Jahresrückblick – ROSA in Deutschland: Sozialistischer Feminismus nimmt Anlauf

von Hannah, Douglas und Linda (ROSA)

Rosa ist die Farbe, die viele von uns daran erinnert, dass uns schon als Kleinkind geschlechtsspezifische Rollenmuster aufgedrängt wurden. ROSA steht aber spätestens seit dem 5. März 2021 auch in Deutschland für eine Kampagne die sich den Kampf aller Arbeiter*innen und Jugendlichen zum Ziel setzt, für eine Gesellschaft, in der Frauen nicht als Sexobjekte definiert werden; die Kindererziehung, Bildung, Pflege, Haus- und Erwerbsarbeit gemeinschaftlich und solidarisch regelt; in der nicht der Profit, sondern die Mehrheit der Gesellschaft demokratisch darüber entscheidet wie und was produziert wird.

Am 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg wurde die international in vielen Ländern bereits bestehende Kampagne ROSA (for reproductive rights, against oppression, sexism and austerity) in Deutschland von der SAV initiiert. ROSA steht für einen aktiven Feminismus, der sich nicht mit Lobbyarbeit in den Parlamenten beschäftigt, sondern eine Bewegung auf der Straße, in den Schulen, auf dem Uni-Campus und in den Betrieben aufbauen will. Deswegen war ROSA bereits am Gründungstag in verschiedenen Städten auf der Straße unterwegs und hat mit Sprühkreide-Aktionen oder Straßenumbenennungen die Städte verschönert, auf die Gründung von ROSA aufmerksam gemacht und für den internationalen Frauenkampftag mobilisiert. 

Im März bestand ROSA aus ein paar wenigen Aktivist*innen der SAV in Kassel, Köln, Berlin und Hamburg. Mittlerweile gab es in 13 Städten Aktivitäten unter dem ROSA Banner – von kleinen Plakat- und Aufkleberaktionen bis hin zur Organisierung einer Christopher Street Day-Demo in Kassel oder dem Aufbau eines kämpferischen Bündnisses zum internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen in Köln. In Sechs Städten gab und gibt es Treffen von ROSA. 

Die Offenheit für sozialistisch-feministische Ideen ist groß, da immer mehr Menschen spüren, dass der feministische Kampf nicht unabhängig zu betrachten ist vom Kampf gegen den Kapitalismus – ein durch und durch unterdrückerisches und ausbeuterisches System. 

In vielen Ländern sind feministische Bewegungen im Aufwind und inspirieren sich gegenseitig. Deutschland hinkt ein bisschen hinterher. Die Highlights der Arbeit von ROSA  in diesem Jahr lassen erahnen, dass auch in Deutschland das Potenzial für starke feministische Kämpfe besteht:

8. März 2021 – internationaler Frauenkampftag

Seit über 100 Jahren ist der 8. März ein Tag des feministischen Widerstands, der seine Wurzeln in der internationalen Arbeiter*innenbewegung hat. Weltweit demonstrieren Feminist*innen an diesem Tag für ein Ende der Gewalt, das Recht auf Selbstbestimmung, ökonomische und politische Gleichberechtigung, für die Zukunft. Drei Tage nach der Gründung von ROSA in Deutschland hätte es keinen besseren Anlass geben können, um gemeinsam auf die Straße zu gehen: Mit dem Slogan “Sexismus hat System – Kapitalismus abschaffen!” waren wir in Köln, Kassel, Aachen, Berlin, Hamburg, München, Freiburg und weiteren Städten mit Aktionsangeboten und sozialistischen Ideen Teil der Proteste. 

Der 8. März stand in diesem Jahr im Kontext der Coronakrise, welche knallhart deutlich gemacht hat, dass die Antwort auf die Fragen, wer im Kapitalismus systemrelevante Arbeit leistet und wer am stärksten von diesem System unterdrückt wird, dieselbe ist: Es sind vor allem die weiblichen Teile der Arbeiter*innenklasse. Die Coronakrise hat dabei „nur“ Verhältnisse verschärft, unter denen Frauen und genderqueere Personen schon doppelt belastet sind. Im Rahmen unserer bundesweiten Online-Veranstaltung “Relevant aber prekär?! Organize and fight back!”, die am Abend des Kampftags stattfand, haben wir uns mit 60 Teilnehmenden gefragt, wie Care-Arbeit gesellschaftlich und kollektiv organisiert werden kann, wie wir raus aus der Armutsfalle kommen, wie wir Sexismus endgültig stoppen können und was das mit Kapitalismus zu tun hat. Während wir in Deutschland ganz am Anfang stehen, hat ROSA international schon Kämpfe gewinnen können. So berichtete eine belgische ROSA-Aktivistin aus Gent uns von einem erfolgreichen Kampf um einen 14 Euro-Mindestlohn an ihrer Uni- ein Beispiel dafür, dass sich kämpfen lohnt und wir jeden Tag zum Kampftag machen müssen!

