Interview mit Lucy Redler zum Berliner Koalitionsvertrag

Lucy Redler
Lucy Redler

Das Interview erschien heute in der Tageszeitung Junge Welt

»Das Tischtuch ist zu kurz«

Berlin: Linke-Mitglieder stimmen über Koalitionsvertrag ab. Senat will am Donnerstag die Arbeit aufnehmen. Ein Gespräch mit Lucy Redler

Interview: Alexander Ott – Lucy Redler ist Mitglied des Parteivorstands von Die Linke und des Bundessprecherrats der Antikapitalistischen Linken (AKL)

Bis Mittwoch dürfen Mitglieder der Berliner Linkspartei darüber abstimmen, ob ihre Partei den mit SPD und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag annehmen soll oder nicht. Wie haben Sie sich entschieden?

Ich habe gegen den Koalitionsvertrag gestimmt. Niemand will wohl bestreiten, dass in diesem Koali­tionsvertrag durch Die Linke einzelne Verbesserungen herausgeholt wurden, das Verbot sexistischer Werbung oder ein günstigeres Sozial­ticket zum Beispiel. Aber ich denke, dass das nicht der Maßstab sein sollte. Die wesentliche Frage ist, ob es gemessen an den heutigen Zuständen in Berlin zu einer Kehrtwende kommt. Nach meinem Eindruck ist das nicht der Fall. Vieles steht noch unter Finanzierungsvorbehalt.

Die Koalition in spe will zum Beispiel jährlich etwa 6.000 neue kommunale Wohnungen bauen lassen. Das genügt Ihrer Meinung nach nicht?

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, der die Situation nicht grundlegend verbessern wird, ähnlich wie bei den katastrophalen Zuständen auf den Bürgerämtern. Wir haben hier einen Mangel an preiswertem Wohnraum. Zehntausende Menschen ziehen jährlich nach Berlin. Es fehlen bereits jetzt 100.000 bezahlbare Wohnungen, und es werden in den nächsten Jahren Tausende Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen. Wenn hier nicht noch umgesteuert wird, ist die Situation in fünf Jahren vielleicht noch schwieriger als jetzt.

Immerhin gestehen Die Linke und die SPD indirekt ihre eigenen Fehler ein, indem sie Tausende Sozialwohnungen zurückkaufen wollen, die auch unter ihnen privatisiert wurden. Sie vertrauen Ihrer Partei also nicht, dass Sie aus ihren Fehlern gelernt hat?

Es geht nicht um Vertrauen. Es geht um die Fragen, ob wir ja sagen zu neoliberalen Bundesgesetzen wie Hartz IV und der Schuldenbremse; ob wir ja dazu sagen, dass es weiter Abschiebungen – wenn auch vielleicht weniger – geben wird. Sagen wir ja dazu und versuchen, die Armutsverwaltung ein bisschen weniger schlimm zu machen und einzelne Verbesserungen zu erreichen und werden mitverantwortlich für alle Verschlechterungen, die eintreten können? Oder sagt Die Linke, dass sie einen Bruch mit der Logik kapitalistischer Sachzwänge will?

Ich glaube, dass Die Linke Berlin Fehler eingesteht und weitere Privatisierungen verhindern will. Aber dass nicht mehr Verbesserungen im Koalitionsvertrag stehen, hat etwas mit den Kräfteverhältnissen zwischen den außerparlamentarischen Bewegungen und der Regierung sowie mit dem Charakter von SPD und Grünen zu tun. Diese beiden Parteien haben viele neoliberale Gesetze auf Bundesebene auf den Weg gebracht und stehen bis heute dahinter.

Welche Basis bräuchte ein Bündnis von SPD, Die Linke und Grünen in Berlin, um Ihre Zustimmung zu bekommen?

Eine linke Regierung müsste als erstes mit der Schuldenbremse brechen und dürfte diese nicht akzeptieren. Nötig ist ein bedarfsgerechter Haushalt. Die Vorsitzende von Die Linke aus dem Bezirk Neukölln sagte, dass viele Initiativen am Tischtuch ziehen würden – aber das Tischtuch ist schlicht zu kurz. Dadurch würden verschiedene Akteure und Projekte gegeneinander ausgespielt. Ich füge hinzu: Und weil sich »Rot-Rot-Grün« nicht mit den Reichen und Mächtigen anlegt. Ich halte die Vorstellung eines linken Lagers mit SPD und Grünen für eine Illusion.

Die Debatte über Veränderung in der Stadt wird aktuell sehr auf das Parlament beschränkt. Tatsächlich wurden die großen Veränderungen aber außerparlamentarisch erkämpft, zum Beispiel die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe in Folge eines Volksentscheids. Und an der Charité wurde der erste Tarifvertrag für Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung in einem Krankenhaus durchgesetzt. Die Linke hat hier in den vergangenen fünf Jahren an Zustimmung gewonnen, weil sie sich an die Seite dieser Bewegungen gestellt hat. Ich glaube, dass Die Linke aus der Opposition mehr herausholen kann als das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht.

Trotzdem muss sich bald eine Landesregierung bilden. Wie sollte sich Die Linke verhalten?

Mit diesem Koalitionsvertrag bindet sich die Partei: Sie sagt ja zur Haushaltskonsolidierung und akzeptiert, dass die Gewerbe- und die Grunderwerbssteuer nicht erhöht werden. Es wird weiter den Einsatz der Bundeswehr an Schulen geben. Die Linke sollte anbieten, eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen ins Amt zu bringen, statt diesen Koalitionsvertrag zu unterschreiben. Dann könnte sie immer noch allen positiven Maßnahmen zustimmen, aber sich die Freiheit der Kritik erhalten. Wenn »Rot-Rot-Grün« keine spürbaren Verbesserungen erreicht und Die Linke die Hoffnungen nicht erfüllt, ist meine Sorge, dass das eine rechts-durchgeknallte AfD in der Opposi­tion weiter stärken könnte.