DIE LINKE nach der Bundestagswahl: Fünf Tipps zur Krisenbewältigung

Der ehemalige Vorsitzende Bernd Riexinger schreibt in seiner Analyse, dass die Wähler*innen “zurückgewinnbar” sind und der “jetzige Rückschlag nicht von Dauer” sein muss. So ist es. Die Partei wird gebraucht und Wahlen sind nur eine Momentaufnahme. Doch während es keinen Automatismus des Niedergangs gibt, muss sich vieles ändern, damit es aufwärts gehen kann. Es sind weder die äußeren Umstände noch das mangelnde Engagement, welche zu dieser Krise geführt haben. Die Strömungen der “Reformer*innen” einerseits und der “linkskonservativen” Anhänger*innen Sahra Wagenknechts andererseits reißen mit ihren Hintern ein, was die Mitgliedschaft mit den Händen aufbaut.

Von Claus Ludwig, Köln

Tipp Nr. 1: STOP THAT SHIT

Die LINKE ist eine plurale Partei. Trotzdem ist niemand, auch und vor allem nicht die Führung von Partei und Fraktion, dazu berechtigt, permanent das Programm in Frage zu stellen oder gar Gegenprogramme per Beststeller-Liste zu formulieren. Wagenknecht und ihre Anhänger*innen müssen aufhören, unter dem Applaus der bürgerlichen Medien über die eigene Partei herzuziehen und die Erzählung der Rechtspopulist*innen zu bedienen, der LINKEN gingen die Sorgen der arbeitenden und armen Menschen am Arsch vorbei. Bartsch, Höhn und ihre Follower müssen ihren Anbiederungskurs an die SPD stoppen und ihre Angriffe auf die friedenspolitischen Positionen einstellen.

Tipp Nr. 2: Klassenpolitik statt Sozialstaatsillusionen

Die “soziale Frage” wurde nicht quantitativ zu wenig behandelt, sondern qualitativ falsch. Beide Lager – Wagenknecht und Bartsch – sehen diese nicht als Klassenfrage zur Ermutigung und Beförderung von Selbstorganisation und sozialen Kämpfen, sondern als Katalog von Forderungen für eine Verbesserung des Sozialstaates, und sind daher nur graduell von der Sozialdemokratie unterscheidbar. Dass die SPD es nicht ernst damit meint – geschenkt. Die “soziale Frage” effektiv aufzugreifen würde bedeuten, a) eine klare Trennlinie zur SPD zu ziehen, grundlegend für Umverteilung zu stehen und von den Interessen aller Teile der Arbeiter*innenklasse auszugehen (der Erwerbslosen, Prekären, Durchschnittsverdiener*innen und “Besserbezahlten”, und b) auch die Fragen spezieller Diskriminierung – z.B Rassismus und Sexismus – damit zu verknüpfen und das gemeinsame Klasseninteresse hervorzuheben, anstatt diese Punkte zu ignorieren (Bartsch) oder gegen die Sozialpolitik auszuspielen (Wagenknecht).

Tipp Nr. 3: Aktive Mitgliederpartei statt Fixierung auf Parlamente

Im Frühjahr 2022 ist Landtagswahl in NRW. Wenn sich sich die politische Lage nicht wesentlich ändert, hat die LINKE nur wenig Chancen, über die (undemokratische) 5%-Hürde zu kommen. Es wird Stimmen in der Partei geben, welche die NRW-Wahl zu einer “Schicksalswahl” machen und das Ende prophezeien werden, wenn die Partei die Hürde nicht nimmt. Das ist Unsinn. Der Aufbau und die mittelfristige Fähigkeit, soziale Kämpfe anzustoßen und zu befördern, Alternativen zu formulieren und sich in Orten, Stadtteilen und Betrieben zu verankern, ist entscheidend, auch ohne im Landtag zu sitzen. In NRW ist die Partei in den letzten Jahren gewachsen und in mehreren Städten aktiver geworden. Die Krise der Partei ist ernst. Parlamentarische Torschlusspanik ist die falsche Antwort. Nötig ist der Aufbau einer in Bewegungen verankerten aktiven Mitgliederpartei. Die hervorragenden Wahlergebnisse der LINKEN in Nordneukölln (zwischen 20 und 30% in den drei Wahlkreisen) waren nur möglich auf Grundlage jahrelanger Arbeit im Kiez, einem eigenständigen antikapitalistischen Profil und einem kämpferischen Wahlkampf, der die Mitglieder*innen begeistert und die Mitgliedschaft beflügelt hat.

