Griechenland: Für sozialistische Maßnahmen der Syriza-Regierung

xekinimaInterview mit Andros Payiatsos von der marxistischen Organisation Xekinima

Worin liegt die Bedeutung des griechischen Wahlergebnisses?

Das Ergebnis hat historische Bedeutung, weil es den Zusammenbruch der alten Kräfte, die die griechische Politik seit Jahrzehnten beherrscht haben, wieder spiegelt. Und wegen des Aufstiegs einer neuen linken Formation, von Syriza, die von vier bis fünf Prozent im Jahr 2010 auf nun 36,5 Prozent gewachsen ist, auf Basis eines linken, an der Arbeiterklasse orientierten Programms.

Und das trotz einer massiven Angstkampagne, die die herrschende Klasse in Griechenland durchgeführt hat und die behauptete, dass dies den Zusammenbruch des Landes, den Ausstieg aus dem Euro etc. bedeuten würde. Doch all das hatte keinen Effekt, bzw. nur einen sehr kleinen, auf die Massen, die für Syriza gestimmt haben, insbesondere in den Arbeitervierteln der großen Städte, wo Syriza fast die absolute Mehrheit errungen hätte.

Pasok (die traditionelle sozialdemokratische Partei) ist auf gerade mal fünf Prozent zusammen geschrumpft – nur mehr fast ein Drittel dessen, was sie 1974 nach ihrer Gründung erreichte – und liegt damit hinter der neo-faschistischen Goldenen Morgenröte. Sie sind gespalten, weil Papandreou (der ehemalige Premierminister der Pasok) eine neue Partei gegründet hat, mit der er versucht, zum Zusammenbruch von Pasok auf Distanz zu gehen. Die neue Partei, Bewegung der Demokraten und Sozialisten (Kidiso) hat den Einzug ins Parlament verfehlt, weil sie nur 2,5 Prozent schaffte, aber drei Prozent nötig sind.

In Griechenland ist das BIP um dramatische 27 Prozent eingebrochen – das ist, von einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus, schlimmer als während der Besetzung durch die Nazis im 2. Weltkrieg. Es herrscht massenhafte Armut – offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass 6,3 Millionen der elf Millionen EinwohnerInnen um oder unter der Armutsgrenze leben, die ohnehin bei mageren 450 Euro pro Monat liegt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 26 bis 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 55 Prozent. Etwa 100.000 Jugendliche haben das Land verlassen. Es gibt Elemente des sozialen Zusammenbruchs und von massenhafter Verelendung der Gesellschaft. Das ist die Situation für die die Syriza-Regierung nun Lösungen finden muss.

Gestern hat Syriza die Koalition mit der Partei der Unabhängigen Griechen bekannt gegeben. Warum konnte Syriza sich nicht mit der Kommunistischen Partei (KKE) einigen?

Syriza hat an die griechische Kommunistische Partei (KKE) appelliert, eine Regierung der linken Parteien zu bilden. Die KKE hat das verweigert – das ist das Ergebnis des generellen Sektierertums, der Isolationspolitik der Kommunistischen Partei, die die Unterschiede bei ideologischen und politischen Fragen nutzt um jede Form der Zusammenarbeit zwischen den Kräften der Linken in Griechenland abzulehnen. Das ist eine generelle Politik, nicht nur in Bezug auf die Situation mit Syriza.

Sie sagten, dass sie nicht einmal im Falle eines Misstrauensantrages für die Syriza-Regierung stimmen würden. Die KKE behauptet nun sehr stolz zu sein, dass sie ihr Ergebnis im Vergleich zum Juni 2012 um ein Prozent steigern konnte, also um etwa 50.000 Stimmen. Das ist lächerlich, weil sie zwar jetzt 5,5 Prozent bekommen haben und damals 4,5 Prozent, aber 1981 erreichte die KKE elf Prozent. Es ist die verheerendste Krise der griechischen Gesellschaft seit Jahrzehnten und sie sind stolz darauf, 5,5 Prozent zu erreichen – das ist skandalös!

Dieses Verhalten hat es der Führung von Syriza ermöglicht, ein Bündnis mit den „Unabhängigen Griechen“ und die neue Koalitionsregierung zu bilden. Fairerweise muss man sagen, dass ein Teil dieser Führung, der rechtere Teil, immer schon für eine solche Koalitionsregierung mit den Unabhängigen Griechen war, auch wenn sie das niemals öffentlich gesagt haben. Es geht darum, diese als Alibi zu benutzen, um die Einführung von sozialistischer Politik, die logischerweise von der Basis und der Arbeiterklasse gefordert wird, zu verhindern.

