„Wir müssen die Idee internationaler Solidarität verbreiten“

Interview mit Wissam von der syrischen Organisation „Internationale Welle“

sozialismus.info: Was passierte 2011 – eine Revolution oder eine westliche gesteuerte Aktion gegen Assad?

Wissam: Schon unter Hafez al-Assad gab es einen Abbau demokratischer Rechte, Repressionen und Zensur. Das Regime von Bashar al-Assad ab dem Jahr 2000 führte neoliberale Reformen durch und installierte ein getrenntes Kreditsystem, was Reichen Kapitalkredite, Armen aber nur Konsumkredite ermöglichte. Die Inflation war hoch, die Arbeitslosenquote stieg 2011 auf 14,9%, ein großer Teil davon waren Akademiker*innen.

Eine soziale Krise war die Folge. Bis zu einer Million Menschen waren bei spontanen Demonstrationen mit revolutionärer Stimmung auf der Straße. Es bildeten sich lokale Kommissionen, die die Demonstrationszüge und Slogans organisierten. Diese Organisationen wurden aber schnell von Liberalen, die von kapitalistischen Regierungen unterstützt wurden, oder von Islamisten übernommen. So wurde die Bewegung für geopolitische Interessen ausgenutzt. Letzten Endes scheiterte die Revolution aufgrund des Fehlens einer unabhängigen revolutionären Partei, an ausländischen Interventionen und an der massiven Repression seitens des Regimes.

Wo sind heute die Ansätze für die syrische Linke? 

Die Revolutionen des arabischen Frühlings boten den bestehenden kommunistischen bzw. stalinistischen Parteien eine gute Gelegenheit, ihre politischen Positionen zu korrigieren, doch nach den Demonstrationen stellten sie sich entweder auf die Seite Assads oder der Dschihadisten. Einzige Ausnahme bildete die Kommunistische Arbeitspartei, die aber aufgrund ihrer starken Verfolgungen seit den 1980ern handlungsunfähig ist.

Heute müssen wir neue linke Organisationen aufbauen, die in internationale Bewegungen integriert sind. Wir als Internationale Welle sagen: Der Kampf gegen Imperialismus darf nicht getrennt sein vom Kampf gegen die Regime im Mittleren Osten, die mit dem Imperialismus zusammenarbeiten. Das Assad-Regime wurde bis 2010 vom Westen unterstützt, obwohl es auch damals schon massive Repression gegen die syrische Bevölkerung gab.

Wie ist die Stimmung unter geflüchteten Syrer*innen hier?

Viele sind in der SPD, weil sie eine opportunistische Regierungspartei ist. Sie suchen dort (finanzielle) Unterstützung für Geflüchtetenorganisationen. Aber so werden sie auch abhängig und schweigen zur Rolle der westlichen Regierungen. Sie sprechen zum Beispiel oft davon, dass Merkel 2015 menschlich gehandelt hätte, aber nicht über Familiennachzug, Abschiebungen nach Afghanistan oder Waffenexporte. Deutschland produziert als Teil der NATO weltweit Fluchtursachen. Indirekt, mit Waffenexporten nach Saudi-Arabien, oder direkt mit deutschen Panzern für die Türkei. Sie halten sich aber auch aus Angst vor Repressionen zurück, wie zum Beispiel der Aberkennung des Aufenthaltsstatus.

Wo siehst du Ansätze, um Verbesserungen für die hier lebenden Syrer*innen zu erkämpfen?

Wir müssen aktiver sein und zeigen, dass wir – die LINKE, Seebrücke, Revolutionär*innen … – die einzigen Kräfte sind, die die Flüchtlinge unterstützen und die bürgerlichen Parteien sie verraten. Wir müssen die Idee internationaler Solidarität verbreiten und die politische Bildung stärken. Wir finden in Deutschland unsere zweite Heimat. Auch hier müssen wir gegen Krieg, Rassismus und Fluchtursachen kämpfen. Das bedeutet für uns Integration.

Wofür steht die Internationale Welle?

Der Kampf vom unten für ein demokratisches System ist unser Weg zu einer sozialistischen Alternative. Der Begriff „Sozialismus” ist in Syrien extrem negativ konnotiert. Deswegen fordern wir die Trennung von Staat und Religion, Gleichberechtigung für alle (Frauen, religiöse oder ethnische Mindeefrheiten) und die Forderung nach einem Sozialstaat als ersten Schritt, eine sozialistische Bewegung aufzubauen und die Vorstellung von Sozialismus wieder zurechtzurücken. 

Wir fordern: Die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen; Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen; Einstellung der Waffenexporte nach Syrien; Beendigung der Unterstützung für das Assad-Regime und aller bewaffneten Formationen, die derzeit in Syrien kämpfen; die Macht dem syrische Volk – dezentral und föderalistisch, um Kurd*innen und anderen Minderheiten Autonomie zu gewähren. Juristische Aufarbeitung aller Kriegsverbrechen von allen Seiten in der Stadt Damaskus.

Das Interview führte David, München.