Südafrika: Kapitalismus ohne Korruption gibt es nicht!

Unite against corruptionIn Südafrika hat eine neue Runde des Protests gegen die Regierung begonnen. Im September und Oktober gab es Massendemonstrationen gegen die Korruption der Regierung. Zeitgleich finden seit mehreren Wochen Proteste gegen Studiengebührenerhöhungen an mindestens vier großen Universitäten des Landes statt, die teilweise brutal unterdrückt werden. Die Studierenden fordern, dass der Staat das Geld für die Hochschulbildung aufbringt statt armen Studierenden in die Taschen zu greifen. Vor diesem Hintergrund veröffentlichen wir eine Übersetzung des Flugblatts der Workers and Socialist Party zur Demonstration gegen Korruption.

Für „Regime Change“! Für Systemwechsel!

Für eine Arbeiterregierung auf sozialistischer Grundlage!

Text des Flugblatts der „Workers´ and Socialist Party“ (WASP), das beim Protestmarsch „Unite Against Corruption“ (dt.: „Gemeinsam gegen Korruption“) am 30. September in Südafrika verteilt worden ist.

Nkandla (die Privatresidenz von Präsident Zuma, die mit staatl. Geldern finanziert wurde; Anm. d. Übers.), der Skandal „Guptagate“, der Waffen-Deal, ins Leere gelaufene Prüfungen bei Provinzregierungen, falsche Zertifizierungen, die verleumderischen Angriffe gegen den Ombudsmann der Staatsregierung, Vertuschungen: Ein unangenehmer Geruch der Korruption strömt aus jeder Pore der ANC-Regierung unter Präsident Zuma, die einem kaputten Abwassersystem ähnelt. Bestärkt durch die bislang erfolglosen Versuche, ihn zur Rückzahlung der Gelder zu zwingen, die für Nkandla geflossen sind oder Korruptionsverfahren gegen ihn wieder aufzunehmen, presst Zuma energisch nach vorne und drückt das Programm zum Bau von Atomanlagen durch. Das wird einer Korruption Tür und Tor öffnen, die die Korruption bei den Waffen-Deals bei Weitem in den Schatten stellen wird.

Aus Sicht der meisten WirtschaftswissenschaftlerInnen (darunter auch der Finanzminister Nhlanhla Nene, der dies natürlich nicht in der Öffentlichkeit preisgeben würde), ist dieses Projekt, das mindestens eine Billion südafrikanische Rand (~ 67 Mrd. Euro) und damit fast so viel wie das gesamte jährliche Bruttoinlandsprodukt des Landes kosten soll, absolut nicht finanzierbar. Indem er auf die Atomprogramm beharrt, lässt Zuma die Empfehlungen der „National Planning Commission“ außer Acht. Hierbei handelt es sich um die Autoren des neoliberalen Wirtschaftsprogramms, mit dem die Wirtschaft angeblich vorangebracht werden soll. Präsident Zuma ignoriert die ökonomische Realität Südafrikas. Er ignoriert das Haushaltsdefizit, die aktuelle Negativbilanz, den Wertverfall des südafrikanischen Rand und die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auf mittlerweile weniger als zwei Prozent. Darüber hinaus hat er absolut kein Interesse an den Umweltrisiken gezeigt, die mit der Atomenergie verbunden sind. Was das angeht, ist eine so unbedeutende Person wie Mosebenzi Zwane der perfekte Kandidat für den Posten des Bergbau-Ministers.

Bei Nkandla, der Affäre um Familie Gupta und dem Atomenergie-Programm handelt es sich nicht einfach um eine absurde Reality-Show, in der Korrupte mitspielen. Korruption hat Folgen für die Lebensumstände der Arbeiterklasse und verarmten Schichten, Tag für Tag, weil jeder Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge davon bedroht wird. Überall droht die Gefahr der Selbstbereicherung. Wie der Generalstaatsanwalt Jahr für Jahr erneut feststellt, leidet die Mehrheit der Kommunalräte unter Missmanagement, was zu zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe führt. Nur eine Minderheit von ihnen kommt sauber durch die Rechnungsprüfung. Betroffen davon sind die Bereiche Gesundheit, Bildung und Wohnungswesen. In den am meisten entwickelten Volkswirtschaften auf dem afrikanischen Kontinent ersaufen Kinder in Plumpsklos in Exkrementen. Die Mehrzahl der Schulen, die für die Arbeiterklasse bestimmt sind, verfügen nicht über angemessene sanitäre Anlagen, Bibliotheken oder Computerräume. 500.000 Kinder mit Behinderungen werden aus dem Schulsystem ausgeschlossen, weil die nötige Infrastruktur fehlt (Rampen, Fahrstühle, entsprechende Toiletten etc.). Tausende Menschen leben in Baracken ohne Strom, Frischwasserleitungen oder Abwassersystem.

