Seit Jahrzehnten treffen sich linke Daimler-Betriebsräte, um Alternativen zur Standortpolitik zu entwickeln
Es ist wohl die letzte, aus den 1970er Jahren verbliebene Vernetzung antikapitalistischer Betriebsgruppen: die Daimler-Koordination. Am Montag und Dienstag kamen knapp 20 Betriebsräte und Gewerkschafter von verschiedenen Standorten des Autokonzerns in Kassel zusammen, um über Alternativen zur Standortpolitik und Möglichkeiten der Gegenwehr zu beraten. Schnell wurde klar: Die werksübergreifende Zusammenarbeit linker Aktivisten ist derzeit ebenso nötig wie in der Vergangenheit.
von Daniel Behruzi
Wann und wie die Daimler-Koordination genau entstanden ist, wusste keiner der Teilnehmer so genau. In der Rückschau wurde jedoch klar, dass sich die Themen, mit denen sich Gewerkschafter im Unternehmen auseinandersetzen müssen, damals wie heute ähnliche sind: Schlechte Arbeitsbedingungen, Rationalisierung, Standortkonkurrenz. Allerdings hat sich auch viel verändert. Im Zuge der Globalisierung hat sich der Wettbewerb der Standorte – innerhalb des Konzerns und in der Branche insgesamt – extrem verschärft. Vergrößert wird das Potential zur Erpressung der Belegschaften auch durch die wachsende Austauschbarkeit der Produktion in den Werken.
Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verschärfen, so die Einschätzung der Betriebsräte. Denn wie der Branchenprimus Volkswagen versucht auch Daimler, seine Profitmarge durch »agile Produktionssysteme« zu steigern. So werden möglichst viele gleiche Teile in unterschiedliche Fahrzeugtypen eingebaut, um die Stückzahlen zu erhöhen und dadurch die Kosten zu senken. Auch werden zunehmend verschiedene Modelle auf ein und derselben Produktionslinie gefertigt. Eine Folge ist, daß der Konzern die Produktion schneller verlagern kann – zum Beispiel, wenn eine Belegschaft keine Verschlechterungen hinnehmen will. »Das macht klar, daß wir nur gemeinsam mit allen Belegschaften etwas erreichen können«, betonte der Bremer Betriebsrat Herbert Mogck.
Auch sonst sind die Bedingungen für gewerkschaftliche Arbeit nach Einschätzung der Aktiven eher schlechter geworden. Einer ganzen Generation von Arbeitern fehle die Erfahrung größerer Kämpfe, da die IG Metall seit vielen Jahren nicht mehr zu ernsthaften Streiks aufgerufen habe. »Hinzu kommen die Individualisierung und die Veränderung der Kommunikationsgewohnheiten«, sagte der Kasseler Betriebsrat Erich Bauer. »Früher mußte man sich in der Kantine die Ohren zuhalten. Heute spielt jeder nur noch für sich mit seinem Handy.«
Eine weitere Veränderung ist die härtere Gangart des Managements im Betriebsalltag. »Verträge werden längst nicht mehr automatisch eingehalten«, so Christa Hourani, Beschäftigtenvertreterin in der Stuttgarter Konzernzentrale. »Statt dessen müssen wir oft langwierige Konflikte austragen, damit geschlossene Vereinbarungen auch tatsächlich umgesetzt werden.« Eine Folge ist, dass sich viele Betriebsräte in den täglichen Kleinkriegen aufreiben und kaum noch politisch und strategisch agieren. »Es ist wichtig, dass Betriebsräte die Kollegen motivieren, selbst ihre Rechte einzufordern, statt sich als Sozialarbeiter missbrauchen zu lassen«, erklärte Gerwin Goldstein aus Bremen.
Trotz der Schwierigkeiten gelingt es immer wieder, größere Aktionen loszutreten und Verbesserungen durchzusetzen. So legte die Bremer Daimler-Belegschaft zuletzt mehrfach die Arbeit nieder, um gegen die Fremdvergabe von Produktion an externe Firmen zu protestieren. Das sei zu großen Teilen auf die Aktivitäten linker Gewerkschafter zurückzuführen, betonte Goldstein. Im Werk Untertürkheim – wo die linke »Alternative«-Gruppe Teil der IG-Metall-Betriebsratsfraktion ist – konnte die Belegschaftsvertretung mehrfach die Festanstellung von Leiharbeitern durchsetzen. Auch die Skandalisierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse hatte dort einen Effekt. Zum Teil seien Tätigkeiten wieder ins Unternehmen eingegliedert worden, um öffentliches Aufsehen und juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden, berichtete der Untertürkheimer Betriebsrat Michael Clauss.
Die Zurückdrängung von Leiharbeit und Werkverträgen soll auch in den kommenden Monaten ein Schwerpunkt der Daimler-Koordination sein. Nach der letzten Tarifrunde – bei der unter anderem Branchenzuschläge für Leiharbeiter durchgesetzt wurden – habe die IG-Metall-Spitze betont, man werde »dranbleiben« und das Ziel gleicher Bezahlung von Stamm- und Leihbeschäftigten nicht aufgeben. »Daran sollten wir im Vorfeld der nächsten Tarifauseinandersetzung erinnern«, sagte Clauss.
Der Bremer Betriebsrat Goldstein betonte, Ziel müsse die Abschaffung von Leiharbeit sein, nicht deren Regulierung. Um den Widerstand gegen Prekarisierung zu koordinieren und eine Strategie gegen die fortlaufenden Rationalisierungsmaßnahmen zu entwickeln, solle die IG Metall eine bundesweite Vertrauensleutekonferenz der Daimler-Werke einberufen. Hierzu habe eine Vollversammlung der Bremer Vertrauensleute die Gewerkschaft in einer Resolution einstimmig aufgefordert, berichtete Goldstein.