Die Unabhängigen Griechen haben 2012 als eine populistische Abspaltung von der Nea Dimokratia, („Neue Demokratie“ – traditionelle rechtskonservative Partei) ihren Ursprung genommen, als Samaras (der bisherige Premierminister der Nea Dimokratia) eine 180-Grad Wende vollzog. Zuerst hatte er angekündigt, gegen das Memorandum zu sein, doch kaum war er an der Regierung unterzeichnete er das neue Memorandum und einigte sich mit der Troika auf die Einführung von brutalen Kürzungen. Die Unabhängigen Griechen sind eine rechte Partei. Sie haben keine Beziehung zur Arbeiterklasse oder linker Politik. Sie sind Verteidiger des Marktes und des kapitalistischen Systems. Sie sind nicht dafür, die EU oder Eurozone zu verlassen, aber sie sind gegen das Memorandum und die Kürzungspolitik. Sie sind gemäßigt nationalistisch (sie beschreiben es als „patriotisch”). Sie sind nicht gegen die EU oder die Eurozone, aber es kann sein dass sie bereit sind in diese Richtung zu gehen, wenn es zu ernsthaften Zusammenstößen mit der Troika kommt.

Diese Partei ist keine Basis für eine zukunftsträchtige Koalition mit Syriza. Das bedeutet, dass die neue Koalitionsregierung eine instabile Formation sein wird, weil sie sich auf Kräfte stützt, die zwei diametral entgegengesetzte Teile der Gesellschaft repräsentieren.

International war die Reaktion von Linken und ArbeiterInnen über den Sieg von Syriza sehr enthusiastisch – wie ist die Stimmung in Griechenland?

Der Aufstieg von Syriza hat international zu massivem Enthusiasmus geführt und es sieht so aus als ob das auch als Katalysator für die Bildung neuer linker und sozialer Bewegungen führen kann, die zu Gegenangriff übergehen. Das Potential dafür gibt es auf jeden Fall.

In Griechenland ist es nicht dieselbe Situation. Am besten kann man die Situation wohl so beschreiben, dass das Wahlergebnis bei ArbeiterInnen und Jugendlichen zu einem tiefen Gefühl der Erleichterung geführt hat, aber es gibt keine Euphorie. Syriza hat, um einen griechischen Ausspruch zu benützen, „den Wein zu stark verwässert“ – d.h. sie haben das Programm zu stark verwässert, insbesondere in der letzten Periode. Das Programm ist extrem unscharf und unklar.

Die ArbeiterInnen denken, die Dinge können nicht mehr so schlimm sein wie zuvor – sie hatten ganz stark das Gefühl, dass sie den barbarischen Angriffen der Regierung und der Troika ein Ende setzen müssen und haben daher in Massen für Syriza gestimmt. Aber sie haben ihre Zweifel, was der nächste Tag bringen wird. Das hat sich z.B. darin gezeigt, dass bei der wichtigsten Wahlfeier am Wahlabend, jener in Athen, gerade mal 5.000 Leute waren – das ist nicht einmal die Hälfte der Syriza-Mitglieder in Athen. Die ArbeiterInnen sind eher zurückhaltend und einige sind auch skeptisch in Bezug auf den Sieg von Syriza, während sie sehr zufrieden damit sind, dass PASOK und Nea Dimokratia, die wichtigsten Parteien der Troika-Politik, abgestraft wurden.

Die Goldene Morgenröte konnte ihre Stimmen halten und das trotz staatlicher Verfolgung, bis hin zur Inhaftierung, von vielen ihrer Führer. Muss das eine Warnung an die Linke sein, dass sich die Goldene Morgenröte in der nächsten Periode wieder aufbauen könnte?

Das muss die Linke sogar sehr ernst nehmen. Obwohl alle Massenparteien der Linken dazu tendieren, die Gefahr durch die faschistische Goldene Morgenröte zu unterschätzen, haben diese gezeigt, dass sie einen durchaus signifikanten harten Kern von WählerInnen in der Stärke von mehreren Hunderttausend haben. Sie ist jetzt eine offene Nazi-Organisation und steht für eine mörderische Politik. Dennoch konnten sie ihre Stimmen von 2012 in etwa halten. Das bedeutet, dass die Gefahr des Neofaschismus in der Zukunft wieder in den Vordergrund rücken wird, insbesondere dann, wenn die Regierung unter Führung von Syriza die Forderungen von ArbeiterInnen und der Mittelklasse nicht erfüllt – und darauf muss sich die Linke vorbereiten.

Xekinima (CWI in Griechenland) konnte während des Wahlkampfes nicht zu einer Einigung mit Syriza kommen bezüglich der Frage von KandidatInnen, dennoch hatte Xekinima eine Wahlkampagne. Wie hat das funtioniert?