Korruption in der Privatwirtschaft

Die Regierung hält bei der Korruption nicht das Monopol. Im Bereich der Privatwirtschaft hat die Korruption weit größere Ausmaße angenommen. In Wirklichkeit sieht es eher so aus, dass die Regierung Zuma entschlossen ist, beim Thema Korruption das Level zu erreichen, das in der Wirtschaft schon längst üblich ist. Die Zeitung „The Times“ berichtet, dass laut Beratungsagentur Price Water House Coopers im Februar 2014 „Südafrika die korrupteste Unternehmerschaft der Welt“ hat. Laut „The Times“ handelt es sich bei den Unternehmensvorständen in Südafrika um „Weltmeister in Sachen Geldwäsche, Bestechung und Korruption, Beschaffungskriminalität, Vermögensdelikten und Cyber-Kriminalität. 77 Prozent aller im Land festgestellten Betrugsdelikte sind von führenden und höheren Unternehmensvorständen verübt worden.“

Schätzungen gehen davon aus, dass es zwischen 50.000 und 100.000 staatliche Beschaffungsagenturen geben könnte, in denen Regierung und Konzerninteressen zusammenkommen und über die schätzungsweise 42 Prozent der Mittel, die aus dem Staatshaushalt für die öffentliche Daseinsvorsorge gedacht sind, aufgeteilt werden.

Wie der Skandal um „Volkswagen“ zeigt, bei dem der Konzern seit 2009 in elf Millionen PKW die Bordelektronik manipuliert hat, um die Abgaswerte zu schönen, ist Korruption sozusagen der Lebenssaft des Kapitalismus. Ein Bericht, der für das Panafrikanischen Parlament der Afrikanischen Union (AU) angefertigt worden ist, offenbarte, dass wenigstens 500 Mrd. südafrikanische Rand (~ 34 Mrd. Euro) jedes Jahr in betrügerischer Absicht und unentdeckt vom afrikanischen Kontinent abgezogen werden. Dadurch werden multinationale Unternehmen in die Lage versetzt, einige der ärmsten Länder Afrikas um einen Großteil ihrer Steuereinnahmen zu bringen. Als übliche Mittel werden in diesem Zusammenhang die Verrechnungspreisgestaltung, falsche Rechnungslegungen und andere kriminelle Methoden genannt. Südafrika ist ein Staat, der mit am meisten von illegaler Kapitalausfuhr betroffen ist. An Platz eins der afrikanischen Länder wird Nigeria geführt, gefolgt von Ägypten und dem Land am Kap. Die Rangliste bezieht sich auf die Gesamtzahlen aus der Periode von 1970 bis 2008, die sich auf 81,8 Mrd. Dollar (~ 72 Mrd. Euro) oder 11,4 Prozent aller illegaler Finanzströme in Afrika belaufen, so der Bericht weiter.

Der Autor Dick Forslund vom unabhängigen „Alternative Information and Development Centre“ fand heraus, dass der Bergbaukonzern „Lonmin“ (der im Fokus der Streiks stand, in deren Verlauf die Polizei das Blutbad von Marikana anrichtete und über 30 Bergleute erschoss) seit Jahren an ausgefeilten Planungen beteiligt ist, um die eigenen Profite kleinzurechnen und Steuern hinterzieht, um unter den Beschäftigten eine Einkommenslücke zu rechtfertigen. Das bedeutet, dass die ArbeiterInnen in den Platin-Minen 300 Jahre arbeiten müssen, um das Geld zu verdienen, dass ein Vorstandsmitglied des Konzerns in einem Jahr bekommt. Nichts zeigt deutlicher, als das Blutbad von Marikana, dass der ANC ein Agent der Diktatur der Konzerne und der gesellschaftlichen Klasse der Kapitalisten ist.

