Neu gelesen: die „Farm der Tiere“ von George Orwell

By Joanbanjo (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
By Joanbanjo (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
Eine Allegorie auf den Verrat der Russischen Revolution

Andy Ford hat George Orwells einflussreiche Parabel, rund 70 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1945, neu gelesen.

Beinahe von Beginn an hatte die „Farm der Tiere“ durchschlagenden Erfolg und wurde vom „Time“-Magazin in die Liste der 100 besten Romane des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Häufig findet sich das Werk in den Lehrplänen der Schulen wieder. Ganz anders war es in den stalinistischen Staaten, wo das Buch bis 1989 auf dem Index stand. In Simbabwe, Burma und selbst in einigen ultra-konservativen Golfstaaten blieb es noch länger verboten.

Das erste, was sofort ins Auge springt, ist, wie gut lesbar „Farm der Tiere“ (im Original: „Animal Farm“) geschrieben ist. Die Handlung entwickelt sich in einer klaren gradlinigen Sprache mit der trügerischen Einfachheit im Stile eines Märchens. Ursprünglich lautete der Titel: „Animal Farm: A Fairy Story“ (dt.: „Farm der Tiere – eine Märchengeschichte“). Orwells Begabung als Romanautor zeigt sich schon in seiner Beschreibung der Tiere, als sie im ersten Kapitel zu ihrer ersten Versammlung zusammenkommen. Um ihre unterschiedlichen Charaktere zu beschreiben, liefert er genau das richtige Maß an Informationen, auf die später zurückgegriffen wird. Auch der Humor, der in Orwells Zeilen zur Geltung kommt, als beschrieben wird, wie sich die Katze in der Abstimmung verhält (bei der Frage, ob „Ratten GenossInnen sind“, stimmt sie mit „ja“ und mit „nein“), sorgt dafür, dass das Lesen Freude macht und das Buch noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Orwell hat die ganzen Abgründe der „Kommunistischen Partei“ und der verachtenswerten stalinistischen Vorgehensweisen selbst erlebt, die sich im Spanischen Bürgerkrieg wiederholt und zum Grundübel desselben geworden sind. Dort war er Teil einer von Trotzki beeinflussten politischen Struktur, der POUM, und entschlossen, die Wahrheit über das stalinistische Russland zu berichten. Um dies zu tun, entschloss er sich für das Mittel einer Allegorie. Beinahe alle Handlungen, die in seinem Roman vorkommen, finden sich auch auf Stalins Weg zur Machtergreifung und im brutalen Missmanagement der Sowjetunion wieder.

Die Erzählung beginnt mit „Old Major“, der als Mischung aus Marx und Lenin betrachtet werden kann. Dieser breitet die Idee einer Gesellschaft aus, in der die Tiere nicht länger von den Menschen ausgebeutet werden und die Früchte ihrer Arbeit genießen können. Diese Idee wird von den Tieren mit Begeisterung aufgenommen und viel früher als sie erwartet hätten, wird die inkompetente Herrschaft von Bauer Jones (der für den russischen Zaren steht) gestürzt. Die Farm erhält ihren alten Namen zurück und heißt fortan wieder „Farm der Tiere“. Es wird eine Fahne kreiert, die die Symbole Huf und Horn trägt, und die Führung wird von den Schweinen übernommen. Hierbei geht es vor allem um Napoleon (Stalin) und Schneeball (Trotzki), die nie einer Meinung zu sein scheinen.

Es ist wie eine Vorwarnung für später sich abzeichnende Probleme, als Napoleon die Verantwortung für die Milchvorräte des Bauernhofs übernimmt, die dann immer knapper werden. Das bringt den gerade erst zu Tage geförderten Beweis in Erinnerung, dass Stalin schon bald nach der Revolution die Anweisung gab, Funktionären und Bürokraten mit einer Sonderration Brot auszustatten. Auf diese Weise wollte er sich ihrer Loyalität gegenüber seiner Person versichern. Eine extra Ration Brot wäre jedoch ein erbärmlicher Ansporn, außer in Zeiten massenhaften Hungers. Das war für Trotzki der Anlass für seine bedeutende Analyse der Degeneration der UdSSR. In einem eher unbedeutenden Artikel, in dem er die theoretische Möglichkeit einer Revolution in einem rückständigen Land thematisierte, hatte Marx einmal geschrieben: „Wo die Allgemeinheit unter Not und Entbehrungen leidet, kann der ganze alte Schrott old crap [d.h.: die Unterdrückung] erneut entstehen“ (sinngemäß). Und Trotzki erkannte, dass Not, Entbehrungen und Hunger den Ausgangspunkt für Stalins Siegeszug bildeten.

