Österreich: Großdemonstration gegen den 12-Stunden-Tag

Über 100.000 beteiligen sich an der größten Demonstration seit 2003 – doch der Kampf ist noch nicht vorbei!

Am Samstag den 30. Juni war die Mariahilferstraße in Wien voll. Übervoll. Der ÖGB hatte zur Demonstration gegen den geplanten 12-Stunden-Tag aufgerufen und weit über hunderttausend Menschen aus ganz Österreich waren gekommen. Die Spitze der Demonstration war längst am Heldenplatz, wo die Abschlusskundgebung vorgesehen war, angelangt, als die letzten DemonstrantInnen den Christian-Broda-Platz verlassen hatten.

Von Sonja Grusch, Bundessprecherin der Sozialistischen LinksPartei (www.slp.at)

Während die Polizei anfangs nur von 25.000 TeilnehmerInnen sprach, musste sie später auf 80.000 korrigieren. Es gibt Gerüchte dass jene, die für die Polizeizahlen zuständig waren, in einem Naheverhältnis zur FPÖ stehen… Tatsächlich waren es wohl mehr als 100.000 Menschen, die in einem lauten, bunten und kämpferischen Demozug über die Mariahilferstraße zogen. Auch die SLP war mit dabei. Wir hatten nicht nur im Vorfeld für die Demo mobilisiert sondern auf dem Protest selbst wurden 250 Ausgaben von unserer Zeitung Vorwärts verkauft und etwa ebenso viele Buttons – wobei jene mit “Streik” am beliebtesten waren. 2.500 Flugblätter mit unserem “Aktionsprogramm” wurden verteilt und über 50 Exemplare unserer Streikbroschüre verkauft. Die SLP beteiligte sich aber auch, gemeinsam mit anderen, an der Organisation eines Gewerkschaftsbasis-Lautsprecherwagens mit dem Motto „wir sind Streikbereit“, der kämpferischen BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen die Möglichkeit gab, ihre eigenen Forderungen und Vorschläge für den Widerstand einzubringen.

All das zeigt das enorme Interesse an Vorschlägen dafür, wie der Kampf gewonnen werden kann.

Blitzmobilisierung

Obwohl die Pläne für 12/60 schon lange bekannt waren, hat die Regierung bis wenige Stunden nach dem ÖGB-Kongress Mitte Juni gewartet, um zu verkünden, dass sie das Gesetz bis 4. Juli durchbringen will. Dafür wurden sogar die ohnehin beschränkten demokratischen Regelungen noch umschifft. Auch hatten Kurz und Strache wohl darauf gehofft, dass es ihnen die Ferienzeit leichter machen würde, ihren Angriff ohne allzu großen Widerstand durch zu bringen. Doch sie haben die Wut der ArbeiterInnenklasse und den Druck, unter dem die Gewerkschaftsführung steht, unterschätzt. In weniger als zwei Wochen hatte der ÖGB in allen Bundesländern Betriebsrätekonferenzen organisiert, zu denen tausende zusammen kamen. Dazu kamen und kommen in diesen Tagen hunderte Betriebsversammlungen, einige davon wie bei den ÖBB, die Verkehrsbetrieben in Graz oder auch bei der Voest haben Streikcharakter.

Und dann die machtvolle Demonstration; beeindruckend waren nicht nur die Menschenmassen, sondern auch die Zusammensetzung. Es waren keineswegs nur alte Funktionäre, sondern viele Junge, viele davon wahrscheinlich nicht einmal Gewerkschaftsmitglieder, viele vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Demonstration. Es ist beeindruckend, wie stark die Mobilisierungsfähigkeit der ArbeiterInnenklasse in Österreich ist – und wer je daran gezweifelt hat, dass die ArbeiterInnenklasse existiert, dass sie bereit ist zu kämpfen, der wurde auf dieser Demonstration eines Besseren belehrt. Wenn das nächste Mal GewerkschaftsfunktionärInnen meinen, man könne auf einen Angriff nicht so rasch reagieren, weil sowas “Zeit braucht”, dann müssen wir sie an diese Demonstration erinnern, wo innerhalb von weniger als zwei Wochen über hunderttausend Menschen mobilisiert worden sind!

Es gab unzählige Transparente und Tafeln – viele hatte die Gewerkschaft vorbereitet, aber viele waren auch selbst gestaltet. Dass es gegen den 12-Stunden Tag ging, war darauf klar zu lesen, viele richteten sich auch insgesamt gegen die Regierung – auch die Forderung nach Streik war sehr präsent.

BetriebsrätInnen-, Basis- und Initiativenblock „Wir sind Streikbereit“

Eine Besonderheit dieser Demonstration war aber auch, dass es nicht nur Lautsprecherwagen von verschiedenen Fachgewerkschaften gab, sondern auch einen von BetriebsrätInnen und AktivistInnen an der Gewerkschaftsbasis organisierten Lautsprecherwagen und Block. Schon auf dem ÖGB Kongress 2018 hatten kämpferische Betriebsratsmitglieder und aktive Beschäftigte einen Initiativantrag eingebracht, der sich für einen entschlossenen Aktionsplan gegen die Schwarz-Blaue Regierung aussprach. Der Lautsprecherwagen auf der Demo wurde organisiert von dem Betriebsrat der Wiener Kinder- und Jugendbetreuung, dem Betriebsrat des Wohnservice Wien, den Basisinitiativen „Sozial aber nicht blöd“ und „ÖGB aufrütteln“, Komintern und der SLP.