Die zahnlosen Tiger namens „Kartellbehörden“, die angesichts der Überhand nehmenden Korruption in der Privatwirtschaft vollkommen überfordert sind, können nur dafür sorgen, dass lediglich einige wenige belangt werden. Und dann geht es allzu oft darum, dass im Gegenzug für belastende Informationen gegen andere Straffreiheit angeboten wird. Wenn Konzerne mögliche Strafzahlungen bereits in ihre betriebswirtschaftliche Planung mit einbeziehen, dann kann man nicht davon sprechen, dass ein solches Vorgehen Folgen hätte. Praktisch alle Bereiche der Wirtschaft sind mit Korruption durchsetzt. In allen Branchen – vom Brot bis zum Beton – gibt es Preisabsprachen. Das Brot produzierende Kartell hat mit seiner kriminellen Manipulation im Bereich der Grundnahrungsmittel der Arbeiterklasse und verarmten Schichten bereits im Jahr 1994 (Ende der Apartheid; Anm. d. Übers.) begonnen.

Die Klasse der Kapitalisten hat das Ende der Apartheid als nichts anderes verstanden als den Wechsel von einer politischen Bürokratie zur anderen. Hinter der Maske der „black majority rule“ (wörtlich: Herrschaft einer schwarzen Mehrheit) und der bürgerlich parlamentarischen Demokratie haben die Kapitalisten damit fortgefahren zu plündern – genau wie unter der Herrschaft der Apartheid.

Die Selbstmörderische Annahme des neoliberalen Wirtschaftsprogramms namens GEAR (zynisch für dt.: „Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung“) durch die ANC-Regierung im Jahr 1996 hat das Land im Endeffekt in einen wahren Basar verwandelt: plötzlich stand alles zum Verkauf, Devisenkontrollen wurden zurückgefahren, Unternehmenssteuern gesenkt, an der Börse von Johannesburg gelistete Großunternehmen durften ihren Firmensitz ins Ausland verlegen und ausländische Investoren durften Anteile an den Medien, Banken, Bergwerken, im produzierenden Gewerbe und zuvor staatlichen Unternehmen erwerben, was zu einem gewaltigen Transfer von Profiten aus dem Land heraus geführt hat. Das hat zum Beispiel zur fast völligen Zerstörung der Textil- und Bekleidungsindustrie geführt. Jetzt befindet sich die Bergbaubranche in der Krise, und die Metall- sowie die Maschinenbauindustrie liegt am Boden. Hier sind in den nächsten sechs Monaten bis zu 190.000 Arbeitsplätze in Gefahr.

Südafrika weist jetzt die Gesellschaft mit der stärksten Ungleichheit auf der Erde auf. 14 Millionen Menschen gehen hier jeden Abend mit Hunger ins Bett, 54 Prozent leben in Armut und 60 Prozent der jungen Menschen sind von Massenarbeitslosigkeit betroffen. Lediglich zwei Personen – Nicky Oppenheimer (vom Diamantenproduzenten „De Beers“) und Johann Rupert (einer der reichsten Südafrikaner) – besitzen genauso viel wie die untere Hälfte der Gesellschaft. Kapitalismus ohne Korruption gibt es nicht!

Diese Regierung muss zusammen mit ihren Meistern und Strippenziehern, der Klasse der Kapitalisten, von der Bühne verschwinden. Nach zwei großen Abspaltungen (die zur Gründung der Parteien COPE bzw. EFF geführt haben) nehmen die Spannungen im ANC unter Präsident Jacob Zuma zu. Sogar in seiner Hochburg, der Provinz KwaZulu-Natal, droht aktuell eine Abspaltung. Angesichts der Tatsache, dass der ANC in den urbanen Zentren des Landes nur noch auf 36 Prozent der Stimmen kommt und 12 Millionen Wahlberechtigte 2014 gar nicht mehr an die Wahlurne gegangen sind, führt der ANC in Wirklichkeit eine Minderheits-Regierung an. Der Widerstand der verarmten Kommunen, der Studierenden und der organisierten Arbeiterschaft wird zwar mit Entschlossenheit geführt, er bleibt aber isoliert. Man hört förmlich, wie die Leute danach schreien, dass die Kämpfe endlich miteinander vereint werden. Dieser Protestmarsch ist eine Chance, um die Kräfte zusammenzubringen, die das Potential haben, eine Massenpartei der ArbeiterInnen aus der Taufe zu heben.

Weltweit geht der Kapitalismus mit Meilenstiefeln auf die nächste Krise zu. Und diese Krise wird aller Voraussicht nach größer ausfallen, als die von 2008, bei der es sich um die schlimmste Wirtschaftskrise seit der „Großen Depression“ der 1930er Jahre gehandelt hat. Die einzige Lösung ist die Überwindung des Kapitalismus und die sozialistische Transformation der Gesellschaft. Für eine Massenpartei der ArbeiterInnen auf sozialistischer Grundlage!