Big Data is watching you!

Foto: http://www.flickr.com/photos/kitschbitch/ CC BY-NC-ND 2.0
Foto: http://www.flickr.com/photos/kitschbitch/ CC BY-NC-ND 2.0

Bürgerlicher Staat und Geheimdienste

Das von Edward Snowden aufgedeckte Ausmaß von staatlicher Überwachung zeichnet ein düsteres Bild der heutigen digitalen Gesellschaft. Wenn jeglicher Datenverkehr überwacht und in enormen Datenbanken gespeichert wird, der User für den Staat also maximal transparent wird – der Staat aber gleichzeitig drastische Maßnahmen ergreift, um seine Geheimnisse zu decken –, spricht dies Bände über den Charakter dieses Staates.

von Sebastian Rave, Bremen

Die Datenmengen, die Geheimdienste wie NSA (National Security Agency, USA), GCHQ (Government Communications Headquarters, Großbritannien) und wahrscheinlich auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) täglich aus den großen Internet-Glasfaserkabeln fischen, sind enorm. Das britische Spionageprogramm Tempora zapft alle transatlantischen Datenübertragungen ab, egal ob private E-Mails, Chatunterhaltungen oder Telefonate, und speichert diese. Mit PRISM werden Internetriesen wie Facebook, Google, Apple und Microsoft gezwungen, auf Verlangen der NSA alle anfallenden Daten ihrer Kunden zur Verfügung zu stellen – während ihnen gleichzeitig verboten wird, darüber zu berichten.

Ähnliche Programme gibt es in Kanada, Australien und Neuseeland, die gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien die Spionageallianz „Five Eyes“ bilden. Erklärtes Ziel der Geheimdienste: Alles speichern. Der Speicherbedarf ist natürlich dementsprechend groß: So baut die NSA ein neues Datencenter in Utah, in dem angeblich ein Yottabyte gespeichert werden kann – das entspricht 140 Terabyte für jede einzelne Person der Weltbevölkerung. Zum Vergleich: Wenn man die Aktenberge der Stasi digitalisieren würde, käme man auf 2,8 Terabyte – insgesamt. 

Big Data

Derartige (automatisch gesammelte) Datenmengen stellen die Geheimdienste natürlich vor neue Herausforderungen. Bewegungsprofile aus Handyortungen, wer wen wann angerufen hat, wer auf welchen Web-Seiten war und was geschrieben hat, aber auch Informationen darüber, was wo gekauft wurde, müssen miteinander verknüpft und ausgewertet werden. Dafür sorgen komplexe Datenbanken und Analyseprogramme wie XKeyscore. Mit dieser Software kann gezielt nach „verdächtigem Kommunikationsverhalten“ gescannt werden – was verdächtig ist und was nicht, ist der Phantasie des Überwachenden überlassen. Gesucht werden kann nach allem, sei es „Al-Qaida“ oder „Demonstration“.

Geheimdienste auflösen!

DIE LINKE fordert in ihrem Programm die Auflösung von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Co. Geheimdienste entziehen sich ihrer (geheimen) Natur nach einer demokratischen Kontrolle und sind deshalb nicht reformierbar. Das ist sicherlich richtig, die Affäre um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sollte Beweis genug dafür sein.

Geheimdienste sind aber nicht nur ihrer Erscheinung nach undemokratisch, sondern ihrem Zweck nach vor allem ein Repressionswerkzeug, das helfen soll, den gesellschaftlichen Status Quo aufrechtzuerhalten. Die Informationen, die von Geheimdiensten so massenhaft gesammelt und gespeichert werden, werden im Zweifelsfall auch genutzt – auch wenn man das nach dem Vorgehen des Verfassungsschutzes in der NSU-Affäre nicht vermuten mag.

