„Die Wut nicht unterschätzen“

Interview mit dem Bremer Direktkandidaten und SAV-Mitglied Sebastian Rave

Sebastian, du kandidierst im Wahlkreis Bremen I für DIE LINKE zu den Bundestagswahlen. Was sind die wichtigsten Themen für die Menschen in deinem Wahlkreis?

Der Wahlkreis ist ziemlich groß und umfasst das szenige Steintorviertel und die Hochhausvorstadt Tenever ebenso wie den Reichenstadtteil Schwachhausen. In keinem Bundesland geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander als in Bremen. Bremen führt regelmäßig die Armutsstatistiken an. Gleichzeitig leben hier 164 Einkommensmillionäre mit einem jährlichen Durchschnittseinkommen von 3,3 Mio. Euro. Damit hat Bremen nach Hamburg die zweithöchste Millionärsdichte. Weil die Bundes- und Landespolitik an diesen Reichtum aber nicht ran will, herrscht in Bremen Haushaltsnotlage. Dringend benötigte Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales werden nicht getätigt. Für die Sanierung von Schulen braucht es 160 Millionen Euro, es fehlen über 4000 Kitaplätze, 5000 bezahlbare Wohnungen, 1200 Pflegekräfte in Krankenhäusern. Ohne diese Investitionen steigt die soziale Spaltung immer weiter. Wer aus einem armen Stadtteil kommt, hat schlechtere Bildungschancen und am Ende sogar eine deutlich niedrigere Lebenserwartung – im migrantisch geprägten Gröpelingen leben die Menschen im Schnitt sieben Jahre kürzer als im reichen Schwachhausen.

Vor kurzem hat die AfD versucht ein Büro in der Straße, in der du wohnst, zu eröffnen. Was sind wirksame Gegenstrategien gegen die Rechten im Wahlkampf und darüber hinaus?

Ich glaube, man muss die AfD mit politischen Argumenten und mit vielen Menschen zusammen bekämpfen. Nach der Eröffnung des Büros in der sehr migrantisch geprägten Falkenstraße waren viele in der Straße empört. Viele GeschäftsinhaberInnen haben unsere Fensterplakate gegen die AfD aufgehängt. Zu einer ersten Protestversammlung vor dem Büro kamen trotz kurzer und nur lokaler Mobilisierung siebzig Leute. Dann gab es einen nächtlichen Steinwurf gegen das Fenster des Büros, was es der AfD leicht gemacht hat, unseren Protest zu diskreditieren und sich in der Opferrolle zu suhlen. Der Landesverband in Bremen ist von dem rechten Parteiflügel dominiert. Landessprecher Frank Magnitz ist ein guter Freund von Björn Höcke. Der Vorsitzende der Jungen Alternative, Marvin Mergard, hat enge Verbindungen zur rechtsextremen Identitären Bewegung. Jetzt hat die AfD Kreide gefressen und sich in einem Brief an die Nachbarschaft als freundliche demokratische Partei präsentiert. Wir versuchen, weiter Proteste zu organisieren, die eine breite Teilnahme von AnwohnerInnen ermöglichen. Als nächstes planen wir ein großes Straßenfest gegen die AfD. Um die AfD dauerhaft loszuwerden, ist eine Bewegung nötig, die Wohnungsnot, Lohndumping, Armut und ihre Ursache von all dem, den Kapitalismus, angreift. Die AfD nutzt die weit verbreitete Wut über diese Probleme und richtet sie gegen die, die ohnehin schon ganz unten sind. Stattdessen braucht es einen gemeinsamen Kampf von MigrantInnen, Geflüchteten und hier geborenen Menschen für bessere Löhne, mehr Wohnungen und soziale Sicherheit für alle.

DIE LINKE hat mit ihrem Bundestagswahlprogramm viele gute kämpferische Forderungen beschlossen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die sich von keiner Partei mehr vertreten fühlen. Wie kann DIE LINKE diese Menschen erreichen?

Ich glaube, es würde helfen, etwas unangepasster aufzutreten. Einige in der LINKEN sagen ja, dass man mehr Menschen erreichen würde, wenn man auf Realpolitik setzt und eine Koalition mit SPD und Grünen anstrebt. Ich glaube, das ist ein Irrtum. Es gibt sehr viele Menschen, die sauer sind auf abgehobene Politiker und „die da oben”. Diese Wut darf man nicht unterschätzen. Und man darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als würde man zum Establishment gehören. DIE LINKE hat teilweise ein Glaubwürdigkeitsproblem. Viele finden die linken Forderungen gut, glauben aber, dass wenn DIE LINKE erstmal an der Regierung ist, sie ihre Versprechen nicht umsetzen wird. Das wird ja leider auch in einigen Regierungsbeteiligungen bestätigt. In Berlin, Brandenburg und Thüringen fehlt jetzt eine linke Oppositionskraft, um Proteste gegen Personalabbau im Öffentlichen Dienst, Abschiebungen oder Zwangsräumungen zu organisieren. Statt darauf zu hoffen, den Kapitalismus besser zu verwalten als die anderen Parteien, sollte DIE LINKE lieber darauf setzen, Menschen für ihre guten Forderungen zu mobilisieren und zu organisieren, sich in den Stadtteilen und an den Arbeitsplätzen verankern, und so gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um wirkliche Veränderung in der Gesellschaft zu erreichen.