Griechenland: Alltag in der Krise

Foivos und MariaGespräch mit Foivos Makridis und Maria Papadópoulou aus Thessaloniki

Nach drei Jahren Wirtschaftskrise sind über 60 Prozent aller Jugendlichen arbeitslos, die durchschnittliche Lebenserwartung ist um drei Jahre gesunken. Foivos Makridis und Maria Papadópoulou, Mitglieder von Xekinima (griechische Schwesterorganisation der SAV), berichten, wie sich die griechische Gesellschaft unter der Troika-Diktatur verändert hat.

Foivos: Das Schockierendste ist die erneute Emigration, besonders unter Jugendlichen. Eine Freundin von uns ist nach Stuttgart gezogen, um dort als Frisörin zu arbeiten. Aber auch innerhalb des Landes sind viele junge Menschen gezwungen, nach Abschluss ihres Studiums wieder in ihre Dörfer zurückzukehren und selbst mit über 30 Jahren weiter bei den Eltern zu leben.

Maria: In den letzten Jahren konnten viele gar nicht erst studieren, da sie sich ein Zimmer in den Städten nicht leisten können, und es gibt nur sehr wenige Studentenwohnheime. Oder sie mussten ihr Studium abbrechen, weil die Eltern ihre Arbeit verloren haben. Bis vor drei Jahren konnte man noch Kellnerjobs finden, um etwas Geld zu verdienen, das ist vorbei.

Foivos: Vor fünf Jahren war einer der Slogans der Bewegung gegen prekäre Arbeitsverhältnisse: „Wir wollen nicht die 700-Euro-Generation sein“. Heute wären selbst viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, Lehrer zum Beispiel, froh, wenn sie ein so hohes Gehalt hätten.

Maria: Meine Freundin Nathalia, die fünf Tage die Woche sechs Stunden am Tag ohne Pause bei der Telefonauskunft arbeitet, die früher staatlich war und heute der Deutschen Telekom gehört, verdient 310 Euro im Monat.

Ich selbst arbeite in einer Schule für körperlich und geistig behinderte Menschen auf Honorarbasis. Heute bekomme ich mit 9.000 Euro im Jahr circa 2.500 Euro weniger als 2010. Heute kann ich kaum noch sparen, weil die Preise höher sind als vor Beginn der Krise.

Foivos: Das ist bei den meisten Menschen unter 35 Jahren der Fall, selbst die Renten der Großeltern werden herangezogen, um die Familie über Wasser zu halten. Und auch die sind in den letzten Jahren gekürzt worden, bis zu 50 Prozent. Viele Familien holen die Menschen wieder aus den Altenheimen, um das Geld zu sparen.

Maria: Diese Altenheime sind allerdings wirklich schlecht. Auch das öffentliche Gesundheitssystem war nie gut, aber jetzt ist es völlig am Boden, man muss manchmal zwei Monate auf einen Arzttermin warten. Auch im Behindertenbereich gab es eine Menge Kürzungen, zum Beispiel werden Windeln und viele Medikamente nicht mehr bezahlt.

Foivos: Um zumindest Erste Hilfe sicherzustellen, haben einige Ärzte und Krankenpfleger in Thessaloniki und Athen eigene kleine Krankenhäuser aufgebaut, in denen früher hauptsächlich mittellose Immigranten behandelt wurden. Heute sind die meisten Patienten verarmte Griechen, die oft bis vor kurzem gute Jobs hatten.

Die meisten sehen zwar die Verantwortung für ihr Elend bei der Regierung und der Troika, glauben aber nicht, dagegen etwas ausrichten zu können und sind deprimiert. Um diese Leute zu erreichen und in Aktivität zu bringen, versuchen wir zum Beispiel, sie in Soli-Projekte wie etwa Essensausgaben oder Tauschbörsen einzubinden.

Es ist ein großer Fehler der linken Parteien gewesen, den Menschen keine klare Vision zu geben, für die sie kämpfen können. Auch die Gewerkschaftsbewegung muss eine Strategie aufzeigen, wie die Regierung zu Fall zu bringen ist. Xekinima versucht, möglichst viele Kräfte auf der Linken zusammenzubringen. Wir schlagen eine Strategie vor, wie die Bewegung weiter aufgebaut, die Regierung gestürzt und eine linke Regierung gebildet werden kann – die den Kapitalismus herausfordert.

Ich denke, die Linke hat noch immer die Möglichkeit, sich zu beweisen, eine Botschaft an die Massen nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa zu senden, dass sie kämpft und zu ihren Zielen steht.

Maria: In den letzten Jahren haben sich viele Solidaritätsbewegungen entwickelt, wie die „Kartoffelbewegung“ kleiner Lebensmittelproduzenten, die Nachbarschaftsinitiativen, was gute Ansätze sind. Wir müssen wieder eine Kultur von Solidarität schaffen, Leute müssen zusammenkommen, diskutieren, um Schluss zu machen mit dem individualistischen Lebensstil, den uns Jahrzehnte neoliberaler Propaganda aufgezwungen haben.

Foivos: Ein Beispiel dafür ist auch das 20. antifaschistsche Camp von „Jugend gegen Rassismus in Europa“, was wir dieses Jahr auf der Insel Thassos veranstaltet haben. Unter den über 300 Teilnehmer waren auch viele Aktive aus der Gegend. Eine der älteren Antifa-Aktivisten meinte zu uns am Ende, sie sei zuerst überrascht gewesen, so viele junge Menschen zu sehen, die den ganzen Tag für das Camp arbeiten und dabei so viel lachen und Spaß haben, trotz Krise und Perspektivlosigkeit. „Aber dann habe ich gemerkt, dass ihr Frauen und Männer seid, die im Kampf stehen, und deswegen soviel lachen.“ Das stimmt, weil wir für eine bessere Welt kämpfen, fühlen wir uns stark.