1. Mai – internationale Kampftag der Arbeiter*innenbewegung

Am 1. Mai war ROSA auf der Straße unter dem Motto “Sexismus spaltet – Solidarität macht uns stark!” Die feministische Bewegung ist für ROSA Teil der Arbeiter*innenbewegung, denn die internationale Arbeiter*innenklasse hat –  unabhängig von geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Herkunft usw – ein gemeinsames Interesse zu kämpfen für: 15 Euro-Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, massive Investitionen in ein kostenloses, ein qualitativ hochwertiges öffentliches Gesundheits- und Bildungswesen für alle und eine massive Vermögensteuer & Corona-Abgabe für Reiche. Nur solidarisch gemeinsam und gegen die Interessen der Kapitalist*innen (auch der weiblichen) können wir gewinnen. 

Um eine gemeinsame Bewegung der Arbeiter*innenklasse aufbauen zu können, müssen wir Sexismus in der Gesellschaft zurückdrängen. Wir setzen uns in Gewerkschaften, Schule, Uni und Betrieb für Kampagnen gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit ein. In Kassel wird beispielsweise von ROSA eine erste Schulzeitung entwickelt. 

Pride-Sommer in Kassel  

Mit dem Slogan “Reclaim the streets! Queer and feminist liberation, not rainbow capitalism” ergriff ROSA Kassel die Initiative, den kämpferischen Geist der Stonewall Riots auf dem CSD `21 wiederzuerwecken. Bereits der radikal antikapitalistische Demo- Aufruf sorgte dafür, dass die FDP den CSD boykottierte. Außerdem kamen anstelle der bürgerlichen Parteien Organisationen zu Wort, die das Trugbild vom Regenbogenkapitalismus aufdeckten und erklärten, dass pro- queere Forderungen stets antikapitalistisch sein müssen. Auch war ursprünglich am selben Tag eine Wahlkampfveranstaltung der AfD angemeldet. Als diese jedoch feststellte, dass ihr Veranstaltungsort auf der CSD- Demoroute lag, sagte sie ihr Vorhaben ab. Auf diese Weise ist es ROSA gelungen, die Straßen von rechtsnationalistischen sowie prokapitalistischen Kräften zurückzuerobern. Unser Konzept des “politisierten Feierns” kam bei einem beachtlichen Teil des überwiegend jungen CSD- Publikums ebenfalls gut an: Sprüche wie “Whose streets? Our streets!”, “Was kotzt uns so richtig an? Einteilung in Frau und Mann!” und “we, we wanna be free – make homophobia history!” wurden kraftvoll mitgetragen.  

In einigen anderen Städten hat sich ROSA an den Pride-Umzügen beteiligt. Auch wenn viele der Umzüge in den letzten Jahrzehnten immer stärker kommerzialisiert worden sind, gibt es viele neue jüngere Aktivist*innen, die für politische Inhalte offen sind.

September: Kämpfen um zu gewinnen – ROSA international

ROSA ist in vielen Ländern auf der ganzen Welt aktiv. Einen eindrucksvollen Einblick davon, haben wir im September bei der ROSA-Online-Veranstaltung:  “Kämpfen, um zu gewinnen!” erhalten. Eine russische Aktivistin berichtete von der massiven polizeilichen Repression und wie sie trotzdem aktiv bleibt, eine Aktivistin aus Österreich über den Kampf gegen Femizide und sozialistisch feministische Antworten auf die Pandemie der Gewalt, eine Genossin aus Texas über das neue Gesetz, welches Abtreibungen in Texas quasi unmöglich macht. 

Die Einschränkungen des Abtreibungsrechts in Texas fielen zynischerweise in den gleichen Monat wie der Safe Abortion Day. In Aachen, Berlin, Bremen, Bremerhaven, Flensburg, Hamburg, Kassel und Köln war ROSA an diesem Tag unter dem Motto “Free, safe and legal abortion now” auf der Straße. In Solidarität mit den Protesten für Abtreibungsrechte in Texas, aber auch um darauf aufmerksam zu machen, dass die Abtreibungsparagraphen 218 und 219 endlich raus müssen aus dem deutschen Strafgesetzbuch. Für echte Wahlfreiheit brauchen wir soziale Absicherung, eine gute Ausbildung für Ärzt*innen und ein öffentliches und kostenloses Gesundheitssystem, inklusive kostenloser Schwangerschaftsabbrüche und Verhütungsmittel.

