Spanien: Europawahl zeichnet die politische Landkarte neu

Foto: https://www.flickr.com/photos/podemosuvieu/ CC BY 2.0
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„Podemos“ profitiert von den Fehlern der bürokratischen IU-Führung

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Artikel von Victor Egio (Gemeinderat in Santomera, Murcia und Mitglied von Izquierda Unida) zu den Ergebnissen der Europawahl in Spanien. Angesichts des Zusammenbruchs der regierenden PP und der ehemals sozialdemokratischen PSOE – die zusammengerechnet weniger als 50% der Stimmen bekommen haben – war die größte Erfolgsstory der Wahl das Ergebnis von Podemos, die aus dem Stand 8% und 5 Sitze im Europaparlament gewann. Das Ergebnis von 10% für die Vereinigte Linke (IU, in der auch Socialismo Revolucionario, die Schwesterorganisation der SAV im spanischen Staat, mitarbeitet) war eine große Verbesserung gegenüber der Europawahl 2009, entspricht aber bei weitem nicht ihrem Potential. Sie konnte die absolute Zahl ihrer Stimmen seit der Parlamentswahl 2011, bei der die PP an die Macht kam, nicht steigern.

von Victor Egio, Murcia, Spanien

Das Ergebnis der Europawahl in Spanien ist ein politisches Erdbeben. Diese Wahlen haben alle Warnungen von Socialismo Revolucionario hinsichtlich der bürokratischen, rechten FührerInnen von IU bestätigt, deren politische Reaktion auf die Wahl und auf die dramatische Krise des spanischen Kapitalismus insgesamt zu einer Katastrophe für die Bewegung führen kann. Am Wahlabend stellte Willy Meyer, der Spitzenkandidat der IU, die Ergebnisse seiner Liste in leuchtenden Farben dar. Die Vereinigte Linke gewann im Vergleich zu 2009 eine Million Stimmen hinzu und steigerte sich von 2 auf 6 Sitze. Aber durch den Aufstieg von Podemos, einer Kraft die weniger als 4 Monate nach ihrer Gründung 1,2 Millionen Stimmen und 5 Sitze gewonnen hat, wurde nicht nur das Wachstumspotential der IU bei dieser Wahl beschränkt, sondern das ganze politische Gleichgewicht verändert, so dass die Stellung von IU als wichtigster linker Referenzpunkt im spanischen Staat gefährdet ist. Podemos könnte in der nächsten Periode Auf Wahlebene stärker werden als die IU. Diese Wahlen waren ein Wendepunkt und haben eine neue Situation geschaffen, mit der SozialistInnen umgehen müssen.

Die Wahl hat gezeigt, wie schädlich die Politik der bürokratischen rechten IU-Führung für die ganze Vereinigte Linke sein kann. Diese Politik, der auch die Führungen der bedeutendsten Gewerkschaften zustimmen, stützt sich nicht auf die wachsenden Kämpfe und die Radikalisierung der letzten Zeit, sondern versucht sie zu begrenzen und zielt auf eine Regierungsbeteiligung mit der PSOE nach der nächsten Parlamentswahl ab.

Podemos erschüttert das Panorama der Linken

Die Mainstreampresse analysiert den Erfolg von Podemos nur als Folge des starken Wahlkampfs, der „ein neues Produkt verkauft“ habe und den hohen medialen Bekanntheitsgrad ihres wichtigsten Sprechers Pablo Iglesias. Aber das ist eine zu starke Vereinfachtung. Viele aus den Medien bekannte Persönlichkeiten sind in Spanien schon zu Wahlen angetreten, ohne viel zu erreichen. Iglesias und Podemos haben geschafft, ein politisches Erdbeben auszulösen indem sie sich als etwas radikal anderes präsentierten und die Betonung darauf gelegt haben, dass die Bevölkerung zu ProtagonistInnen politischer Veränderung werden und die überkommene institutionalisierte Politik der etablierten Parteien überwinden muss. Leider steht Willy Meyer in den Augen vieler radikalisierter ArbeiterInnen und Jugendlicher für genau diese alte, bürokratische Politik.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Entstehung von Podemos als neue Kraft sehr willkommen. Sie ist ein frischer Wind, bringt der alternativen Linken frische Luft und schwächt die Bürokratie, die schon so lange die Kämpfe zurückhält. Aber wir müssen auch die bestehenden Schwächen von Podemos erkennen, denn auch diese Formation hat ihre eigenen Widersprüche.