Der Block war geprägt von einer kämpferischen und entschlossenen Stimmung. Auf Tafeln standen Slogans wie „Generalangriff erfordert Generalstreik“, „12-Stunden-Tag wegstreiken“ und es wurden Sprüche wie „ÖGB sei nicht feig höchste Zeit für Massenstreik“, „Arbeitszeit verkürzen – Schwarz-Blau stürzen“ oder „Wir sind Streikbereit“ gerufen.

Außerdem gab es Reden von verschiedensten BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen. Irene Mötz und Marianna Mollay, vom Betriebsrat Wohnservice Wien, betonten die Notwendigkeit von Streikmaßnahmen, vor allem weil es gerade in schlechter organisierten KVs schwierig werden wird, in den KV-Verhandlungen alle Verschlechterungen abzuwehren. Gerhard Ziegler, der Betriebsratsvorsitzende von Bilfinger Shared Services, berichtete auf dem Wagen darüber, dass auf einer gemeinsamen BV von Bilfinger Shared Services, MCE Gmbh und Bilfinger Chemserv Gmbh / Headquarter eine Resolution verabschiedet wurde, die Streikmaßnahmen gegen die Angriffe der Regierung unterstützt. Eine Aktivistin von Sozial aber nicht blöd betonte nicht nur die negativen Auswirkungen des 12-Stunden-Tag auf AlleinerzieherInnen, sondern auch die Notwendigkeit einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Selma Schacht und Hemlut Ilpser, BetriebsrätInnen aus dem Sozialbereich (sowohl von der Wiener Kinder- und Jugendbetreuung als auch der Wiener Sozialdienste), berichteten über ihre Streikerfahrungen im Februar. Auch ein Aktivist vom Bündnis Flüchtlingsarbeit und VertreterInnen der ATIGF waren auf dem Demowagen präsent. Michael Gehmacher, aktiv bei Sozial aber nicht blöd und der SLP, betonte außerdem die Notwendigkeit, auch eine politische Alternative zu den bestehenden Parteien aufzubauen.

Gerade da von der Gewerkschaftsspitze aktuell kaum konkrete Vorschläge oder Pläne kommen, wie unser Widerstand tatsächlich gewonnen werden kann, ist es umso wichtiger, dass sich kämpferische Gefolgschaftsmitglieder zusammentun und sich mit eigenen Vorschlägen und Forderungen in die Gewerkschaft einbringen. Eine erste Möglichkeit, genau das zu tun, sind die unzähligen Betriebsversammlungen, die österreichweit stattfinden.

Was jetzt?

Im Vorfeld und nach der Demonstration finden in ganz Österreich unzählige Betriebsversammlungen statt. Der ÖGB fährt mit ÖBB, Voest & Co. die “schweren Geschütze” auf. Viele der Betriebsversammlungen haben Streikcharakter. Allein an den BV in der ÖBB beteiligten sich über 10.000 Beschäftigte. Das ist gut und nötig, denn es geht ja darum, den Beschluss des Gesetzes zu verhindern und nicht nur, ein starkes Zeichen zu setzen. Doch v.a. braucht es eine Strategie, um den Kampf zu gewinnen. Sebastian Kurz hat schon angekündigt, dass er trotz Demonstration nicht bereit zu neuen Verhandlungen ist.

Die SLP war Teil des ÖGB-Aufrütteln Blocks. Auf 2.500 Flugblättern verbreiteten wir unseren Vorschlag für einen “Aktionsplan, um zu gewinnen” (https://www.slp.at/artikel/f%C3%BCreinenaktionsplanumzugewinnen-9006). Lassen wir uns nicht von der vermeintlich stabilen Regierung einschüchtern! Die EU-Ratspräsidentschaft und die Spannungen zwischen FPÖ und ÖVP bieten viel Sprengstoff. Und das noch bevor die ArbeiterInnenklasse wirklich zu kämpfen begonnen hat. Es ist gut das der ÖGB jetzt Schritte zum Kampf macht, auch wenn vieles zu spät und zu schaumgebremst wirkt. Viele KollegInnen kritisieren zu Recht, dass auf den Betriebsversammlungen zum x-ten mal wiederholt wird, warum 12/60 schlecht ist, was ohnehin alle Anwesenden wissen, aber nicht wirklich gesagt wird, WIE das gestoppt werden soll. Die Geheimniskrämerei der ÖGB-Führung hält Informationen v.a. von der eigenen Basis fern; die Regierung weiß schon, wie sie sich die Infos besorgt. Was wir jetzt brauchen sind Streikmaßnahmen, um den Beschluss des Gesetzes zu verhindern oder eine Rücknahme zu erzwingen. Aktuell gibt es eine Dynamik, die ausgenutzt werden muss, um allen unsozialen und rassistischen Maßnahmen der Bundesregierung einen Riegel vorzuschieben. Die bisherigen Mobilisierungen haben etwas gestartet, was nicht einfach wieder gestoppt werden kann. Es ist offen, was die kommenden Tage bringen werden, aber eines ist sicher: der Kampf ist noch nicht vorbei!