Ein Blick zurück auf den wahren Charakter der „Demokraten“

Auch wenn sie größtenteils fehlinterpretiert worden sind, so werfen die Ereignisse um die Präsidentschaftswahlen von vor 20 Jahren noch immer einen Schatten auf den diesjährigen Urnengang.

Tony Wilsdon, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV und Sektion der ISA in den USA)

Bisher galt die Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 als die am erbittertsten umkämpfte in der Geschichte der USA. Es war die erste seit 1888, bei der der Wahlsieger am Ende nicht die Mehrzahl der Wahlberechtigten (sondern der Wahlleute; Erg. d. Übers.) auf sich vereinen konnte. 2016 war das dann direkt wieder der Fall.

Im Jahr 2000 spielte sich das Drama im Bundesstaat Florida ab. Am Morgen nach dem Wahltag lag George Bush dort mit weniger als 2.000 Stimmen vor Al Gore von den „Demokraten“. Das führte automatisch zur Neuauszählung und schließlich machte die Differenz nur noch 350 Stimmen aus. Dieses denkbar knappe Ergebnis hatte fieberhafte Versuche seitens des Wahlkampfteams von Al Gore zur Folge, auf gerichtlicher Ebene eine Reihe von Neuauszählungen durchzusetzen. Es folgten Wochen, die von rechtlichen Auseinandersetzungen geprägt waren. Hierauf werden wir weiter unten noch genauer eingehen. Schlussendlich entschied der Oberste Gerichtshof zu Gunsten von Bush, was dazu führte, dass Gore nachgab.

Die eigentliche Geschichte hinter dem Wahl-Drama von 2000 ist, dass die „Demokraten“ einen Kandidaten gegen Bush ins Rennen geschickt haben, der für die Aufrechterhaltung des status quo stand. Das führte zu einem äußerst knappen Ergebnis, und trotz der von den Strateg*innen der „Republikaner“ durchgeführte Manipulationen weigerten sich die „Demokraten“, in die Auseinandersetzung zu gehen. Stattdessen verbreiteten sie die Geschichte, dass es in Wirklichkeit die Wahlkampagne des unabhängigen Kandidaten Ralph Nader war, die Schuld am Sieg von Bush gewesen sei. An ihrem farblosen Kandidaten und dem eigenen Unwillen, am Ende noch einen Kampf darum zu führen, habe es somit auf keinen Fall gelegen.

Fakten zur Wahl von 2000

Vertreter*innen der „Demokraten“ und des „liberalen“ Amerika verbreiteten die Ansicht, dass die unabhängige Wahlkampagne von Nader zur Wahl von Bush und der Niederlage Al Gores geführt habe. Dieser Schlussfolgerung liegt jedoch eine sehr voreingenommene Sichtweise auf die Ereignisse zu Grunde.

Die Wahl von 2000 fand vor dem Hintergrund statt, dass der „Neue Demokrat“, Bill Clinton, sich in seiner Amtszeit von 1992 bis 2000 von einer „New Deal“-Politik abgewendet hatte. Die nun dominierende „Democratic Party“ unter Clinton war den Konzernen gegenüber entschlossen, ihren Willen zur Unterstützung einer neoliberalen Politik hervorzuheben. Dies geschah zum großen Nachteil der Arbeiter*innen und jungen Leute.

Die Clinton-Administration setzte diese neoliberale Politik schamlos gegen den Widerstand von Gewerkschaften und sozialpolitischen Organsationen durch. Dazu zählte die Implementierung des Freihandelsabkommens „North American Free Trade Agreement“ (NAFTA) ohne die von Gewerkschaften und Umweltorganisationen geforderten Schutzmechanismen, die Schuldzuweisung an die „Welthandelsorganisation“ (WTO), sie sei für die Einführung von NAFTA verantwortlich, das Ermöglichen von Massenverhaftungen durch die „Crime Bill“-Gesetzgebung von 1994 sowie die Aushöhlung des Sozialstaats.