Tipp Nr. 4: Finger weg von den Minister*innenposten

Bernd Riexinger schreibt, die “Regierungsdebatte” hätte sich “erst einmal erledigt”, man sei vier Jahre Opposition. Guck mal Nachrichten, Genosse! Die LINKE regiert in Bremen, führt die Thüringer Regierung – und hat es dabei geschafft, nachhaltig zu demonstrieren, dass eine linke Regierungsbeteiligung nicht zu Verbesserungen führt. Jetzt will man Juniorpartnerin in Meck-Pomm werden und erneut in Berlin mitspielen. In Berlin hat SPD-Kandidatin Giffey deutlich gemacht, dass sie die von über einer Million Berliner*innen beschlossene Enteignung der Immobilienkonzerne verhindern will. Im Sondierungspapier ist von Prüfaufträgen einer Expertenkommission die Rede, die kommende Landesregierung setzt somit auf Verzögerung. Die LINKE will trotzdem mitspielen. Die Enteignungskampagne hat Berlin gerockt und auf dieser Welle hat auch die LINKE – wegen ihrer Unterstützung für die Kampagne – bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus ein besseres Ergebnis als im Bund erzielt. 40% der Delegierten haben beim Berliner Landesparteitag im Oktober dafür gestimmt, die Umsetzung des Volksentscheids zu einer zwingenden Bedingung einer Koalitionsbeteiligung zu machen. Eine knappe Mehrheit war dagegen und will sich alles offen halten. Spätestens in einem Jahr wird klar werden, dass diese Koalition unter Giffey den Volksentscheid nicht umsetzen wird. Entweder steigt DIE LINKE Berlin dann aus der Koalition aus oder sie verspielt ihre mühsam aufgebaute Glaubwürdigkeit und Unterstützung in der Berliner Mieter*innenbewegung. Pro oder contra Regierungsbeteiligung auf Landesebene ist keine Entscheidung wie Pizza oder Döner, die einen mögen’s, die anderen nicht. Über kurz oder lang gilt: Die Unterordnung unter die prokapitalistischen Parteien – und nichts anderes war bisher jede Beteiligung – ist der Weg in die Selbstzerstörung.

Tipp Nr. 5: Socialist System change

Weite Teile der Partei haben nicht verstanden, dass es sich beim Klima nicht um ein “Thema” handelt, was man “bespielen” muss. Der Kampf ums Klima ist eine zentrale Frage der kommenden Jahrzehnte, die eng verknüpft ist mit der sozialen Frage – Energiepreise, Klimagerechtigkeit – und der Diskussion, wer in wessen Interesse über die Produktion entscheidet.

Die Kapitalist*innen wissen um die Klimakatastrophe, aber haben sich bisher als unfähig erwiesen, effektive Schritte dagegen zu unternehmen. Die Klimafrage führt zur Systemfrage. Auch die Forderung nach Enteignung von Immobilienkonzernen oder die Kämpfe für eine qualitativ bessere Gesundheitsversorgung werfen die Frage auf, in welchem System wir leben. Das ist vielen Aktivist*innen bewusst, aber der Antikapitalismus bleibt oft vage. Es wird eine zentrale Aufgabe von Sozialist*innen und damit auch der Mitglieder der LINKEN sein, den antikapitalistischen Pol in Bewegungen und Gewerkschaften aufzubauen, zu konkretisieren und mit Abwehrkämpfen und Kämpfen für Verbesserungen zu verbinden. Das geht nicht mit der bisher der Partei eigenen Zaghaftigkeit und der Angst, es sich mit Grünen und SPD zu versauen, das geht nur mit Mut zur Radikalität.

Nötig ist Radikalität nicht als Phrase, sondern als Aussprechen von Wahrheiten: Ohne das Ausschalten von Profit, Konkurrenz und (Verbrauchs-Wachstum) Verbrauchswachstum als Triebkräfte der Ökonomie, ohne die grundlegende Änderung der Eigentumsverhältnisse, wird kein grundlegendes Umsteuern möglich sein. Sozialismus ist keine ferne Utopie. Der Kampf für eine revolutionäre Umwälzung läuft heute, unabhängig davon, wie lange er dauert.