Streiks und Proteste der Lehrkräfte zeigen, wie es im Iran weitergehen kann

Das Mullah-Regime befindet sich in einer instabilen Situation. Weil man eine neue Welle allgemeinerer Proteste fürchtet, hat die Repression in den letzten Monaten noch zugenommen.

Nina Mo, Sozialistische LinksPartei (Schwesterorganisation der SAV und Sektion der ISA in Österreich)

27.12.2021

Am 23. Dezember kam es im Iran zu einem landesweiten Aktionstag, an dem sich zehntausende aktive wie auch pensionierte Lehrer*innen beteiligt haben. An der Spitze standen die weiblichen Lehrkräfte. In mehr als 100 Städten des Landes kam es zu Protesten, bei denen höhere Löhne, ein angemessenes und freies Bildungssystem und anderes gefordert wurde. Die Kolleg*innen protestieren gegen die schlechte Bezahlung, wegen nicht ausbezahlter Löhne, mangelhafter Krankenversicherung, Repression und niedrige Renten. Die Löhne der iranischen Lehrkräfte liegen meist unterhalb der Armutsgrenze, was angesichts der steigenden Inflation ein echtes Problem darstellt. Viele Lehrer*innen müssen sich mit Zweit- oder sogar Drittjobs noch etwas hinzuverdienen. Vor allem wegen des starken Grads an Organisation sind die Proteste für die gesamte Arbeiterbewegung des Iran richtungsweisend. Der „Koordinierungsausschuss der Lehrkräfte des Iran“ hatte sämtliche Lehrer*innen zur Beteiligung an den Protesten aufgerufen und dazu, ihre Forderungen im ganzen Land zu verbreiten.

Proteste dauern an

Im Bildungsbereich kommt es schon seit Monaten und Jahren zu Protesten, die in erster Linie von unabhängigen und kampfbereiten Lehrer*innen-Vereinigungen und -Gewerkschaften angeführt werden. Der Aktionstag vom 23. Dezember war eine Reaktion auf ein neues Gesetz des Regimes, zur Einschränkung von Streiks und Protesten. Außerdem war er die Antwort auf eine viel zu niedrige Lohnerhöhung, die es den Lehrkräften nicht ermöglicht, ihren Bedarf zu decken. Der dritte Grund für den Aktionstag war der Haushaltsentwurf, der neue Kürzungen und Austeritätsmaßnahmen vorsieht.

Schon am 11. und 12. Dezember war es zu landesweiten Streiks gekommen, die sich am Folgetag zu großen Protestkundgebungen ausgeweitet haben. An diesen beteiligten sich nicht nur aktive sondern auch pensionierte Lehrkräfte. Die Proteste breiteten sich auf über 200 Städte im ganzen Land aus. Allein in Isfahan nahmen mehr als 10.000 Lehrer*innen an einer Kundgebung teil, bei der sich die wichtigsten Slogans gegen die Repression und Verhaftungen richteten: „Inhaftierte Lehrkräfte müssen auf freien Fuß gesetzt werden!“. Aufgrund der katastrophalen ökonomischen Lage und der schlechten Lebensbedingungen mit sehr hohen Preisen für Güter des täglichen Bedarfs befinden sich die Lehrer*innen in einer extrem schwierigen Situation.

Nach monatelangen Protesten hat das Parlament am 15. Dezember schließlich das sogenannte „Lehrer-Bewertungsverfahrensgesetz“ verabschiedet. Man suggerierte, dass die Forderungen der Lehrkräfte damit erfüllt und es keinen Grund für weitere Proteste geben würde. Doch die Lehrkräfte kündigten an, dass sie ihren Protest würden fortsetzen wollen. Ihre Forderungen umfassen eine Lohnerhöhung bis auf das Maß von 80 Prozent dessen, was Lehrkräfte im höheren Bldungsbereich erhalten, die umgehende Freilassung der inhaftierten Kolleg*innen und Gewerkschafter*innen. Die Ruheständler*innen wollen einen Inflationsausgleich. Doch all dies wird von dem Regime einfach ignoriert.