Eine Welle der Rebellion schwappt auf andere Bauernhöfe über, als die „Farm der Tiere“ Tauben losschickt, die die Nachricht von der Revolution verbreiten. Damit wird der Bezug zur Geschichte der Dritten Internationale hergestellt. Die Menschen können dies nicht hinnehmen und greifen die „Farm der Tiere“ an. Durch den einzigartigen Zusammenhalt der Tiere werden sie unter der Führung von Schneeball jedoch in Bausch und Bogen zurückgeschlagen. Napoleon beteiligt sich kaum an der „Schlacht vom Kuhstall“, was Parallelen zur Rolle Stalins im Russischen Bürgerkrieg aufweist. Damals war der neue revolutionäre Staat von fast allen kapitalistischen Ländern der Welt angegriffen worden. Trotzki baute die Rote Armee unter seiner Führung auf, die die Invasoren schließlich bezwingen konnte.

In einer weiteren Begebenheit werden Napoleon und Schneeball sich nicht einig, was den Bau einer Windmühle auf der „Farm der Tiere“ angeht. Dieser Disput steht für die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki hinsichtlich der Industrialisierung der Sowjetunion. Der Konflikt ist beendet als Napoleon mit blutrünstigen Hunden auftaucht, die er im Wohnhaus des ehemaligen Hofbesitzers und verborgen von der Öffentlichkeit großgezogen hat. Mit ihrer Hilfe jagt er Schneeball vom Hof, was wiederum eine Allegorie auf Stalins Rückgriff auf dessen Geheimpolizei darstellt, mit deren Hilfe er Trotzki ins Exil zwang, unter seinen AnhängerInnen Angst und Schrecken verbreitete und sie so zum Schweigen brachte. Im Folgenden bedient sich Napoleon der Ideen von Schneeball und präsentiert sie als seine eigenen. Dasselbe geschah in der Sowjetunion der späten 1920er Jahren, als auch Stalin sich mit fremden Federn schmückte. Von nun an finden keine wöchentlichen Versammlungen mehr statt, auf denen zuvor diskutiert und über die nächsten Schritte beschlossen wurde, was die Zukunft der „Farm der Tiere“ anging. Die Zusammenkünfte werden fortan nur noch abgehalten, um den Tieren Befehle zu erteilen. Vergleicht man diese Wendung mit der Geschichte der Sowjetunion, so ist festzustellen, dass auch die anfangs demokratischen Sowjets (dt.: Räte) zu Transmissionsriemen für die Instruktionen umfunktioniert worden sind, die die herrschende Clique den Menschen nunmehr übermittelte.

Die bereits erwähnte Windmühle wird von den Tieren errichtet, wobei Boxer, das Pferd auf dem Hof, den Großteil der Arbeit übernimmt. Unglaublich stark und mit einem Einsatz, der bis zur Selbstaufgabe geht, steht Boxer die gesamte Geschichte hindurch als Symbol für die „einfachen“ ArbeiterInnen in der Sowjetunion. Trotz seiner Anstrengungen bricht die Windmühle – genau wie der in weiten Teilen fehlgeschlagene erste Fünfjahresplan von Stalin – in sich zusammen. Unter Stalin führte dies zur schrecklichen Hungersnot der frühen 1930er Jahre. Während auch die Tiere in Orwells Fabel dem Hungertod nahe sind, zeigt man den Menschen, die die Farm mit guten aber weithin naiven Absichten besuchen, eine künstlich angehäufte Fülle an Lebensmitteln. Dasselbe geschah auch mit den „Freunden der Sowjetunion“, einer Gruppierung, die Orwell verachtete und die man auf von Stalin organisierte Rundreisen durch die UdSSR schickte. Trotz ihres Zusammensturzes gibt Napoleon den Befehl, dass Boxer und die Tiere sich erneut an den Aufbau der Mühle machen sollen.

Unterdessen tritt Napoleon mit zwei benachbarten Farmen in Verhandlungen über mögliche Handelsabkommen ein. Der erste Bauernhof, der Foxwood heißt, wird schlecht verwaltet und ist im Niedergang begriffen. Er steht für Großbritannien. Ein anderer namens Knickerfeld wird besser geführt und steht unter der Fuchtel eines Bauern, der „bei Rechtsangelegenheiten stets involviert“ ist (Nazi-Deutschland). Napoleon spielt einen gegen den anderen aus, verkauft am Ende aber und obwohl der Besitzer grausam mit seinen Tieren umgeht Bauholz an Knickerfeld (Synonym für die Aufteilung Polens). Nachdem der Handel abgeschlossen ist, wird den Tieren mitgeteilt, dass die Geschichten von der Grausamkeit und den Folterungen auf Knickerfeld „stark übertrieben“ seien. Und genau wie in der historischen Vorlage und im Falle Hitlers wird der Handel am Ende mit dem Überfall der „Farm der Tiere“ durch Knickerfeld bezahlt, den die Tiere nur mit großen Verlusten abwehren können. Die Windmühle wird dabei ein zweites Mal zerstört.

