 Freiheit für Heß, damals ohne größere Konsequenzen.

2010 musste ein Bundespräsident wegen zu großer Ehrlichkeit zurücktreten. Horst Köhler (CDU, seit 2004 im Amt) hatte bei einem Truppenbesuch in Afghanistan Kriegseinsätze der Bundeswehr mit wirtschaftlichen Interessen gerechtfertigt und damit den Zweck der deutschen Armee offen benannt – zu offen für die bürgerlichen Parteien und Medien.

Joachim Gauck (parteilos, 2012-2017) warb ebenfalls für mehr Auslandseinsätze und nahm die Bundeswehr gegen Kritik in Schutz. Seine Wahl sollte an den Sieg über den stalinistischen Block im Kalten Krieg erinnern und den Antikommunismus fördern, obwohl er sich in der DDR erst im Oktober 1989 der Opposition angeschlossen hatte.

Foto: A. Savin, Wikimedia Commons