Herbst und Winter: Kampagne gegen sexistische Gewalt 

Sexistische Gewalt ist Alltag für viele Frauen und genderqueere Personen und dennoch häufig unsichtbar. ROSA hat deshalb im Herbst eine Kampagne unter dem Slogan “Sexistische Gewalt hat System – Kapitalismus abschaffen” gestartet. Strukturelle Gewalt gegen Frauen und genderqueere Personen ist die Spitze des Eisbergs und Ausdruck einer zutiefst sexistischen und unterdrückerischen Gesellschaft. Anlass der Kampagne war der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen am 25. November. Bereits im vorhinein hatte ROSA in Hamburg eine Kundgebung mit insgesamt bis zu 100 Leuten organisiert, bei der die Zusammenhänge sexistischer Gewalt zu anderen Themen aufgezeigt und für den 25.11. mobilisiert wurde. Es gab eine Reihe von kleinen Aktivitäten, mit denen die Teilnehmenden in die Gestaltung der Kundgebung einbezogen wurden, wie ein Wurfspiel bei dem Sexisten abgeworfen werden konnten und antisexistische Sprühschablonen.  

In Berlin war ROSA Teil einer Kundgebung, in Aachen hat ROSA mit Straßenkreide auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. In Köln hat ROSA ein Bündnis für eine Demo initiiert, da die bisherigen Aktivitäten zum 25.11. politische Slogans und Fahnen untersagten. Wir denken, dass es enorm wichtig ist sich gegen jeden Übergriff, Femizid und Fall von sexistischer Gewalt zur Wehr zu setzen, aber dies mit einer grundsätzlichen Strategie zu verbinden wie sexistische Gewalt erfolgreich zurückgedrängt werden kann. Patriarchale Rollenbilder, Abwertung und Schlechterstellung von Frauen und genderqueeren Personen sind Triebkräfte für sexistische Gewalt. Das kapitalistische System ist wiederum untrennbar mit dem Patriarchat verbunden. Deswegen ist es nicht verständlich, wenn auf Aktionen politische Slogans und Inhalte untersagt werden.   

In Kassel und Köln fanden nach dem 25. November “reclaim the night” Laternen-Spaziergänge statt. Besucht wurden dunkle, unbeleuchtete und als unsicher empfundene Orte in der Stadt, die häufig zu Angsträumen für Frauen werden. Symbolisch hat ROSA sich die Straße zurückerobert und fordert bessere Beleuchtung, eine geschlechtergerechte Stadtplanung, kostenlosen und gut ausgebauten ÖPNV und kostenlose Nachttaxis!  

Die Bilanz des ersten Jahres von ROSA in Deutschland fällt absolut positiv aus. ROSA hat es in einem bewegungsarmen Jahr – trotz Pandemie und Lockdown – geschafft sich als kleine feministsich sozialistische Kampagne aufzustellen. Motivierend ist die Arbeit, da viele Menschen – auch unabhängig von ihrem Geschlecht – sich aktivieren wollen, weil sie spüren dass in dieser Gesellschaft etwas grundlegend falsch läuft und wir uns dagegen international organisieren müssen –  Sozialistischer Feminismus nimmt Anlauf.

Wie weiter? 

ROSA in Belgien und Irland machen vor, dass es möglich ist konkrete Verbesserungen zu erkämpfen. In diesem Sinne wird es bei der ersten ROSA Kampagne im Jahr 2022 darum gehen, die Arbeiter*innen bei den Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst zu unterstützen.
Dabei will ROSA nicht nur bei dem geplanten bundesweiten Streikaktionen am 8. März mitwirken, sondern auch Brücken zwischen Gewerkschaften und 8.- März- Protesten bauen und konkrete Solidaritätsarbeit organisieren. 

Mit dieser Kampagne will ROSA einen Beitrag für einen erfolgreicheren Streik leisten und die Chance ergreifen, ganz konkret die Arbeiter*innenbewegung feministischer und die feministische Bewegung klassenkämpferischer und sozialistischer zu machen. Auf ein kämpferisches 2022!