Wir hatten eine sehr gute Kampagne, v.a. wenn man bedenkt, dass wir gerade mal elf Tage Zeit für die Kampagne hatten. Das war wegen der Bedingungen, unter denen die Wahlen stattfanden – sie wurden über Nacht von der bisherigen Regierung bekannt gegeben und dann brauchten Syriza und alle anderen Parteien mehr als zwei Wochen, um die KandidatInnen-Listen aufzustellen. Die Führung von Syriza hat den KandidatInnen, die wir vorgeschlagen haben und die auf regionalen Listen von Syriza kandidiert hätten, nicht zugestimmt – denn sie wussten, dass unsere KandidatInnen als Abgeordnete gewählt worden wären und dass sie ein Attraktionspol für linke Opposition innerhalb und außerhalb von Syriza dargestellt hätten.

Nichtsdestotrotz ist das CWI in Griechenland, Xekinima, gestärkt aus diesen Wahlen hervor gegangen, trotz der Weigerung von Syriza, unsere GenossInnen als KandidatInnen auf ihren Listen zu akzeptieren. Dieser Rückschlag konnte rasch überwunden werden, weil die GenossInnen von Xekinima verstanden haben, dass für die Arbeiterklasse und die Gesellschaft insgesamt ein Sieg von Syriza in diesen Wahlen notwendig war. Wir hatten eine sehr kraftvolle Kampagne, haben fast 9.000 Flugblätter verteilt und fast 250 Zeitungen verkauft – beides pro Tag. So sind wir mit vielen Menschen in Kontakt gekommen. Wir planen offene Ortsgruppentreffen in vielen Stadtteilen für die nächsten Wochen, weil das während der Wahlkampagne einfach nicht möglich war.

Was wird in den Gesprächen zwischen der neuen griechischen Koalitionsregierung und der Troika, und im besonderen mit der deutschen Regierung unter Merkel, geschehen? Es wird spekuliert das Merkel einen harten Kurs verfolgen wird und das, trotz aller Wünsche von Tsipras, zur griechischen Zahlungsunfähigkeit führen könnte. Aber es wird auch spekuliert, dass unter dem Druck, die Eurozone intakt zu halten, die Troika und Merkel versuchen werden, die Schulden mit Griechenland neu zu verhandeln, nicht für einen Schuldenschnitt, aber um die Zahlung neu zu terminieren.

Das ist eine zentrale Frage. Es ist offensichtlich, dass beide Seiten verhandeln wollen und das beide Seiten einen Kompromiss suchen. Die Führung von Syriza will ganz offensichtlich einen Kompromiss. Auch Merkel scheint zu irgendeiner Form von Kompromiss bereit zu sein. Denn sie wissen, dass andernfalls eine Kettenreaktion losgetreten würde und damit eine tiefgreifende Krise in der Eurozone. Aber die Frage ist, ob sie tatsächlich zu einem Kompromiss kommen können.

Ich denke, dass Merkel dazu bereit ist, ein paar Zugeständnisse zu machen. Z.B. eine Verlängerung der Frist für Rückzahlung der Schulden, was eine gewisse Reduzierung der Last für den griechischen Haushalt auf jährlicher Basis darstellen würde.

Auf der anderen Seite wird Syriza in Bezug auf die griechische Arbeiterkasse zumindest einige Forderungen erfüllen müssen, wie: den Mindestlohn auf das Level von vor der Krise anheben, Sozialleistungen einführen für die völlig verarmten Schichten der Bevölkerung, die Probleme haben ihr tägliches Leben zu bestreiten, die z.B. kein Geld für Essen oder Strom haben. Sie müssen beginnen die Arbeitsbedingungen, die völlig dereguliert wurden, wieder zu korrigieren. Sie müssen die sklavenarbeitsähnlichen Arbeitsbedingungen, die in der Privatwirtschaft die übliche Praxis sind, beenden – wo Beschäftigte bis zu zwölf Stunden täglich arbeiten müssen, sieben Tage die Woche ohne auch nur die Überstunden bezahlt zu bekommen. Sie müssen die Goldminen in Halkidiki, im Norden Griechenlands, die ein massives Umweltthema sind, los werden. Sie müssen die Beschäftigten bei ERT, dem staatlichen Fernsehsender wieder einstellen etc.

Das sind Dinge, die Syriza versuchen muss umzusetzen – das sind Dinge die von der Gesellschaft, von Syriza-WählerInnen, und der Syriza-Basis als elementar und dringend angesehen werden! Wenn das Syriza nicht in der ersten Periode ihrer Regierung leistet wird das sofort zu einer tiefen Krise in Syriza führen. Syriza ist also gezwungen in die Richtung zu gehen, diese Maßnahmen zu ergreifen.

