„Die feministische Bewegung traf mich als Marxistin“

Interview mit Frigga Haug, marxistische Feministin, Aktionsrat zur Befreiung der Frauen 1968

Warum bezeichnest Du Dich als marxistische Feministin und nicht nur als Feministin?

Das ist autobiografisch ganz leicht zu beantworten. Ich komme aus der Antiatombewegung Ende der 1950er Jahre gegen die atomare Wiederbewaffnung, war also politisiert schon zehn Jahre vor der Studentenbewegung. Politisch organisiert war ich zudem im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), eingetreten, als er gerade von der SPD ausgeschlossen wurde. Innerhalb dieses SDS war ich wissenschaftlich kritisch herausgefordert von einer Gruppe, die Flugschriften herausgab und sich nach und nach zur Zeitschrift Das Argument entwickelte, bei der ich bis heute bin. In diesem Zusammenhang haben wir Marx studiert, zunächst die Grundrisse dann das Kapital. Die Antwort auf deine Frage heißt: Weil ich lange bevor ich Frauenfragen und Feminismus für mich als wesentliche Existenz- und Forschungsfragen entdeckte, Marxistin war. Als die feministische Bewegung von den USA auf die Bundesrepublik überschwappte, traf sie mich als Marxistin eher als Gegnerin, begriff ich sie als eine Entpolitisierung meiner erst noch um ihre Fundierung ringenden marxistischen Politik. Ich musste erst als abgebrochene Studentin, mit einem Baby auf einem Dorf unweit Köln schmerzhaft erkennen, dass die Fragen von Frauen in dieser Gesellschaft meines eigenen politischen Aufbruchs in Richtung Frauenbefreiung und einer sehr strategischen Verlebendigung von Marxismus bedurften. Und jetzt ging es erst los. Jetzt erst traute ich mich, mich auch Feministin zu nennen, ohne dass ich damit aufhörte, Marxistin zu sein.

Bei den Sozialismustagen wirst Du über deine Erfahrungen im Aktionsrat zur Befreiung der Frauen 1968 sprechen. Worum ging es Euch damals vor allem?

Auch diese Frage kann ich nur historisch konkret und auch von meinen eigenen Interventionen her einigermaßen wahrheitsgemäß beantworten. Den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen gab es schon einige Monate, als ich aus dem Dorf zurück nach Berlin kam, auf der Suche, mein aus dem seltsamen Hausfrauendasein eingeknicktes Selbstbewusstsein in politisch notwendige Tat zu wenden, kurz, neu und anders politisch eingreifend tätig zu werden. Den Aktionsrat fand ich mit seinen ungefähr hundert Frauen, die zu so einem monatlichen Treffen kamen, angeleitet durch Helke Sander, damit befasst, eine Aktion zur Agitation von Kindergärtnerinnen für einen Streik zu planen bis ins Detail, bis hin zur Art, wie wir gekleidet sein wollten auf der entsprechenden Demonstration, nicht sexy ablenkend, sondern eher unauffällig, alle mit dem gleichen gelben Halstuch geschmückt, und Flugblätter zur Bedeutung der Kindergärtnerinnenarbeit und der Mütter zu entwerfen. Schon von diesem Anfang an griff ich ein, enttäuscht über die Konzentration auf die Mutter und Kindfrage, obwohl ich selbst eine der wenigen Mütter dort war. Ich schlug dagegen zwei Initiativen vor, die den Frauenzusammenschluss von da an bestimmten: erstens, die Suche nach der Ursache von Frauenunterdrückung über Jahrtausende tatsächlich wissenschaftlich zu ergründen, um sie an den Wurzeln zu packen und entsprechend Politik zu machen, und zweitens dafür die Bildung und Schulung von Frauen in kleinen Gruppen jede nach ihrer beruflichen Verankerung und Wahl voranzutreiben, kurz Schulungsgruppen zu gründen, die eine lange Literaturliste, angefangen mit den marxistischen Klassikern, abarbeiteten und ebenso monatlich am gleichen Tag sich abends um 20 oder 21 Uhr trafen (wegen der Kinder), um die jeweiligen Ergebnisse und neuen Aktionen auszutauschen. Der Aktionsrat spaltete sich über diese Frage. Wir nannten diesen größeren Teil, der sich um die zwei Fragen organisierte, um in „Sozialistischer Frauenbund Westberlin“. Im Namen ahnt man, dass er sich doppelter Militanz verpflichtete. Am 8. März wie am 1. Mai mit eigenen Blöcken von uns und eigenen Schildern wie „Kinder – Küche – Heim und Herd sind kein ganzes Leben wert“. Dieser sozialistische Frauenbund mit eigener Zeitung blieb aktiv bis in die späten 1970er Jahre. Wie auch die gesamte Frauenbewegung diejenige der neuen sozialen Bewegung wurde, die die längste Dauer hatte, ja, noch heute gestritten wird, ob es sie nicht eigentlich doch noch gibt.

