Stellungnahme: Solidarität gegen Terror, Rassismus und Hetze

Für eine entschlossene Reaktion der Arbeiter*innenbewegung

Stellungnahme der Bundesleitung der SLP, Schwesterorganisation der SAV in Österreich

Der Schock über den Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am Montag Abend sitzt bei uns allen noch sehr tief. Unsere Gedanken sind bei den Opfern dieses grausamen Angriffes. Auch wenn noch nicht sehr viel über das Attentat bekannt ist, es ist schon jetzt klar, dass der oder die Attentäter mit diesen brutalen Angriffen Menschen, die den letzten Abend vor dem Lockdown draußen verbringen wollten, Beschäftigte aus der Gastronomie und Passant*innen getroffen hat/haben. Das Ziel war, Angst zu schüren, zu spalten und einzuschüchtern. Zusätzlich betroffen sind die Krankenpfleger*innen, Sanitäter*innen, Sozialarbeiter*innen und andere; die Kolleg*innen, die zusätzlich zu den massiven Belastungen der Corona-Krise mit voller Kraft jetzt für die Versorgung der Opfer und Angehörigen sorgen. Ein Personalvertreter der Wiener Rettung sagte in der Nacht in der ZIB: “Ich fordere alle meine Kolleginnen und Kollegen auf, sich zum Dienst zu melden und sich an ihren Arbeitsplätzen einzufinden. Politisch inspiriert wurde ich durch Bürgermeister Zilk, der sagte: ‘Ich garantiere jedem Wiener einen Krankenwagen und ein Krankenhausbett’. Jetzt haben wir COVID-19 und sogar diesen Terroranschlag oben drauf, und diese Stadt ist gewachsen, aber nicht die Zahl der Krankenwagen.”

Die Arbeiter*innenbewegung muss jetzt eine Antwort auf diesen Anschlag, auf die reaktionären Gruppen des rechten islamischen Fundamentalismus, auf die Gefahr der rassistischen Instrumentalisierung durch die Herrschenden & Rechten und auf die Frage nach einem Programm gegen Terror, Rassismus und Spaltung finden. 

Gefahr von rechtsextremen islamisch-fundamentalistischen Kräften

Es ist noch nicht klar, ob das Hauptziel des Anschlages die Synagoge und das Hauptmotiv Antisemitismus war. Doch schon jetzt wissen wir, dass es sich bei zumindest einem der Attentäter um einen Anhänger des “Islamischen Staates” gehandelt hat. Die Terroranschläge der vergangenen Wochen in Frankreich haben uns die Gefahr, die vom rechten islamischen Fundamentalismus für die Arbeiter*innenklasse ausgeht, vor Augen geführt. Der Hass und die Gewalt, die von diesen Kräften ausgeht, trifft immer in erster Linie ganz normale Arbeiter*innen und Jugendliche, die zur Zielscheibe werden – auch weil die Reichen und Mächtigen abgesondert von der normalen Bevölkerung leben und feiern. 

Auch in Österreich haben in den letzten Monaten reaktionäre Kräfte versucht, in die Offensive zu kommen. Als im Sommer kurdische und türkische Linke und Gewerkschafter*innen beim EKH in Wien 10 von faschistischen Grauen Wölfen angegriffen wurden, waren es Linke und Antifaschist*innen, die den Kampf gegen diese Angriffe geführt haben, während die ÖVP, die jetzt großes Mitgefühl heuchelt, die Schließung des EKHs gefordert hat. Auch jetzt ist es international nur die Arbeiter*innenbewegung, die auf diese Anschläge eine wirksame Antwort finden kann. Die Herrschenden schwingen zwar große Reden und inszenieren Betroffenheit, in Wirklichkeit sind es aber sie und ihre Regierungen, die mit ihrer Politik solche Anschläge mitzuverantworten haben. Zur angeblichen “Verteidigung unserer Werte” haben die Herrschenden schon nach 9/11 genau diese “Werte”, also demokratische Grundrechte, beschränkt – es ist zu befürchten, dass die Kurz-Regierung Ähnliches vorhat. Wie die Maßnahmen zur “Terrorbekämpfung” in Frankreich und in anderen Ländern zeigen, wird die Gefahr, die von rechten islamischen Fundamentalist*innen ausgeht, mit mehr Repression und Überwachung nicht weniger. Der US-geführte “Krieg gegen den Terror”, der jahrelange Ausnahmezustand in Frankreich und die Zunahme rassistischer Hetze gegen Migrant*innen und Geflüchtete haben im Gegenteil die Situation nur noch verschärft, weil sie zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben. Wer den Terror bekämpfen will, muss an die Ursachen und Wurzeln ran.

