Grand Theft Election?

Zusammengestellt von Claus Ludwig, Köln, basierend auf Texten von: Tom Crean, New York; Cora Bergantinos, New York; Ryan Timlin, Minneapolis; Elan Axelbank, Boston; Keely Mullen, Boston

Veranstaltungshinweis:

Am Donnerstag, den 5. November diskutieren wir mit einem Sozialisten in den USA über die Präsidentschaftswahlen und Perspektiven für den Widerstand. Details hier:

https://www.facebook.com/events/850659922339976

Vor dem Hintergrund einer nie erlebten Polarisierung in der Gesellschaft haben viele Angst davor, was als nächstes passiert. Trump hat wiederholt gesagt, dass er nicht abtreten wird, sollte er die Wahl verlieren. Das hat Ängste vor einer Diktatur und einem Abdriften der USA Richtung Faschismus befeuert. In den bürgerlichen Medien wird das offen diskutiert, zum Beispiel auf den Seiten der New York Times.

Die bürgerliche Demokratie hat der herrschenden Klasse der USA gute Dienste geleistet und sie wird diese nicht leichtfertig aufgeben. Aber die Gleichung ändert sich, wenn die Herrschenden angesichts massiver sozialer Unruhen die Kontrolle verlieren. Trumps Drohungen bezüglich der Wahlen sind auch eine Vorbereitung auf seine Niederlage. Er will damit seine Basis festigen und eine stärker rechts orientierte Bewegung rund um dem Mythos, ihm sei die Wahl gestohlen worden, aufbauen. Aber es wäre ein Fehler zu glauben, seine Drohungen, die Wahl zu stehlen, wären nur ein Bluff, den man ignorieren kann.

Während das republikanische Establishment versucht, den Wähler*innen die Angst vor einem Bürgerkrieg zu nehmen, macht ihre Partei Überstunden, um Wege zu finden, ihrerseits die Wahl zu stehlen. In einigen Staaten könnte das die Mehrheiten kippen. In Pennsylvania, wo Trump 2016 mit 44.000 Stimmen Vorsprung gewann, gibt es eine gerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob Briefwahlstimmen gezählt werden können, die nach dem Wahltag ankommen aber laut Poststempel vor der Wahl abgegeben wurden. In Wisconsin wird ein Gesetz vorbereitet, späte Briefwahlstimmen auszusortieren. Das würde bis zu 100.000 Wähler*innen betreffen. Das könnte die Wahl in dem Staat, den Trump 2016 mit 23.000 Stimmen gewann, zu seinen Gunsten entscheiden. Ähnliches ist für Arizona, Michigan und North Carolina in Vorbereitung.

Ein in den liberalen Medien diskutiertes Szenario ist, dass weitaus mehr Demokrat*innen per Briefwahl wählen als Republikaner*innen. Daher könnte es in der Wahlnacht so aussehen, als ob die Republikaner bei den Stimmen vorne liegen. Trump würde seinen Sieg verkünden und die Republikaner alles unternehmen, um die Auszählung der Briefwahlstimmen zu behindern.

Es ist auch möglich, dass es in der Wahlnacht ein klares Ergebnis gibt, vor allem bei einem Erdrutschsieg der Demokraten. Einige Staaten zählen ihre Briefwahlstimmen früher aus und in anderen werden diese kein großer Faktor sein. Wenn die Demokraten Florida und Texas in der Wahlnacht holen, wäre ihr Sieg klar, auch wenn andere Staaten noch umkämpft wären. In einer solchen Situation gäbe es von der herrschenden Klasse massiven Druck auf Trump, das Ergebnis zu akzeptieren.

Trumps Aufstieg

Das einzige, was Trump retten kann, ist die Unbeliebtheit des mit dem Großkapital eng verbandelten Establishments der Demokraten und deren extrem schwacher Kandidat. Joe Biden ist ein lebenslanger Diener des Kapitals, einer der Architekten des Gefängnissystems und ein Unterstützer der Freihandelsabkommen, die zur Vernichtung von Millionen gewerkschaftlich organisierter Arbeitsplätze geführt haben. Er und seine Vize-Kandidatin Kamala Harris weigern sich mitten in der Pandemie und während einer Wirtschaftskrise, die die katastrophale Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens offengelegt hat und durch die Millionen mit ihrem Job auch ihre betriebliche Krankenversicherung verlieren noch immer, die verbreitete Forderung nach einer allgemeinen staatlichen Krankenversicherung zu unterstützen. Selbst nach dem Waldbrand-Inferno an der Westküste weigern sie sich, einen „Green New Deal“ zu fordern.