Mit dem Gesetz sollen die Bezüge der Lehrer*innen um nur wenige Prozentpunkte erhöht werden, obwohl sie schon seit zehn Jahren auf niedrigem Niveau liegen. Dennoch bleibt die Bezahlung wegen der Inflation immer noch unterhalb der Armutsgrenze, und der Haushalt ist nicht groß genug, um die Löhne anzuheben. Im Haushalt von 2021/22 sind für „Bürger-Angelegenheiten“ (wozu auch die Bildung zählt) weniger als 3,5 Mrd. Dollar vorgesehen. Das Budget der sogenannten Verteidigungskräfte beträgt hingegen über 5,08 Mrd. Dollar! Mohammad Habibi, Sprecher des Koordinierungsausschusses, sagte nach der Verabschiedung dieses Gesetzes im Parlament: „Die Gesamtheit dessen, was im Parlament verabschiedet worden ist, können die Lehrkräften auf gar keinen Fall akzeptieren“.

Brutale Repression

In der letzten großen Streik- und Protestrunde Mitte Dezember griffen Sicherheitskräfte in mehreren Städten die Lehrkräfte an und verhafteten einige führende Aktivist*innen. Insgesamt sind mehr als 200 Lehrer*innen und Gewerkschafter*innen festgenommen worden. Das Regime befindet sich in einer instabilen Situation. Man fürchtet eine neue Welle allgemeinerer Proteste, weshalb man in den letzten Monaten die Repression noch verstärkt hat.

Die Protest-Teilnehmer*innen griffen die Antworten des Regimes in ihren Sprechchören auf und bezeichneten sie als „schamlos“. Die Behörden wendeten Gewalt an, ließen einige Vertreter*innen der Lehrkräfte schlagen und zeitweise in Arrest nehmen. Dies geschah direkt vor dem Parlamentsgebäude. Zu den Angegriffenen gehört auch Rasoul Badaghi, Funktionär der Lehrergewerkschaft. Anderen wurde die Kündigung angedroht. Aus Angst vor einer Gegenreaktion wurde Badaghi von den Behörden schon nach wenigen Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Proteste vom 23. Dezember haben trotz der Tatsache stattgefunden, dass Vorgesetzte und Sicherheitskräfte den Lehrkräften in den Tagen zuvor per Textnachrichten mit Konsequenzen gedroht hatten! In Teheran hat das Regime versucht, die aus den U-Bahnschächten heraufkommenden Lehrer*innen auseinander zu treiben. Danach sind sie jedoch wieder zusammengekommen und haben sich nach Verlassen der U-Bahnstationen erneut versammelt. Auch in Shiraz haben sich tausende Lehrkräfte der starken Präsenz der Sicherheitskräfte widersetzt. Folgt man den veröffentlichten Berichten, so haben Staatsbeamte auf dem Baharestan-Platz in Teheran männliche Lehrkräfte angegriffen, um sie zu zerstreuen. Weibliche Lehrkräfte saßen jedoch auf der Mitte des Platzes und verharrten dort über eine Stunde lang, obwohl Sicherheitskräfte sie attackierten.

Organisation und Führung

Die große Stärke der Lehrkräfte-Bewegung besteht aus ihrer Geschlossenheit, dem Grad an Organisation und ihrer Führung. Seit Jahren waren dies die am besten organisierten Streiks und Proteste. Im Gegensatz zu anderen, sehr spontanen Kämpfen hat der Koordinierungsausschuss in den Wochen zuvor mobilisiert und Arbeiter*innen (sogar innerhalb regimetreuer Gewerkschaften) organisiert. Man orientierte auf Lehrkräfte an der Basis und auf radikale Gewerkschafter*innen und brachte diese unter gemeinsamen Forderungen nach einem angemessenen Bildungssystem im Interesse von Lehrer*innen und Schüler*innen zusammen.

Mit ihrer kampfbereiten Vorgehensweise zeigt die Führung der Lehrervereinigung die nötige Bereitschaft, Forderungen auch durchsetzen zu wollen. In einer kürlich veröffentlichen Resolution hat der Koordinierungsausschuss betont, dass „man nicht aufhören wird Forderungen zu stellen, bis die Forderungen komplett erfüllt sind und man den Protest-Prozess mit größter Intensität aufrechterhalten wird“.

Im Iran zählen die Lehrkräfte schon immer zu den kampfbereitesten und politisiertesten Arbeiter*innen. Sie standen immer schon mit an der Spitze der Arbeiter*innenbewegung und haben im Kampf gegen das Regime die Richtung vorgegeben. Nötig ist, dass ihre Führungsriege diese radikale Stimmung auch in ein Programm überträgt. Der Koordinierungsausschuss selbst behauptet, man sei nicht politisch. Es ist aber vollkommen klar, dass der Kampf der Lehrkräfte eine politische Gefahr für das Regime darstellt!