Heuchelei der Kurz-Regierung und der herrschenden Parteien

Die Worte von Kanzler Kurz, Innenminister Nehammer und Co nach diesem Anschlag gleichen schon jetzt zum Teil der Rhetorik der französischen Regierung, die in den vergangenen Tagen vom “Krieg gegen den Islamismus” gesprochen hat. Kurz ist als einer der führenden Politiker*innen des populistischen rechten Randes der Bourgeoisie in Europa mit seiner rassistischen Hetze und Politik mitverantwortlich für eine zunehmende Ausgrenzung migrantischer und muslimischer Teile der Bevölkerung in Österreich und in Europa. Die Politik der Kurz-Regierung hat im Mittelmeer, in den Kriegsregionen, in den Abschiebegefängnissen und in den Krankenhäusern während Corona schon tausendfach Leben gekostet. Rassismus, Ausgrenzung und Hass spielt immer reaktionären Kräften wie eben auch dem IS in die Hände. Bei den vergangenen Wien Wahlen haben ÖVP, FPÖ und Co auch wieder ganz bewusst mit dem Schüren von Rassismus Wahlkampf gemacht: Sie waren für mehr Abschiebungen, Abschottung und Ausgrenzung. Gleichzeitig arbeitet die Bundesregierung  mit reaktionären Regimen wie in der Türkei oder in Saudi-Arabien zusammen, exportiert Waffen, die in den blutigen Kriegen im Nahen und Mittleren Osten eingesetzt werden. Und diese Regierung will jetzt die Verteidigerin der “freien Gesellschaft” gegen den reaktionären Islam sein? Diese Heuchelei muss aufgedeckt werden! 

Besonders widerlich ist, dass Kurz & Co. alles tun werden, um das Attentat für ihre Zwecke zu benützen. Die Herrschenden in Österreich wollen von ihrer rassistischen und unsozialen Politik, die gerade in der Corona-Krise spürbar wird, ablenken und sprechen von “nationaler Einheit” gegen den “äußeren Feind”. Diese Rede vom “nationalen Schulterschluss” kennen wir spätestens seit Beginn der Corona-Krise. Uns wird erzählt, wir würden alle im selben Boot sitzen – doch unser tägliches Erleben zeigt, wie wenig das stimmt. Gerade jetzt darf die Arbeiter*innenbewegung und dürfen die Gewerkschaften diesem Druck nicht nachgeben. Sie dürfen nicht auf die so notwendige offensive Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung, an fehlenden Spitalbetten, an der Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter*innenklasse und an den kommenden, repressiven Reaktionen auf diesen Terroranschlag verzichten. Der Hinweis des Personalvertreters der Wiener Rettung über den Ressourcenmangel war nicht nur verständlich, sondern notwendig – dass in der späteren Berichterstattung auf solche kritischen Punkte verzichtet wurde, darf die Gewerkschaft nicht hinnehmen. Wir müssen uns auf Versuche zunehmender staatlicher Repression und Überwachung unter dem Vorwand der “Inneren Sicherheit” vorbereiten. Die Politiker*innen, die sich jetzt bei den Krankenpfleger*innen, Rettungssanitäter*innen und anderen Einsatzkräften bedanken, sind auch diejenigen, die verantwortlich sind für die katastrophalen Arbeitsbedingungen dieser Kolleg*innen, mangelnde Ausrüstung und Finanzierung. Dieselben, die jetzt mehr Geld für die Polizei fordern und beschließen werden, haben in den letzten Monaten keine zusätzlichen Mitteln für das Gesundheitswesen locker gemacht und sind so auch verantwortlich für Corona-Tote.

Ursachen des Terrorismus

Es sind die Kriege, die Waffenexporte und es ist die Hetze der europäischen und der US-Regierungen, die den rechten islamischen Fundamentalismus erst haben groß werden lassen. Die Menschen, die aus dem Irak, aus Syrien und aus anderen Ländern fliehen, fliehen vor genau solchem Terror und terroristischen Regimes, die unter diesen Kriegssituationen gewachsen sind. Unabhängig davon, wer die Täter*innen waren, es muss jetzt darum gehen, dem Terror den Boden zu entziehen. Gruppen wie der “Islamische Staat” setzen seit Jahren darauf, dass Migrant*innen und Muslime in Europa systematisch diskriminiert werden. Der Journalist Karim El-Gawhary verdeutlichte das in einem Facebook-Post: “In einem Manifest 2015 im IS-Online-Magazin Dabiq, wurde eine Dynamik beschrieben, die die militanten Islamisten für sich nutzen wollen. Die Idee war relativ einfach. Mit jedem islamistischen Anschlag in Europa und dem Westen wächst dort die antiislamische Stimmung. Die Folge wäre eine Polarisierung und wie es damals hieß, ‘die Eliminierung der grauen Zone‘, wie die Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen dort umschrieben wurde. Mit der Ausgrenzung der Muslime im Westen, könnten diese so leichter in die Arme der militanten Islamisten und ihrer Ideologie getrieben werden und wären leicht zu rekrutieren.”

