Frankreich: Erste Runde der Parlamentswahlen

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Niedrige Wahlbeteiligung relativiert Macrons Sieg

Inmitten des Trubels um den großen Stimmenanteil für die Partei des neuen Präsidenten in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen am vergangenen Samstag (11. Juni) macht sich Unbehagen in der Gesellschaft breit. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten hat sich an den Parlamentswahlen in Frankreich beteiligt. Das ist rekordverdächtig. Ein Großteil der Wahlberechtigten hat entweder gar nicht oder nur mit wenig Begeisterung seine Stimme abgegeben.

Clare Doyle, Komitee für eine Arbeiterinternationale

Die LREM („La Republique en Marche“; dt.: „Republik im Aufbruch“), Macrons gerade erst gegründete neue Partei, könnte nach der am kommenden Sonntag anstehenden zweiten Wahlrunde auf bis zu 445 der insgesamt 577 Sitze in der Nationalversammlung kommen. Sie hätte damit die „wahrscheinlich größte Mehrheit seit der konservativen Regierung von Präsident Charles de Gaulle, der 1968 zusammen mit seinen Koalitionspartnern auf achtzig Prozent der Sitze kam“, so der Kommentar der Nachrichtenagentur „Reuters“ (nach der ersten Runde, in der LREM auf 58 Prozent der Wählerstimmen gekommen ist). Damals verzeichnete man eine Wahlbeteiligung von fast achtzig Prozent. (An dieser Stelle sollte auch daran erinnert werden, dass es für de Gaulle nur ein Pyrrhussieg war, da es schon nach einem Jahr zu einem Referendum kam, von dem er seine Zukunft abhängig machte. Das Referendum ging gegen ihn aus und er zog sich aus dem politischen Leben zurück.) Heute kommt LREM in Wirklichkeit auf lediglich 6,3 Millionen Stimmen. Das ist weit schlechter als das Ergebnis von Hollande von 2012 (10,3 Millionen reichten für die „Präsidenten-Mehrheit“ in der ersten Runde) oder das von Sarkozy 2007 (elf Millionen).

Bei weniger als einem Viertel der WählerInnen war Macron die erste Wahl. Sein Stimmanteil lag bei knapp über 16 Prozent derer, die wahlberechtigt waren. Das ist tatsächlich weniger als der Anteil, den die unglückselige Theresa May vergangene Woche in Großbritannien auf sich vereinen konnte. Die rechts-konservativen „Les Republicains“ wurden mit 15,77 Prozent Zweite und der „Front National“ von Le Pen kam auf 13,2 Prozent. Marine Le Pen selbst führt in ihrem Wahlkreis Henin-Beaumont (Nord), könnte aber wie schon bei den Präsidentschaftswahlen noch überholt werden. Damals hatte Macron aufgrund der Stimmen, die gegen Le Pen abgegeben worden waren, noch gewonnen. Am Ende könnte ihre Partei mit nicht mehr als vier Sitzen im Parlament dastehen. 15 Abgeordnete sind hingegen nötig, um eine Fraktion bilden zu können, mit der das Rederecht in jeder Debatte und das Recht Gesetzentwürfe einzubringen verbunden ist.

„France Insoumise“ („Das aufständische Frankreich“) ist die Organisation von Jean-Luc Mélenchon, der mit seinem an den Interessen der Beschäftigten ausgerichteten und antikapitalistischen Programm bei den Präsidentschaftswahlen sieben Millionen Stimmen gewonnen und damit nur knapp die zweite Wahlrunde verpasst hatte. Auch diese Struktur hofft auf ausreichend Stimmen, um in Fraktionsstärke in der Nationalversammlung vertreten zu sein. Mit elf Prozent der abgegebenen Stimmen in der ersten Runde der Parlamentswahlen hat „Das aufständische Frankreich“ besser abgeschnitten als die ex-sozialdemokratische, „glücklose“, sogenannte „Parti Socialiste“ (PS).

Der Stimmanteil der bisher regierenden und pro-kapitalistischen PS brach von 29,35 auf 7,4 Prozent (9,5 inklusive ihres Wahlbündnisses) ein. Francois Hamon, der Präsidentschaftskandidat der Partei, wurde in seinem Wahlkreis ebenso abgestraft wie der Vorsitzende der PS, Jean-Christophe Cambadelis, der einräumte, dass die erste Runde ein „beispielloser“ Rückschlag für die Partei sei, die zwischen dreißig und vierzig Sitze erwartet hatte. Die Zukunft der Partei steht auf der Kippe. Wie „Gauche Révolutionnaire“, die SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Frankreich, erklärt hat, könnte es zu einer Dreiteilung der PS kommen und somit zum Verschwinden der einstmals sozialdemokratischen Partei. Bis vor zwei Wochen stellte sie noch sowohl den Präsidenten als auch die größte Fraktion im Parlament.