Der Tod von Boxer markiert eine der traurigsten Stellen im Buch. Nach all seinen Anstrengungen bei der Errichtung der Windmühle wird er alt, und seine Verletzung an den Hufen heilt nur schwer ab. Napoleon sagt zwar, dass Boxer von einem Tierarzt untersucht werden soll, doch als ein LKW auf dem Hof ankommt, der das Arbeitspferd mitnehmen soll, sehen die Tiere, dass „Alfred Simmons, Pferdemetzger und Seifenmacher“ auf dem Wagen steht. Boxer wird zum Abdecker gebracht. Ganz ähnlich verhielt es sich mit den ArbeiterInnen in der Sowjetunion, die für ihre heldenhaften Leistungen von Stalin mit den „großen Säuberungen“ der 1930er Jahre „belohnt“ worden sind.

„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“

Der letzte große Verrat findet statt, als das Leitmotto der „Farm der Tiere“ abgeändert wird. Die ursprüngliche Formel „Alle Tiere sind gleich“ wird nunmehr ergänzt durch den Zusatz: „… aber manche sind gleicher“. Auf ähnliche, gleichsam sonderbare wie auch heuchlerische Art und Weise sind auch Stalin und seine Gefolgsleute vorgegangen, die die Gründungsprinzipien der UdSSR verraten haben. In der berühmten Szene am Ende des Buches, die auf die Konferenz von Teheran im Jahr 1943 zurückgeht, gucken die Tiere von „Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, doch es war ihnen nicht möglich zu sagen, wer wer war“.

Damit war die Degeneration im Jahre 1943 vollzogen, und Orwell machte in seinem Buch dazu keinen Unterschied. Fakt ist, dass Trotzki (einige Jahre zuvor; Erg. d. Übers.) zur selben Feststellung gekommen war. In ihrem Auftreten und Verhalten unterschieden sich die Clique um Stalin auf der einen und die Diktatoren und Staatschefs des Kapitalismus auf der anderen Seite tatsächlich kaum voneinander. Trotzki wies jedoch darauf hin, dass sich die ökonomischen Grundlagen, auf denen die UdSSR basierte, vollkommen anders darstellten als die der kapitalistischen Staaten, weshalb die UdSSR auch in der Lage waren, die Invasion der Wehrmacht zurückzuschlagen.

Das Buch kann auf eine sehr spezielle Geschichte zurückblicken. Am Anfang, im Jahr 1945, behinderten AnhängerInnen des Stalinismus seinen Erfolg. Doch die Ehrlichkeit und bestechende Qualität zeigte sich erst in guten, dann sogar schwärmerischen Rezensionen. Es folgte der weltweite Verkauf, der Orwell die Zeit und finanziellen Mittel einräumte, um sein letztes Werk, „1984“, fertigzustellen. Später wurde „Animal Farm“ vom CIA als äußerst fragwürdiges Propagandamittel gegen die Sowjetunion eingesetzt, der im Jahr 1954 einen Comic-Film daraus machen ließ. Die darin zur Geltung kommende Ansicht, dass die Revolution zwecklos ist, weil am Ende doch nur Diktaturen dabei herauskommen, wird auch heute noch häufig in Schulen kolportiert. Nichts könnte der Sichtweise von Orwell ferner sein, als diese Position. Das Buch verteidigt an jeder Stelle den ursprünglichen Akt der Revolution sowie Boxer, den wahren Helden, der – wie die Menschen aus der Arbeiterschaft in allen Ländern der Welt die Quelle jedes Reichtums darstellen – zum Erfolg der „Farm der Tiere“ beiträgt. Die Tatsache, dass er ins Licht geführt und um diesen Reichtum betrogen wird, bis hin zu seinem grausamen Ende, ist eher eine Anklage gegen Napoleon als gegen Boxer.

Orwell selbst hat auf theoretischer Ebene zwar nie einen Zugang zur Degeneration der UdSSR gefunden. Jedoch war er ein prinzipienfester und aufrichtiger Demokrat und Sozialist. Und „Die Farm der Tiere“ steht für eine ehrliche und hervorragend geschriebene Allegorie auf den schrecklichen Verrat der Russischen Revolution durch eine Bande selbstverliebter und prinzipienloser Halsabschneider.