Biden führt in den Umfragen durchschnittlich mit 9,7%. Clintons Umfragen-Vorsprung betrug zum gleichen Zeitpunkt 2016 5,3%. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Wahl nicht durch die Gesamtzahl der Stimmen entschieden wird, sondern durch einen Anachronismus aus dem 18. Jahrhundert, dem Wahlmänner-Gremium („Electoral College“). Hillary Clinton hatte drei Millionen Stimmen Vorsprung, aber verlor die Wahl, weil sie in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania hinten lag. Biden liegt nach Umfragen auch in diesen entscheidenden umkämpften Bundesstaaten vorne, ebenso in Florida.

Donald Trump ist Ausdruck des maroden Zustands des US-Kapitalismus. Joe Biden und die Demokraten stehen für eine Fortsetzung der desaströsen pro-kapitalistischen Politik, die den Aufstieg Trumps erst ermöglicht hat.

Weder Trump noch Biden: Protestwahl für Howie Hawkins, Grüne

Socialist Alternative ruft zu einer Protestwahl für den Kandidaten der Grünen, Howie Hawkins, auf. Howie Hawkins ist Sozialist und langjähriger Aktivist der Teamster, der Gewerkschaft der Transportarbeiter*innen. Hawkins’ Programm ist weitgehender als das von Bernie Sanders. Er fordert Medicare für alle, 100% saubere Energie bis 2030, kostenlose öffentliche Hochschulen, kommunale Kontrolle der Polizei und umfassende COVID-19-Hilfen für arbeitende Familien.

Obwohl wir mit Howies Programm einverstanden sind, glauben wir nicht, dass die Grüne Partei das Mittel sein wird, um eine linke politische Alternative aufzubauen. Wir unterstützen Howie Hawkins, weil wir keine Zeit dabei verlieren dürfen, den Leichnam der Demokraten loszuwerden. Die Demokraten sind dafür verantwortlich, dass die populistische Rechte so stark an Boden gewonnen hat. Sie stellen pro-kapitalistische Kandidat*innen auf und verlangen von den Arbeiter*innen, diese zu wählen.

Wenn wir die Politik des Großkapitals besiegen wollen, müssen wir eine neue, von der Führung der Demokratischen Partei völlig unabhängige Partei gründen, die echte demokratische Strukturen und ein Programm für die Arbeiter*innenklasse hat. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 60% der Amerikaner*innen, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit, eine neue Partei wollen. Im Jahr 2016 forderten wir Bernie selbst auf, seine Kampagne zu nutzen, um den Aufbau einer solchen Partei in Angriff zu nehmen. Aber er hat diese historische Chance sowohl 2016 als auch 2020 verpasst.

Andere Organisationen wie die Bewegung für eine ‘Peoples Party’, und Persönlichkeiten wie Nina Turner – Präsidentin von Our Revolution – und RoseAnn DeMoro – ehemalige Geschäftsführerin der National Nurses United – wollen Schritte in Richtung einer neuen politischen Kraft in den USA gehen. Das ist positiv. Die DSA (Democratic Socialists of America) hat aktuell über 70.000 Mitglieder und ist eine der größten Kräfte auf der Linken. Auch sie sollte sich in diesen Prozess einbringen und konsequent mit ihrer Anbindung an die Demokraten brechen.

Der Hauptgrund dafür, dass es den sozialen Bewegungen des letzten Jahrzehnts nicht gelungen ist, einen dramatischen Wandel herbeizuführen, ist das völlige Fehlen von Massenorganisationen für den Klassenkampf in den USA. Die Gründung einer neuen Massenpartei könnte das Blatt wenden. Sie könnte eine Heimat für soziale Bewegungen wie Black Lives Matter, die Arbeiter*innenbewegung und die allgemeinen Kämpfe der Lohnabhängigen gegen Ausbeutung und Unterdrückung sein. Eine deutliche Protestwahl von Howie Hawkins bei den Wahlen 2020 wäre ein Schritt in diese Richtung. Sie würde den Beginn eines beispiellosen Bruchs mit der Demokratischen Partei signalisieren.