Was können wir aus den Kämpfen für Frauenbefreiung, an denen Du damals teilgenommen hast, für heute lernen?

Das mache ich ganz kurz, weil es zu viel ist: An allem zu zweifeln, alle Gewohnheiten misstrauisch zu hinterfragen, alle selbstverständlichen Sätze, die so einfach geantwortet werden, zu fragen, woher sie kommen, wem sie nützen, die Veränderungen in der Gesellschaft zu studieren, die Kräfteverhältnisse zu beobachten, Bündnisse zu schließen, sich nicht in die Vereinsamung treiben zu lassen, und die ganz schwierige Frage, wie die widerständigen Frauen, in ihrer besonderen Andersheit in der Gesellschaft eine Transformation anstoßen können mit ihren kulturellen Erbe und ihrer sozialen Positionierung. So haben wir von Anfang an auf eine Lernbewegung gesetzt, aber nicht aufgehört, nachdem wir die Bücher studiert hatten und die Schriften, nachdem wir uns die Köpfe heiß geredet hatten, sondern die Erfahrung damit in unsere Leben übersetzt. Kurz wir verbrachten mehr und mehr Zeit miteinander, gingen zusammen zum Skilaufen, und machten aus den Lektürekursen Aufenthalte in Bildungsstätten, in denen wir zusammen kochten und musizierten und schrieben. Wir gründeten auch ein europäisches Forum linker Feministinnen, und wieder gewannen wir aus dem Zusammensein sehr schnell die Kenntnisse über die Kämpfe in den verschiedenen Ländern, und was wir sonst langsam und mühsam gelernt hätten, lernten wir in der Bewegung wie im Fluge. Dieses lässt sich nicht sogleich verallgemeinern. Aber es bleibt zu lernen, dass es auch des gemeinsamen Lebens wenigstens in Abschnitten bedarf, um gemeinsam die Welt zu verändern und also dieses schon zugleich zu beginnen.

Das ist ein Werk für Generationen immer noch. Vor drei Jahren habe ich mit den vielen Frauen, die ich aus den Zeiten der Bewegung, aus vielen Aktionen und Konferenzen und Kongressen und Veröffentlichungen kannte, die marxistisch feministische Internationale gegründet, sie trifft sich in diesem Jahr zum dritten Mal (nach Berlin und Wien in Lund, Schweden) und lebt noch und weiß, wie wichtig es ist, weiter zu kämpfen und wie schwierig und wie heiter und belebend und utopisch es ist, unter so vielen Frauen die kleinliche Konkurrenz in den gewohnten politischen Gruppen in solchen Ausnahmezeiten und intensiven Treffen nicht leben zu müssen. Wenigstens waren Konkurrenz und Profilierung und Streit um Führung bislang wenig dominant.

Das Interview führte Lucy Redler.

Frigga Haug spricht bei den Sozialismustagen am 1. April 2017 um 10 Uhr über „Frauen in der `68er Revolte“. www.sozialismustage.de