Die LINKE-Spitze präsentiert sich regierungswillig und hat mit einem „Sofortprogramm“ klargestellt, auf welche Teile ihres Wahlprogramms sie schon vor Beginn von Koalitionsverhandlungen verzichtet. Aber was würde so eine Regierung bedeuten, und wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt?
von Thies Wilkening
Mit dem am 6. September veröffentlichten Sofortprogramm haben die Parteivorsitzenden und Spitzenkandidat*innen auf weite Teile des Wahlprogramms verzichtet, ohne vorher mit dem Parteivorstand oder geschäftsführenden Parteivorstand zu diskutieren. Die offiziellen Entscheidungsgremien der Partei erfuhren aus den Medien, dass die LINKE 13 Euro Mindestlohn jetzt nur noch vorschlägt und nicht mehr fordert und dass nahezu alle bisher geforderten konkreten Zahlen durch ein unverbindliches „mehr“ oder „weniger“ ersetzt wurden. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen „auf den Prüfstand“, die Forderung sie zu beenden fällt weg. So wird das „Bekenntnis zu USA und NATO“, das SPD und Grüne von der Linken fordern, zwar verbal nicht abgegeben, in der Praxis aber vorbereitet.
Wie wahrscheinlich ist die Koalition?
In den politischen Vertretungen des deutschen Kapitals in den Medien und Parteien geht eine ideologisch motivierte Angst um, dass rot-grün-rot die Gesellschaft zu Ungunsten der Kapitalist*innen grundsätzlich verändern würde. SPD und Grüne sind bürgerliche Parteien, die keine solche Veränderung wollen. Dennoch warnen konservative Medien unablässig vor dem „Linksrutsch“, setzen Olaf Scholz unter Druck, eine Koalition mit der LINKEN auszuschließen und würden im Fall von Koalitionsverhandlungen wohl große Hetzkampagnen fahren – und Scholz ist nicht gerade bekannt dafür, sich mit diesen Kräften anzulegen.
Auch die Wahlkampftaktik der SPD spricht gegen Rot-Grün-Rot. Der Wahlkampf ist darauf ausgerichtet, die Mitte zu verkörpern und Olaf Scholz als die nächste Merkel darzustellen, während die CDU das gleiche erfolglos mit Laschet versucht. Weder bei der SPD noch bei den Grünen gibt es grundsätzliche Vorbehalte gegen eine Koalition mit der FDP.
Daher ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die LINKE-Spitze ihre vorauseilenden inhaltlichen Zugeständnisse gemacht hat, ohne dafür mit einer Regierungsbeteiligung belohnt zu werden.
Eine „kluge Taktik“?
Trotzdem bezeichnen manche Genoss*innen zum Beispiel aus der Bewegungslinken, die programmatischen Zugeständnisse als „kluge Taktik“, die signalisiere dass die Linke bereit sei „Verantwortung zu übernehmen“ und dass eine Koalition für Reformen im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung am fehlenden Willen von SPD und Grünen scheitern würde.
Der bekundete Wille zur Koalition schafft aber im Wahlkampf vor allem Verwirrung, zum Beispiel wenn die LINKE völlig zu Recht die Machenschaften von Olaf Scholz im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal oder seine Vergangenheit als Hardliner der Repressionspolitik mit dem G20-Gipfel 2017 und den Brechmitteleinsätzen in seiner Zeit als Hamburger Innensenator kritisiert. Dass man als LINKE unbedingt Teil der Regierung eines korrupten SPD-Rechten sein will, der mit fortschrittlicher Politik noch nie etwas zu tun hatte, wirkt befremdlich.
Aber auch Wähler*innen, die die LINKE in der Hoffnung wählen, dass sie als „Korrektiv“ SPD und Grüne in der Regierung ein kleines bisschen nach links zieht, lassen sich durch den aktuellen Koalitionspoker eher nicht binden. Ihnen präsentieren SPD und Grüne nämlich gerade die Alternativen „Rot-Grün oder Ampel“ und schließen Rot-Grün-Rot aus. Einige SPD-Vertreter*innen sagen offen, dass es für Rot-Grün reichen würde, wenn die Linke nicht mehr in den Bundestag einzieht – Stimmen für die LINKE würden nach dieser Logik also zu einer Regierungsbeteiligung der FDP führen. In so einer Situation ist natürlich ungünstig, wenn die eigene Botschaft ist „Wählt uns, wir machen Rot-Grün möglich“, während SPD und Grüne selbst das Gegenteil verkünden.