Repression

Die Geschichte zeigt, dass der Kapitalismus den Mantel der bürgerlichen, freiheitlichen Demokratie ablegen kann, wenn eine Bewegung entsteht, die ihm gefährlich wird. Nichts anderes passierte 1933, als Hitler von den Bürgerlichen die Macht übergeben wurde. Das Gespenst der Revolution, was angesichts der schweren kapitalistischen Krise immer bedrohlicher spukte, wurde von den Nazis in Blut ertränkt, die Herrschaft des Kapitals gerettet. Auch wenn das sicher nicht unmittelbar droht – die Vorstellung, ein modernes faschistisches Regime mit einem High-Tech-Geheimdienst ausgerüstet zu sehen, ist mehr als beunruhigend.

Sicherlich kann man versuchen, seinen „digitalen Fußabdruck“ klein zu halten, Mails mit PGP verschlüsseln, Browsen durch das Tor-Netzwerk oder über VPN-Kanäle, auf Facebook oder sogar Mobiltelefon verzichten. Aber wer kann sich eine solche digitale Askese schon leisten? Am Ende muss man abwägen, ob der Aufwand (der von den Geheimdiensten sicherlich registriert wird) gerechtfertigt ist oder ob man mit einer offenen Kommunikation nicht vielleicht mehr Menschen erreichen kann. Natürlich muss man es den Schlapphüten auch nicht unnötig leicht machen.

Geheimnisse sind eine Machtfrage

Die Repressionen, mit denen Whistleblower wie Chelsea Manning, Julian Assange oder Edward Snowden bedroht und bestraft werden, sollen andere davon abschrecken, die „schmutzige Wäsche“ des Staates – und der Konzerne, die dieser Staat schützt – an die Öffentlichkeit zu bringen. Der Staat besteht darauf, seine Interessen ungehindert durchsetzen zu können, sei es im internationalen Konkurrenzkampf (ein großer Teil der Arbeit von Geheimdiensten besteht neben der militärischen Informationsbeschaffung aus Wirtschaftsspionage und deren Abwehr) oder bei der Unterstützung der Kapitaleigner, Lohnabhängige möglichst ungehindert ausbeuten zu können.

Kein Verlass auf bürgerliche Medien

Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass Medien wie DER SPIEGEL, der „Guardian“ oder die „New York Times“ die Machenschaften der Geheimdienste aufdecken. Natürlich gibt es immer wieder einzelne kritische JournalistInnen. In bestimmten Fällen wird auch das Interesse von Verlegern und Redaktionen an einer spektakulären Geheimdienst-Story, die sich gut verkauft, vorübergehend recht hoch sein. Unter anderem auf den „Guardian“ wurde deswegen massiver Druck ausgeübt, um die Veröffentlichung von Snowden-Dokumenten einzustellen. Andere Zensurmaßnahmen werden wahrscheinlich nicht öffentlich. Am Ende ist aber massiver gesellschaftlicher Druck nötig, um die Herrschenden zurückzudrängen. Artikel in einer Zeitung allein werden keinen Geheimdienst stoppen. Zumal immer mehr Zeitungen, die bislang für einen etwas kritischeren Journalismus standen, von einzelnen Superreichen einfach aufgekauft werden. Jüngstes Beispiel ist der Aufkauf der „Washington Post“ durch den Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Im Endeffekt ist die Informationsbeschaffung eine absolute Notwendigkeit für die Herrschaft der Kapitalisten, Geheimdienste sind ein ebenso notwendiger Teil vom Repressionsapparat wie Polizeiknüppel, Pfefferspray, Armee und Justiz. Deshalb wird man ihnen ihr „Spielzeug“ nicht abnehmen können, ohne grundsätzlich die Machtfrage zu stellen. Unmittelbar müssen diejenigen unterstützt werden, die die grenzenlose Schnüffelei aufdecken, muss aufgeklärt werden darüber, wieviel und warum wir überwacht werden. Nicht zuletzt müssen wir uns organisieren, um uns gegen die organisierte Ausspäherei und deren Ursachen zu wehren.

Sebastian Rave ist Mitglied des Landesvorstands der LINKEN Bremen