Es kam zu direkten Angriffen auf die Arbeitnehmerschaft, die Bürgerrechte, auf die Frauenbewegung und auf die Umweltbewegung. Die Folge waren Massenproteste in Form der globalisierungskritischen Bewegung. Der Unmut innerhalb der Gewerkschaften führte 1996 zur Gründung der (wenn auch sehr kurzlebigen) US-amerikanischen „Labor Party“ und zum Erstarken der „Green Party“. Zwischenzeitlich erlebte die Stadt Seattle die Proteste gegen die WTO. 1999 war es, als eine Kampagne mit Massenbeteiligung das für dort anberaumten Gipfeltreffen der „Welthandelsorganisation“ zum Abbruch zwang. Diese Bewegungen liefen dann in der rebellischen und unbhängigen Wahlkampagne von Ralph Nader zur Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 zusammen.

Die unabhängige Präsidentschaftskampagne von Ralph Nader

Welche Energie sie auslöste und wie groß die Begeisterung war, die sie mit sich brachte, kann man im Nachhinein nur schwer beschreiben. Aber die Leute strömten förmlich in die Wahlkampagne von Nader, zahlten zehn Dollar Eintritt bei den Massenkundgebungen, an denen landesweit zehntausende Teilnahmen, um der Politik einen Neustart zu verpassen. Im Sommer 2000 lag Nader in einigen Landesteilen laut Umfragen bei rund zehn Prozent. Auch „Socialist Alternative“ beteiligte sich und trug dazu bei, seine Wahlkampagne auszubauen. Nader stach innerhalb der Arbeiterbewegung in ein Vespennest und erhielt sogar Wahlaufrufe von einigen bedeutsamen Gewerkschaftsgliederungen. Darunter waren Dutzende örtliche Untergliederungen wie die „AFSCME Local 1108“ aus Los Angeles (öffentlicher Dienst), der Stadtverband der „Postal Workers“ und „Teamsters“ (Frachtverkehr) in Seattle sowie die kalifornische „Nurses Association“ (Krankenhausbeschäftigte).

Und selbst angesichts dieser Bedrohung lehnte die „Democratic Party“ ein Abrücken von ihrer neoliberalen Politik ab. Stattdessen stellte sie den bisherigen Vize-Präsidenten Al Gore als ihren Kandidaten auf, der wie kein anderer für die Fortführung der neoliberalen Politik von Bill Clinton stand. Die meiste Zeit des Sommers versuchte die Wahlkampagne von Gore die wachsende Unterstützung für Nader einfach zu ignorieren. Zwei Wochen vor dem Wahltag investierten die „Demokraten“ dann Million von Dollar in gegen Nader gerichtete Appelle, die auf allen Kanälen verbreitet wurden. Teil dieses Vorgehens waren auch Auftritte namhafter „liberaler“ Köpfen wie Gloria Steinem und Melissa Etheridge, wodurch die Unterstützung für Nader veringert werden sollte. Das hatte den Effekt, dass sich der Stimmanteil von Nader halbierte, während gleichzeitig Millionen junger Leute, die sein radikales Programm unterstützt hatten, demobilisiert wurden.

Umstrittene Wahl: „Demokraten“ weigern sich, einen Kampf um den Wahlausgang zu führen

Der Wahltag selbst brachte wegen des knappen Ergebnisses noch kein Ergebnis. Die Entscheidung sollte fallen durch eine Neuauszählung in Florida. Nach der abermaligen Auszählung der maschinell gezählten Stimmen lag George W. Bush mit lediglich 327 Stimmen in Führung. Diese winzige Differenz führte dazu, dass das Wahlkampfteam von Gore die händische Neuauszählung in vier Wahlbezirken einforderte. Und genau dieses Vorgehen des Teams Gore war dann der Auslöser dafür, dass die Strateg*innen der „Republikaner“ reagierten. In den Folgetagen organisierten sie rechte Störtrupps („rent-a-mobs“), um die Neuauszählung zu behindern. Diese würde ihnen zufolge in „betrügerischer Absicht“ vonstatten gehen.