So schrieb die unabhängige Gewerkschaft der Beschäftigten des Zucker-Werks Haft Tappeh in ihrer Solidaritätserklärung an die Lehrkräfte: „Wir sollten keine Illusionen haben in die Verfassung, das Arbeitsrecht und die kleinen oder großen Parlamentsabgeordneten und Regierungsstellen. Wir müssen diese Gruppe mit unseren unabhängigen Organisationen und der Hilfe und Unterstützung der Gesellschaft auseinandernehmen.“

Für die Bewegung der Lehrkräfte und vor allen Dingen für ihre Führung ist es notwendig, über Strategien nachzudenken, mit denen man die gesamte Arbeitnehmerschaft zur Unterstützung ihres Kampfes bringen kann. So ist beispielsweise – wie in manchen Städten schon geschehen – die aktive Anwesenheit von Schüler*innen und eine Betonung der Einheit von Schüler*innen und Lehrkräften notwendig, um den Kampf noch auszuweiten. Diese Einheit ist nötig, um die Forderungen nach einem demokratisch kontrollierten und organisierten Bildunssystem, das unabhängig von religiösen Stellen und dem Regime ist, durchsetzen und noch verallgemeinern zu können. Will man gewinnen, so muss die volle Kontrolle über Strategie, Taktik und Programme der Bewegung bei den Kolleg*innen an der Basis liegen. Die Gewerkschaften müssen auf demokratische Weise aufgebaut werden und jeden Versuch von Seiten des Regimes zurückweisen, sie oder ihre Führung zu infiltrieren.

Generalstreiks als nächster Schritt zum Aufbau eines politischen Kampfs gegen das Regime

Die Kämpfe, die die Lehrkräfte führen, fügen sich in ein größeres Bild: In den letzten Monaten und Jahren ist es zu zahlreichen betrieblichen Auseinandersetzungen und Streikaktionen gekommen. Beispiele hierfür gibt es aus den Bergwerken und von den Ölfeldern, im Bereich des Nahverkehrs sowie des Transportwesens, wo Arbeiter*innen ebenfalls aktiv geworden sind. In den vergangenen Monaten haben Bäuerinnen und Bauern, abhängig Beschäftigte und die Armen in einer Reihe von Städten gegen die Rationierung von Trinkwasser und die Folgen des Klimawandels protestiert.

All diese Kämpfe müssen miteinander verknüpft werden, um zu einer machtvollen und vereinten Bewegung gegen das Regime und das kapitalistische System zu kommen. Sie zeigen, wie stark die Arbeitnehmerschaft als gesellschaftliche Klasse wirklich sein kann. Sie ist in der Lage, die Produktion zu übernehmen und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Diese Macht kann bei den nächsten, auf Eskalation ausgelegten Schritten genutzt werden, um zu einer echten Gefahr für das Regime zu werden: Ein Generalstreik aller unterschiedlicher Branchen könnte die wirtschaftspolitischen mit den politischen Forderungen verbinden. Klar ist, dass das korrupte und kriminelle Regime den Interessen von Arbeitnehmer*innen, Bäuerinnen und Bauern entgegen steht. Den Forderungen der Lehrkräfte, Bäuerinnen, Bauern, Ölarbeiter*innen und der jungen Leute kann nur entsprochen werden, wenn man in Opposition zum Regime tritt.

Es ist von größter Bedeutung und sehr positiv, dass mehr als 43 unabhängige Gewerkschaften ihre Solidarität mit dem Kampf der Lehrkräfte zum Ausdruck gebracht haben. Diese Form von Solidarität innerhalb der Arbeitnehmerschaft ist es, die wir in den letzten Jahren immer wieder erleben durften. Der nächste wichtige Schritt wäre nun, all diese unterschiedlichen Vereinigungen und Gewerkschaften sowie die Kolleg*innen an der Basis über ein demokratisches landesweites Komitee zusammenzubringen, das aus den verschiedenen Streikkomitees und Gewerkschaften zusammengesetzt sein sollte. Dieses Gremium sollte nicht nur Aktionen koordinieren sondern auch als Schritt zum Aufbau einer neuen unabhängigen Partei der Arbeiterklasse mit entschlossener Führung und auf Grundlage eines sozialistischen Programms gesehen werden, das für auskömmliche Löhne und Renten, die Rückverstaatlichung der Großkonzerne unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innen steht, um das Regime zu beenden.

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