Aber wenn man sich diese Maßnahmen ansieht, die eigentlich die Basis darstellen um die humanitäre Krise in Griechenland zu lösen, dann sprengen sie das Programm, dass die Troika in den letzten vier Jahren eingeführt hat.

Die Frage ist also, ob die herrschende Klasse in Deutschland bereit ist, solche Kompromisse mit der griechischen Koalitionsregierung einzugehen? Das ist, gelinde gesagt, sehr unwahrscheinlich. Das bedeutet, auch wenn nicht klar ist, wie das Kräfteverhältnis nach den Verhandlungen zwischen Griechenland und der Troika sein wird, so denke ich doch, dass die Frage der Zahlungsunfähigkeit rasch wieder auf der Tagesordnung stehen wird.

Wir sagen dass, wenn Griechenland zahlungsunfähig wird und sich außerhalb der Euro-Zone wiederfindet, dann eine linke Regierung sofort den Kapitalverkehr und die Kredite kontrollieren muss und der Staat den Außenhandel monopolisieren muss – als Teil eines weitergehenden Programms, das eigentlich schon heute eingeführt werden müsste. Ein Programm von Notfallmaßnahmen inklusive der Verstaatlichung der Banken und der Schlüsselbetriebe unter der Kontrolle und Verwaltung der ArbeiterInnen, die die Planung der Wirtschaft etc. – ein Notfallprogramm um die Krise in den Griff zu bekommen und die Reche und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen zu sichern und für eine grundlegende sozialistische Veränderung.

Welche Aufgaben hat Xekinima in der nächsten Periode?

Die Führung von Syriza wird die Unabhängigen Griechen als Rechtfertigung anführen, weshalb die notwendigen linken, für die ArbeiterInnen wichtigen, sozialistischen Maßnahmen nicht umgesetzt werden können. Wir müssen also fordern, dass ein dauerhaftes, solides Programm, das sich an den Interessen der Arbeiterklasse orientiert, umgesetzt wird. Wenn das eine Krise in der Regierung bedeutet und zu vorgezogenen Neuwahlen führt, dann muss es wohl so sein.

Die wichtigste Rolle, die wir spielen können, gemeinsam mit anderen Kräften auf der Linken, und zwar auch in- und außerhalb der „Initiative der 1000“, ist jene, für sozialistische und an der Arbeiterklasse orientierte Politik einzutreten und zu fordern – und zwar gemeinsam mit großen Teilen der Basis von Syriza.

Das ist ja praktisch auch der Fall in den Basisbewegungen. Ich denke, dass ein wichtiger Effekt dieser Regierung sein wird, dass sich zuerst einmal für die Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen ein Raum zum Durchatmen öffnet und dass sie dann zum Gegenschlag ausholen – mit anderen Worten, dass ArbeiterInnen sich organisieren werden mit der Forderung, das zurück zu bekommen, was sie in den letzten Jahren verloren haben.

In dieser Situation kann die Regierung von Syriza nach links gehen und Maßnahmen umsetzen, die weit über das Hinausgehen, was die Führung von Syriza jetzt vorhat.

Unsere zentrale Aufgabe ist es dabei zu helfen, die Macht der Arbeiterklasse und ihre unabhängigen Aktionen zu unterstützen und aufzubauen. Das wird entschieden durch den Charakter der Klassenkämpfe in der kommenden Periode.

Die einzige Lösung für diese Krise ist die Umsetzung von sozialistischen Maßnahmen und einem sozialistischen Programm. Jede Regierung, die nicht diese Politik fährt, wird unweigerlich in die Krise geraten.

Wir rufen z.B. Syriza dazu auf, die Nichtbezahlung der Schulden gesetzlich fest zu schreiben, einen Mindestlohn einzuführen, von dem man leben kann, ebenso eine Mindestpension, für massive Investitionen in Soziales, Gesundheit und Bildung. Ein sozialistisches Programm beinhaltet auch die Übernahme der großen Unternehmen durch die öffentliche Hand, unter demokratischer Krontrolle und Verwaltung der Arbeiterklasse und zum Wohle der Mehrheit.

Die weitgehend positiven Reaktionen auf der ganzen Welt auf die Wahl von Syriza zeigen, dass die griechische Arbeiterklasse Millionen BündnispartnerInnen in der europäischen und internationalen Arbeiterklasse hat. Ein sozialistisches Programm, umgesetzt durch eine linke Regierung, würde ein noch mächtigeres Echo in ganz Europa finden und überall würden ArbeiterInnen es den griechischen ArbeiterInnen nachmachen. Das würde die Notwendigkeit des Kampfes für eine sozialistische Konföderation von Europa, auf einer freiwilligen und gleichberechtigten Basis aufwerfen.