Eine dieser „rent-a-mobs“-Gruppen der „Republikaner“ machte sich über den Wahlbezirk Miami-Dade, eine Hochburg der „Demokraten“, her. Dort waren offizielle Wahlhelfer*innen gerade dabei, die Stimmen neu auszuzählen. Das besagte Team der „Republikaner“ warf mit Stühlen und Tischen. Diese Szene wurde rasch unter der Bezeichnung „Brooks’ Brothers Riot“ („Randale der Brooks-Brüder“) bekannt. Und die Folge davon war, dass die Neuauszählung gestoppt wurde.

Jane McAlevey ist in der Arbeiterbewegung aktiv und war damals in Florida vor Ort, um Proteste zu organisieren. Sie hat noch einmal dargelegt , wie sie in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in West Palm Beach damit zugebracht hat, unter den Leuten dort eidesstattliche Aussagen zu sammeln. Bei den meisten handelte es sich um Rentner*innen, die glaubten, ihre Stimmen seien nicht korrekt registriert worden. Sie sammelte eine große Anzahl solcher Berichte, und viele dieser Zeug*innen waren außer sich. McAlevey erkundigte sich dann bei ihren Vorgesetzten: „Wann können wir sie wirklich mobilisieren und diese tollen aber wütenden älteren Bürger*innen auf die Straße und vor die Kameras bringen?“. Doch dazu sollte es nie kommen. Stattdessen antworteten ihr die Gewerkschaftsfunktionär*innen: „Das Wahlkampfteam von Gore hat entschieden, dass das keine Bilder sind, die man haben will. Sie wollen nicht protestieren. Sie wollen keinen Ärger. Sie wollen nicht rüberkommen, als hätten sie kein Vertrauen ins Rechtssystem“.

Da die Gerichte in Florida wie auch der Oberste Gerichtshof der USA mehrheitlich mit Personen besetzt waren, die von den „Republikanern“ bestimmt worden waren, ging man von vornherein davon aus, dass diese Gerichte auch im Sinne der „Republikaner“ entscheiden würden. Wenn die „Demokraten“ die Wahl noch hätten für sich entscheiden wollen, dann wäre ein Kampf um das korrekte Ergebnis unumgänglich gewesen. Klar war, dass die politische Linke die Rechte sowohl auf der Straße wie auch in den Meinungsumfragen würde bezwingen können. Doch die „Democratic Party“ lehnte dies ab. Am Ende stoppte der Oberste Gerichtshof die Neuauszählung, als sich gerade abzeichnete, dass sie zu Gunsten von Gore ausgehen würde. Im Grunde kann von einem „kalten Putsch“ gesprochen werden, mit dessen Hilfe die „Republikaner“ ins Weiße Haus einziehen konnten.

Diese Geschehnisse zeigen, wes Geistes Kind die „Democratic Party“ ist. Als Partei, die für die Konzern-Interessen einsteht, war sie entschlossen, ihre Zuwendung zum Neoliberalismus zu demonstrieren. Ihr war wichtig zu zeigen, dass die von ihr vertretene Politik nicht von sozialen Bewegungen und der Arbeiterbewegung beeinflusst wird. Und dazu gehörte auch, diese Wahlniederlage hinzunehmen.

Die „Demokraten“ haben noch nicht einmal alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft, mit denen sie das Wahlergebnis hätten anfechten können. Wie in der Dokumentation „Fahrenheit 9/11“ von Michael Moore beschrieben, war eine gemeinsame Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus nötig, um das Wahlergebnis anzuerkennen. Es wäre nur ein einziger von eine*r Senator*in unterschriebener Brief nötig gewesen, um Einsprüche zu unterstützen, die in erster Linie von dunkelhäutigen Mitgliedern des Repräsentantenhauses eingelegt worden waren. Damit wäre eine Untersuchung der Wahlergebnisse eingeleitet worden. Doch kein*e einzig*er Senator*in der „Demokraten“ hat ein solches Schreiben aufgesetzt.