IU: Die Führung schadet ihrem Wachstum

Für den Aufbau einer Bewegung der leidenden Massen zur Veränderung der Gesellschaft genügt es nicht, jeden Tag im Fernsehen oder in sozialen Netzwerken präsent zu sein. Diese Präsenz muss mit einer Intervention verbunden werden, die mit einer klaren Botschaft die Natur der kapitalistischen Krise, ihre Ursachen und den notwendigen Ausweg erklärt. Der Führung der IU ist genau das nicht gelungen. Es ist unmöglich, das Zweiparteiensystem [der konservativen PP und der ex-sozialdemokratischen PPOE, AdÜ] anzugreifen, aber gleichzeitig die eigenen Kräfte zu benutzen, um es im Namen der „Regierbarkeit“ zu retten, wie es die IU-Führung durch die Regierungskoalition mit der PSOE in Andalusien und durch ihre Unterstützung der PP-Regierung in der Extremadura tut. Zudem will die Mehrheit der IU-FührerInnen diesen Fehler auf gesamtstaatlicher Ebene nach der nächsten Parlamentswahl wiederholen. Eine Schicht der IU-Führung ist mehr an Ministerposten interessiert als am Kampf gegen das kapitalistische Regime von 1978. Sie sind somit Teil der „politischen Kaste“ geworden, gegen die sich die Wut so vieler richtet.

Ebenso kann man sich nicht in Worten gegen die „Diktatur der Märkte und der Troika“ stellen, während man gleichzeitig im konkreten [Wahl-]Programm nicht über kleine Korrekturen an dieser Diktatur bzw. diesem System hinausgeht. Dazu gehören Forderungen nach einer „Demokratisierung der EZB“, nach billigeren Krediten von der Troika usw., auf die sich viele IU-FührerInnen beschränken. Aber Podemos ist in diesem Bereich auch nicht besser aufgestellt. Neben mehrdeutigen Äußerungen zur Ablehnung der Herrschaft des Kapitals und der Märkte sind Iglesias’ konkrete Forderungen eine „Begrenzung von Privatisierungen“, mehr „öffentliche Beteiligung an privaten Unternehmen“, Demokratisierung der EZB und so weiter. Sowohl in der IU als auch in Podemos ist ein Kampf für ein Programm notwendig, das auf die Realität der Krise und einer Situation eingeht, die nur auf der Grundlage einer Bewegung für einen Bruch mit dem Kapitalismus überwunden werden kann, mit sozialistischen Forderungen nach Nichtzahlung der Schulden und Verstaatlichung der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle.

Zu diesem Mangel an politischer Glaubwürdigkeit trägt ein weiterer Faktor bei. Innerhalb der Organisation besteht die Führung auf ihrem Veto gegen alle wirksamen Maßnahmen zu einem organisatorischen Neuaufbau, den wir vorgeschlagen haben. Die IU ist aus einem mutigen Vereinigungsprozess unter der Führung von Julio Anguita [Generalsekretär der KP Spaniens 1988-98, AdÜ] in den 1990ern entstanden, um nach der Massenbewegung gegen die NATO einen politischen Raum auf der Linken zu schaffen, der über den Einflussbereich der damaligen Kommunistischen Partei hinausging. Nach der am 15. Mai 2011 begonnenen „Indignados“-Bewegung, die zu einer neuen Welle der Politisierung führte, hatte IU die Möglichkeit, in diesem Prozess einen Schritt weiter zu gehen und die Organisation für die Massen neuer KämpferInnen gegen das System zu öffnen, denen es nicht mehr reicht immer und immer wieder zu protestieren, ohne dass jemand zuhört, und die verstehen, dass man auch um die politische Macht kämpfen muss. Aber in der IU-Führung überwog leider die Angst, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Die letzte riesige Mobilisierung hat daher nicht zu einem exponentiellen Mitgliederwachstum der IU geführt. Während IU-Mitglieder eine wichtige Rolle in der Mobilisierung zu den Massendemonstrationen am 22. März 2014 spielten, brachte die Führung sich nicht ein, so dass die Beteiligung der IU in der Bewegung eher eine Ausnahme als die Regel blieb. Als die IU die sich bietenden Möglichkeiten nicht nutzte blieb ein politisches Vakuum bestehen, das zum Teil von Podemos ausgefüllt wurde.