Was wären die Folgen?
In einer Koalition wäre die LINKE mit ihren 6-7% der Stimmen vier Jahre lang das Ringelschwänzchen des rot-grünen Regierungsschweins. Sie würde die Verantwortung mittragen für jede Abschiebung, jede unsoziale Preiserhöhung, jeden Sozialabbau, jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Handeln deutscher Geheimdienste von BND bis Verfassungsschutz. Sie wäre mitverantwortlich für eine Politik, die Deutschlands Treibhausgasemissionen nicht annähernd im notwendigen Ausmaß senken wird, weil mit SPD und Grünen keine entscheidenden Eingriffe gegen die Interessen des Kapitals durchzusetzen sind.
Unter diesen Bedingungen würden viele Aktive aus der Klima- und Umweltbewegung, antirassistischen und anderen Bewegungen die Linke verständlicherweise nicht mehr als Partnerin im Kampf für ihre Forderungen sehen, sondern als Teil der Gegenseite. Die Verankerung der Partei in Bewegungen würde geschwächt, wahrscheinlich würden Aktivist*innen aus ihr austreten. Es würden zwar auch neue Mitglieder zur Linken kommen, für die sie durch die Regierungsbeteiligung attraktiver wird, aber darunter wären viele Menschen, die in „der Politik“ ihre berufliche Zukunft sehen und nach Posten, Jobs und Karrieremöglichkeiten streben.
Ihnen wäre der Erhalt des Zugangs zu lukrativen Jobs im Regierungsapparat naturgemäß wichtiger als das Parteiprogramm. Durch diesen Wandel in der Mitgliedschaft würde die Bereitschaft der Partei, sich inhaltlich an die Koalitionspartner*innen anzupassen immer weiter zunehmen und kritische Stimmen würden schwächer. Dieser Anpassungsprozess würde sich auch nach Ende der Regierungsbeteiligung nicht umkehren.
Angesichts der Erfahrungen der LINKEN auf Landesebene und linker Parteien in Europa mit dem Mitregieren in den letzten zwei Jahrzehnten ist fraglich, ob nach einer Legislaturperiode in der Regierung der Einzug in den Bundestag nochmal gelingen würde. Die rot-rote Koalition in Brandenburg, mit der die LINKE von 2009-2019 unter anderem für die Fortsetzung des Braunkohle-Tagebaus verantwortlich war, hat sie in der ersten Legislaturperiode 32%, in der zweiten sogar 42% ihres Stimmenanteils gekostet. In Berlin hat sie durch die desaströse erste Regierungsbeteiligung von 2001-2006 über 40% ihres Stimmenanteils verloren,
International zeigt das Beispiel der PRC (Partito della Rifondanzione Comunista) in Italien, welche verheerenden Wirkungen für die gesellschaftliche Linke der Gang in eine pro-kapitalistische Regierung haben kann. Die PRC ordnete sich Mitte der 2000er in der Prodi-Regierung ihren bürgerlichen Koalitionspartnerinnen komplett unter, weil sie das für die einzige Möglichkeit hielt die Rückkehr der Rechten um Silvio Berlusconi an die Macht zu verhindern. Bei der Wahl von 2008 verlor die PRC ihre Parlamentssitze, Berlusconi wurde wieder Ministerpräsident und es gibt in Italien bis heute keine relevante linke Partei im Parlament
Um die Menschheit vor dem Kapitalismus zu retten, werden wir eine Partei brauchen – aber keine weitere pro-kapitalistische Partei die einmal links war, sondern eine in der Arbeiter*innenklasse verwurzelte, kämpferische linke Kraft mit einem klaren Programm, das über das der LINKEN hinaus geht. Eine starke LINKE kann ein Schritt in diese Richtung sein. Deshalb kämpfen wir innerhalb der Partei für den Erhalt und die Stärkung linker Positionen und gegen die Integration in bürgerliche Regierungen – vor und nach der kommenden Wahl.
Bild: DIE LINKE., Fragezeichen: eigene Bearbeitung