Stattdessen ist die „Democratic Party“ aber gegenüber Nader in die Offensive gegangen und hat ihm die Schuld am Wahlsieg von Bush in die Schuhe geschoben. Damit wurden zwei Ziele verfolgt: Man lenkte die Aufmerksamkeit ab von den eigenen Attacken auf die sozialen Bewegungen und schwächte das Erstarken einer unabhängigen Wahlkampagne ab, die für sie eine Gefahr bedeutet hätte.

Die tatsächlichen Ereignisse stützen nicht die Anschuldigungen der „Demokraten“ gegenüber Nader. Gore hatte 2000 nicht nur die Mehrheit der gesamten Stimmen bundesweit sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Florida. Dass er die Wahl nicht gewann, lag einzig und allein am undemokratischen Wahlsystem, dem Obersten Gerichtshof und an der Politik des Partei-Establishments der „Demokraten“. Was Florida angeht, halten die überschaubaren 97.488 Stimmen, die auf Nader entfielen, keinem Vergleich stand zu den 308.000 Wähler*innen in diesem Bundesstaat, die als „Democrats“ registriert waren, ihre Stimme schließlich aber Bush gegeben haben. Mit anderen Worten: Es lag vor allem an der Unzufriedenheit mit den „Demokraten“, dass die Wahl im Jahr 2000 so ausgegangen ist.

Die letztliche Stimmabgabe wurde durch systematische Einflussnahme manipuliert. Vor allem in Florida war dies der Fall. Bei den Wahlen des Jahres 2000 kam es zu direkter Zurückweisung von tausenden von Wahlberechtigten (vor allem aus der „black community“). Sie wurden an der Stimmabgabe gehindert, weil ihre Namen zufällig mit denen von verurteilten Strafgefangenen übereinstimmten. Aber die „Democratic Party“ lehnte es ab, gegen diese Manipulationen vorzugehen.

Für den Aufbau einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiterklasse

Statt dass das Wahljahr 2000 zum Startpunkt einer neuen linken unabhängigen politischen Bewegung wurde, bestand die vollkommen kurzsichtige Herangehensweise „liberaler“ und etlicher linker Kommentator*innen darin, das Mantra vom Stimmenklau Ralph Naders zu wiederholen. Dieser habe Al Gore 2000 den Wahlsieg gekostet. Diese Leute gründeten ihre Aussagen auf ihrer fest verwurzelten Meinung, dass die „Demokraten“ die einzig mögliche Kraft seien, die die Rechte bezwingen kann und somit um jeden Preis geschützt werden muss vor einem Anwachsen einer energiegeladenen linken Bewegung. Dass dies aber ein kapitaler Fehler war, bestätigte sich durch eine große Anzahl an „Demokraten“, die – wie übrigens auch Joe Biden – später dann für die reaktionäre Politik von Bush vor allem hinsichtlich des Irak-Kriegs gestimmt haben.

Heute müssen wir erleben, wie sich die Geschichte zu wiederholen scheint: Die Führung der „Democratic Party“ lehnt es ab, massenhaften Protest gegen die unmenschliche Politik von Trump zu organisieren. Sie lässt zu, wie er gegen Einwanderer-Familien vorgeht, dass er der Natur und Umwelt schweren Schaden zufügt. Und man lässt sogar durchgehen, dass Trump jetzt die Wahlen von 2020 zu stehlen versucht. Darüber, wie man die Nominierung von Bernie Sanders verhindert hat, wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen.

Aus diesen Gründen hat „Socialist Alternative“ einiges daran gesetzt, dass es zu massenhaften Kämpfen auf der Straße kommt , sollte Trump seine Drohungen wahr machen und die Wahlen stehlen. Auf die „Demokraten“ können wir uns einfach nicht verlassen! Deshalb werden wir unseren Aufruf zur Gründung einer neuen Massen-Partei der Arbeiterklasse noch energischer formulieren.