Kollaps der Sozialdemokratie

Weil die „Sozialisten“ der PS es ablehnten, sich mit den Arbeitgebern und Banken in Frankreich anzulegen und sie für die Wirtschaftskrise zahlen zu lassen, haben sich ArbeiterInnen, junge Leute und die Mittelschichten im Frühjahr letzten Jahres an einer massenhaften Streik- und Demonstrationsbewegung beteiligt. Und obwohl die Regierung vorgab links zu sein, kam es im Gegenzug zu einer nie dagewesenen Welle an Repression von Seiten des Staates. Hollande nahm Macron, der aus dem Bankwesen kommt und keiner Partei angehörte, als Wirtschaftsminister in sein Kabinett. Er sollte dabei helfen, die in der Bevölkerung verhasste Reform des Arbeitsrechts durchzusetzen. Als Präsident hat er nun seine Absicht erklärt, diesen Weg weiter zu gehen und neue Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Beziehung zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern regeln sollen. Diese Gesetze sollen im Juni mit Präsidialrecht durchgebracht werden und im September in Kraft treten.

Die Gewerkschaftsvorsitzenden haben ihn gewarnt, er solle bei diesen Plänen „langsam vorgehen“, und allmählich ist die Rede von Protestdemonstrationen im Juni (noch vor den landesweiten Sommerferien). Es sollte aber noch wesentlich mehr getan werden. Macron hat bereits gemerkt, dass er ausreichend Macht in seinen Händen hat, um neue Pläne hinsichtlich des Ausnahmezustands anzukündigen, der in Frankreich immer noch gilt. Dieser könnte per Gesetz zum Dauerzustand erklärt werden.

In der kapitalistischen Presse wird Macron als weder links noch rechts dargestellt. Dabei ist sein Programm offenkundig an den Konzerninteressen ausgerichtet: Die Angriffe auf den Sozialstaat sollen fortgesetzt werden, während den Reichen Steuervergünstigungen ins Haus stehen. Rachel Mahe von „Gauche Révolutionnaire“ sagte in einer Rede nach der Wahl vor ihren AnhängerInnen im südfranzösischen Wahlkreis Drome: „Die Politik von Macron wird auf einen ‚sozialpolitischen Staatsstreich‘ hinauslaufen. Ab sofort muss der Widerstand der Massen organisiert werden!“. Unsere Genossin hatte dort auf der Liste von „France Insoumise“ kandidiert und war auf beachtliche zehn Prozent der abgegebenen Stimmen gekommen. Das ist das beste Ergebnis, das einE KandidatIn der „Linken“ in ihrem Wahlkreis bekommen hat (noch vor der PS und weit vor der „kommunistischen“ Partei, die es abgelehnt hatte, mit ihr zusammen ein Wahlbündnis zu schmieden, obwohl dies im Vorfeld angeboten worden war).

Anlässlich der zweiten Wahlrunde am 18. Juni kann es zu allen möglichen Formen von Wahlvereinbarungen und Neuausrichtungen kommen. Es werden sich voraussichtlich wesentlich mehr Menschen an der Wahl beteiligen. Wie „Gauche Révolutionnaire“ aber ebenfalls erklärt hat, werden die Auseinandersetzungen in den Betrieben und auf der Straße aufgrund der massenhaften Unzufriedenheit, die unter den ArbeitnehmerInnen herrscht, wegen der anhaltenden betrieblichen Kämpfe, der „Deformen“ im Bildungsbereich und weil es an Arbeitsplätzen für junge Leute fehlt, wesentlich größere Bedeutung haben.

Auf politischer Ebene muss herausgearbeitet werden, wie eine neue linke Kraft aufgebaut werden kann, die am Erfolg von Mélenchons Bewegung ansetzen muss. Sie muss eine führende Rolle übernehmen und die Massen gegen die Angriffe der Regierung mobilisieren. Darüber hinaus kommt ihr die Aufgabe zu, für eine sozialistische Politik zu werben, die großes Potential an Unterstützung hat und mit der man in der Lage sein wird, das unbesiegbare scheinende Phänomen Macron zu schlagen.

Dieser Artikel erschien im englischen Original am 13. Juni 2017 auf socialistworld.net