Sollte in Folge der Attentate der Rassismus in Österreich zunehmen, geschürt auch ganz bewusst durch zumindest Teile der Politik, dann haben die Attentäter*innen ihr Ziel erreicht. Sie wissen ganz genau, dass solche Anschläge rasstisch instrumentalisiert werden und dass das wiederum ihnen in die Hände spielt. Die Zunahme von Rassismus, aber auch zunehmende soziale Probleme durch die globale Krise des kapitalistischen Systems führen dazu, dass reaktionäre Kräfte unterschiedlicher Spielart sich als Retter*innen darstellen und für ihre Ideologien rekrutieren können. Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Not und Perspektivlosigkeit haben auch in Österreich gerade bei einer Generation, die vollkommen abgehängt und ausgeschlossen wird, zum Teil zu Radikalisierungen nach rechts geführt – der islamische Fundamentalismus ist die eine Seite dieser Medaile, der österreichische Rechtsextremismus die andere. Es ist eine Tatsache, dass die absolute Mehrheit aller Moslems/Muslima ebensowenig mit Terror zu tun haben wie die absolute Mehrheit der Christ*innen nichts mit den Attentätern von Christchurch. Aber es sagt etwas über das rassistische Klima aus, wenn viele Moslems/Muslima sich genötigt fühlen, sich explizit zu distanzieren (was Anhänger*innen anderer Religionen, in deren Namen Terror verübt wurde nicht machen). Rechtsextremer Terror, egal ob er als faschistischer oder islamisch-fundamentalistischer Terror daher kommt muss von der Arbeiter*innenbewegung bekämpft werden. Dazu braucht es eine linke Alternative, um die Wut auf dieses System zu kanalisieren, damit diesen Kräften das Wasser abgegraben wird. Es braucht jetzt ein wirksames Programm gegen Terror, Hass, Hetze und Rassismus: Mehr Geld für Soziales, Jobs, höhere Löhne, Bildung und Gesundheit, einen Kampf gegen jede Form von Rassismus, Sexismus und Diskriminierung, ein Ende der Kriegspolitik und der Waffenexporte des europäischen und des US-Imperialismus und eine Offensive der Linken und Gewerkschaften für eine Einheit der Arbeiter*innenklasse.

Es braucht mehr Geld für Jugendzentren und ähnliche Betreuungseinrichtungen, weil sie ein Ort sein können, der die gesellschaftliche Isolation von Jugendlichen, gerade in der Corona-Krise, aufbricht. Es braucht milliardenschwere Investitionen in Schulen und Bildungseinrichtungen, mehr Personal, mehr Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen. Es braucht dringend einen Ausbau und eine Ausfinanzierung der Rettungsdienste und des Gesundheitsbereichs und mehr Personal. Es kann nicht sein, dass diese schon im “Normalfall” am Limit sind, sondern sie brauchen genügend Ressourcen, um in Krisensituationen problemlos Versorgung garantieren zu können. Schluss mit Waffenexporten und mit der Zusammenarbeit mit den Unterstützer*innen fundamentalistischen Terrors in der Türkei, in Saudi-Arabien etc. Stopp jeglicher militärischen Zusammenarbeit mit der NATO und mit anderen kriegführenden Ländern. Es braucht eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, die gerade Jugendlichen eine echte, lebenswerte Zukunft ermöglicht.

Solidarität ausbauen

Gerade in diesen Stunden ist die überwältigende Solidarität der Arbeiter*innenklasse zu spüren: Die zwei jungen Männer, die unter Lebensgefahr zwei Verletzte retteten (worüber in den bürgerlichen Medien kaum bis gar nicht berichtet wurde, vielleicht weil sie selbst Moslems sind), unzählige Menschen, die ihre Wohnung als Unterschlupf angeboten haben, Beschäftigte von Einsatzkräften und Freiwillige, die innerhalb kürzester Zeit bereit waren usw. Ähnliche Solidarisierungen haben wir auch nach den rechtsextremen Terroranschlägen in Deutschland, in den USA und anderswo gesehen. Die Menschen haben mit ihrem Einsatz, ihrer Anteilnahme und ihrer Solidarität gezeigt, dass ihr Zusammenhalt stärker sein muss und kann als Terror und Hass. Daran müssen wir ansetzen. Statt einer Staatstrauer im Sinne des “nationalen Schulterschlusses” im Interesse der Herrschenden braucht es eine entschlossene Reaktion der Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften. 

Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn Linke, Antifaschist*innen und Gewerkschaften zu einer Kundgebung gegen Terrorismus, Rassismus und Hetze und den Ursachen davon aufrufen würden. Genauso könnte die Gewerkschaft kurze Streikaktionen organisieren, um ein starkes Zeichen für  die Einheit der Arbeiter*innenklasse unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion zu setzen. Ein gewerkschaftlicher Aktionsplan würde dabei helfen, die wahren Verantwortlichen und Ursachen solcher Gräueltaten anzuprangern. Der Kapitalismus ist global in seiner tiefsten Krise und kostet täglich Menschenleben. Das Jahr 2020 hat das wahre Gesicht dieses verrotteten Systems auf grausame Art uns allen vor Augen geführt. Dieses System hat keine Zukunft, es produziert Pandemien, Terror, Krieg, Hass und Elend. Diese kapitalistische Barbarei muss von uns, von der Arbeiter*innenklasse, entschlossen, international und mit der Perspektive einer sozialistischen Alternative bekämpft werden.