Wenn Trump betrügt: Streiken, auf die Straße!

Der beste Weg, den großen Wahldiebstahl zu verhindern, sind Millionen von arbeitenden Menschen, die streiken, unterstützt durch gut organisierte Massendemonstrationen in jeder Stadt. Socialist Alternative hat bereits in einigen Städten Aktionen vorbereitet.

Die Erfahrung des Jahres 2000 zeigt, dass die Demokraten lieber verlieren als eine Massenbewegung zur Verteidigung der demokratischen Wahlen aufzubauen. Der Widerstand muss deshalb unabhängig von der Führung der Demokratischen Partei organisiert werden. Diese hatte es 2000 versäumt, einen Kampf gegen den Wahlbetrug von George W. Bush in Florida zu führen. Stattdessen sollten wir uns auf die Macht der arbeitenden Menschen stützen, um das „business as usual“ zu stören. Die Gewerkschaften sollten in vorderster Reihe stehen, wenn es darum geht, Demonstrierende vor der Gefahr rechter Gewalt zu schützen.

Es wäre ein Fehler, die Rechte nur auf ihrem eigenen Terrain zu bekämpfen, in den Gerichten und Verwaltungen, weit entfernt von den arbeitenden Menschen. Wir können von den großen Aufständen gegen Rassismus im vergangenen Sommer lernen. Auf dem Höhepunkt der Proteste weigerten sich gewerkschaftlich organisierte Busfahrer*innen in Minneapolis, darunter Mitglieder von Socialist Alternative, der Polizei zu helfen, festgenommen Demonstrant*innen ins Gefängnis zu fahren, gewannen damit Zeit für die Proteste und verhinderten Massenfestnahmen. Busfahrer*innen in anderen Städten sind dem Beispiel gefolgt.

Wenn die Republikaner versuchen, die Stimmauszählung in bestimmten Staaten zu stoppen, muss diese verteidigt werden. Es gibt Aufrufe von Trump-Unterstützer*innen, am Wahltag die Wahllokale zu betreten, um die Wahl zu „überwachen“. Das dient dazu, die Wahl zu stören und den Menschen Angst einzujagen oder sie an der Wahl zu hindern. Wo diese Drohung umgesetzt wird, muss die Arbeiter*innenbewegung die Initiative ergreifen um die Wahllokale zu verteidigen. Das könnte durch Telefonketten von Gewerkschafter*innen erreicht werden, die sofort zu Wahllokalen aufbrechen, in denen Rechtsextreme Wähler*innen einschüchtern.

Der örtliche AFL-CIO (gewerkschaftlicher Dachverband) in Rochester hat bereits einen Aufruf zum Generalstreik beschlossen, sollte Trump die Wahl stehlen. Ein Massenstreik ist das stärkste Instrument der arbeitenden Menschen, um autoritäre Herrscher*innen zu Fall zu bringen. Ähnliche Beschlüsse sollten im ganzen Land gefasst werden.

Eine Massenbewegung gegen einen Wahlbetrug durch Trump sollte sich nicht darauf beschränken, die demokratischen Rechte zu verteidigen, so wichtig das auch ist. Sie sollte Forderungen im Interesse der arbeitenden Menschen aufstellen, wie die Wiedereinführung des 600-Dollar-Zuschlages auf das Arbeitslosengeld, die Aussetzung von Mieten, Gesundheitsversorgung für alle und einen Green New Deal. Das wird mehr Menschen motivieren, sich aktiv in die Bewegung einzubringen. Für den Fall eines Biden-Wahlsieges sollte eine solche Bewegung die Grundlage für Kämpfe schaffen, die Demokraten massiv unter Druck zu setzen, Maßnahmen zum Schutz der Arbeitenden umzusetzen.