Für eine Einheitsfront der Linken und der sozialen Bewegungen

Nach den Wahlen haben plötzlich alle „das Licht gesehen“ und rufen nach einer Vereinigung der Linken, sogar jene, die sich bis jetzt gegen jede Öffnung für andere Kräfte gestellt haben. Socialismo Revolucionario wiederholt die schon lange erhobene Forderung nach einer Einheitsfront der Linken (IU, Podemos und linksnationalistische Kräfte, die zusammengerechnet über 20% der Stimmen bekommen haben) gemeinsam mit den Arbeiter- und sozialen Bewegungen. Aber der notwendige Vereinigungsprozess kann nicht nur aus Vereinbarungen zwischen den Führungen der verschiedenen Organisationen bestehen. Wir müssen uns auf der Grundlage eines offenen und demokratischen Prozesses vereinen, an dem sich AktivistInnen aus allen Organisationen und sozialen Bewegungen beteiligen können um gleichberechtigt zu diskutieren, über die notwendigen nächsten Schritte zu entscheiden und einen glaubwürdigen Plan zu entwickeln, wie die Arbeitenden und die Jugend an die Macht kommen können. Unsere Hoffnungen für die Zukunft ruhen auf den Schultern einer ganz neuen Generation von politischen AktivistInnen und Kadern, die sich durch die Ereignisse und Massenbewegungen dieser Zeit entwickeln.

Aber es wäre auch ein Fehler zu glauben, das die bürokratischen Gefahren und Bremsen für diesen Prozess nur von der Führung der IU kommen. Der Kreis von Medienpersönlichkeiten, der Podemos führt manövriert ebenfalls und trifft wichtige Entscheidungen über die Köpfe derer, die sie vertreten sollen hinweg. Obwohl sie in ihren Reden die Bedeutung der Macht der „Zirkel“ (lokale Gruppen von Podemos) betonen, muss diese Macht in der Realität erst noch geschaffen werden. Die nächsten Monate werden entscheiden, wie sich Podemos an der Basis organisiert und ob sich eine demokratische Basisstruktur entwickelt, die die personenzentrierte Herangehensweise von Iglesias&Co. unter Kontrolle hält.

Iglesias und andere FührerInnen von Podemos richten sich nach dem Vorbild von Chavez und Venezuela. Aber das CWI hat schon mehrfach erklärt, dass im Bolivarischen Prozess die Betonung einer Führungspersönlichkeit zwar zu Beginn die Unterstützung bei Wahlen stärken kann, aber auch eine Gefahr für den Aufbau einer Massenbewegung mit radikaler interner Demokratie und Mechanismen zur Kontrolle und Korrektur von unten bildet.

Wir rufen erneut alle, die für die alternative Linke gestimmt haben, dazu auf sich an der Bildung vereinigter Versammlungen in den Wohngebieten und Betrieben zu beteiligen, die alle linken Organisationen und sozialen Bewegungen umfassen. Diese Versammlungen sollten die Basis der Einheitsfront bilden, die in dieser Situation notwendig ist um unsere Kräfte im Kampf für eine politische Alternative der 99% zu vereinigen.

Aber dieser Kampf muss sein Zentrum zuallererst auf der Straße haben, die die beste Schule für gemeinsames soziales und politisches Handeln ist. Am 22. März waren bis zu 2 Millionen Menschen auf der Straße. Sie alle und mehr haben jetzt für die alternative Linke gestimmt. Die Märsche der Würde haben trotz der Kriminalisierung und Repression durch das Regime ihre Spuren bei der Wahl hinterlassen und dem Zweiparteiensystem der Bosse einen schweren Schlag versetzt. Das wird der Schlüssel zum dringend notwendigen Prozess der Einheit und des Kampfes sein. Aus den Kämpfen der ArbeiterInnen, der Armen und der Jugend müssen Bündnisse und Führungen hervorgehen, die den grundlegenden Wandel einleiten können, der im Interesse der Arbeiterklasse ist und der nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen System und durch eine Arbeiterregierung auf sozialistischer Grundlage möglich ist.