Ein Streik der Millionen würde der Klasse der Milliardäre zeigen, dass Wahlbetrug nicht akzeptiert wird. Das wäre ein Startsignal für eine revitalisierte Bewegung gegen Rassismus und alle Arten von Ungleichheit. Ein erfolgreicher Massenstreik mit klaren Forderungen würde der Rechten eine Niederlage zufügen und könnte gleichzeitig die Grundlage für eine neue Partei der Arbeiter*innen schaffen, die sowohl dem Rechtspopulismus als auch den Demokraten entgegen tritt, die beide den Interessen des Kapitals dienen. Die arbeitenden Menschen haben eine große Macht, sie können weitaus mehr tun als nur wählen. Gewerkschaften sind ein Ausdruck dieser Macht. Wir müssen uns jetzt organisieren, um die Wahl zu verteidigen und für für eine Welt zu kämpfen, in der die Bedürfnisse der Menschen zählen, nicht die Gier der Konzerne.

Kampf gegen die extreme Rechte

Die wirtschaftliche und soziale Krise des US-Kapitalismus nach 2008-2009, der schon Jahrzehnte neoliberaler Angriffe auf die Errungenschaft der arbeitenden Menschen vorangegangen waren, wird heute weit übertroffen. Das hat zu einer massiven politischen Polarisierung geführt. Gleichzeitig fehlt es an einer kämpferischen organisierten Arbeiter*innenbewegung und einer linken Partei, die einen Ausweg zeigen und die multiethnische Arbeiter*innenklasse vereinigen könnten.

Im Großen und Ganzen hat sich die Gesellschaft in den USA in den letzten 15 Jahren nach links entwickelt. Das wird zum Beispiel deutlich an der Unterstützung für die öffentliche Krankenversicherung für alle, für Gewerkschaften, gegen Rassismus und bei der Unterstützung für LGBTQI-Rechte. Es gab eine besondere Radikalisierung bei jungen Menschen. Gleichzeitig erleben wir in Teilen der Gesellschaft eine Radikalisierung nach rechts, die sich unter Trump verstärkt hat. Wir sehen einen Aufbruch der extremen Rechten, der sich in verschiedenen Phänomenen ausdrückt – inklusive der Unterstützung für die QAnon-Verschwörungstheorie und der Mobilisierung von „Milizen“.

Die extreme Rechte in den USA ist größer, sichtbarer und selbstbewusster als in den letzten Jahrzehnten. Wird keine linke Alternative aufgebaut, während das System in die Krise abschmiert, kann sie weiter wachsen. Das Southern Poverty Law Center berichtet, dass die Zahl der weißen nationalistischen Gruppen von 2017 auf 2019 um 55% gestiegen ist, die weiße nationalistische Gewalt nimmt zu. Es ist deutlich geworden, dass die extreme Rechte großen Einfluss in den Polizeikräften überall im Land hat.

Selbstverteidigung

Jede Strategie gegen die Rechten muss kurzfristig Taktiken zur kollektiven Selbstverteidigung beinhalten. In diesem Sommer haben wir zahlreiche Beispiele dafür gesehen, dass wir uns nicht auf die Polizei oder Nationalgarde verlassen können, wenn es darum geht, rechte Gewalt zu stoppen. In einigen Fällen, wie in Kenosha, ließ die Polizei bewaffnete Rechtsextremisten wie Kyle Rittenhouse gewähren und ermutigte sie zu ihren Verbrechen. Statt staatlichen Kräften zu vertrauen, sollten wir auf Treffen in den Nachbarschaften Gruppen von Ordner*innen wählen, die die Proteste schützen.

Während die gut organisierte Selbstverteidigung wichtig ist, ist es entscheidend, dass die Arbeiter*innenklasse Initiativen ergreift, um ihre Stärke zu nutzen und die Rechte zurückzuschlagen. Auf dem Höhepunkt der Rebellion in Minneapolis oder der Straßenkämpfe in Portland hätte ein eintägiger, stadtweiter Generalstreik die Polizei und die extreme Rechte weit mehr zurückgeworfen als Straßenkämpfe mit der Polizei. Forderungen der Bewegung hätten durchgesetzt werden können. Wenn die Arbeiter*innenklasse ihre Muskeln spielen lässt, kann vieles erreicht werden.