Obamas zweite Amtszeit: Der Lack ist ab

Foto: http://www.flickr.com/photos/dborman2/ CC BY 2.0
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Vorwehen einer bevorstehenden Revolte

Von Patrick Ayers, „Socialist Alternative“ (US-amerikanische UnterstützerInnen des „Committee for a Workers’ International“ / „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)

Im Anschluss an die schwere politische Niederlage, die man im April zur Frage strengerer Waffengesetze kassierte, befand sich das „Weiße Haus“ im Mai für geschlagene zwei Wochen in der Defensive. In dieser Zeit ereigneten sich eine ganze Reihe von Skandalen, z.B. zu Benghazi, dem IRS (Bundessteuerbehörde der Vereinigten Staaten), das Gliederungen der rechts-konservativen „Tea Party“-Bewegung ins Visier genommen hat, und anlässlich von Enthüllungen, nach denen Telefonate der Nachrichtenagentur AP systematisch von Behördenseite abgehört worden sein sollen. „Die jüngsten Skandale“, so schrieb die „New York Times“ am 16. Mai, „könnten den Eindruck vermitteln, dass die Betätigungsfelder der Regierung unter der Präsidentschaft Obamas weiter ausgedehnt worden sind als es vielen US-Amerikanern lieb ist.“

Zu dieser Feststellung kam die „New York Times“, noch bevor Edward Snowden und Glenn Greenwald im Juni geheime Dokumente des Militärnachrichtengeheimdienstes NSA an die Öffentlichkeit gebracht haben. Darin geht es um Details zu einem der umfassendsten Überwachungsprogramme der Geschichte. Nach dieser Enthüllung hielt die „NY Times“ am 6. Juni auf ihrer Kommentarseite fest: „In dieser Hinsicht hat die Regierungsadministration jetzt jede Glaubwürdigkeit verloren.“

Enttäuschung

Für Millionen von ArbeiterInnen, Frauen, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Angehörige der LGBTQ-Community und andere geht es dabei nicht nur um Skandale und das Problem der staatlichen Machtausdehenung. Nach der Wiederwahl Obamas und der Niederlage des Milliardärs Mitt Romney, der für die „Republikaner“ ins Rennen gegangen war, gab es die ehrliche Hoffnung, dass es in der zweiten Amtszeit zu einer fortschrittlicheren Politik kommen würde.

Stattdessen schlug Obama als historisch zu bezeichnende Kürzungen bei den Sozialleistungen vor. Er unterzeichnete das Gesetz mit der Bezeichnung „National Defense Authorization Act“, mit dem die Machtbefugnisse des Militärs auf US-amerikanischem Boden ausgeweitet wurden. Trotz anhaltender Hungerstreiks wird Obama das Gefängnis von Guantanamo weitere fünf Jahre in Betrieb lassen, obwohl er zugesichert hatte, diese Einrichtung zu schließen. Seine Regierungsadministration hat das Drohnen-Programm fortgesetzt, versucht, in der Frage der Schuldenklippe den sogenannten Plan B zu verhindern, und betreibt wutentbrannt die rechtliche Verfolgung von Bradley Manning.

Zum Ärger der Arbeiterbewegung und der Hotel-Beschäftigten hat Obama die Magnatin der Hotelkette „Hyatt“, Penny Pritzker, zur Handelsministerin ernannt. Mit ihr und ihrem geschätzten Vermögen in Höhe von 1,85 Milliarden US-Dollar hat Obama nun das reichste Kabinettsmitglied aller Zeiten in seiner Regierung.

Während die Zusammenarbeit dieser Milliardärin aus Chicago, der Heimatstadt Obamas, mit einem Kabinettsposten belohnt wurde, hat der Präsident Obama absolut gar nichts unternommen, um Eltern, LehrerInnen und Studierenden in Chicago beizustehen. Sie hatten dort einen Kampf gegen Bürgermeister Rahm Emanuel („Demokraten“) geführt, der im Mai 50 öffentliche Schulen schließen wollte. Spricht dies nicht Bände darüber, wer die wahren Freunde von Obama sind?

Der Zuspruch, den Obama kurz nach seiner Wiederwahl noch bekommen hat, hat sich mittlerweile vollkommen in Luft aufgelöst, und er ist mit Verbalangriffen ehemaliger UnterstützerInnen konfrontiert. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung im Bundesstaat Washington wurde Michelle Obama durch Zwischenrufe eines ehemaligen Mitglieds des Wahlkampfteams ihres Mannes und Aktivisten für die LGBTQ-Rechte unterbrochen, der eine gesetzliche Regelung forderte, um endlich die Diskriminierung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst zu beenden. Van Jones, sein ehemaliger Berater, hat Obama für dessen Vorgehen im Zusammenhang mit der „Keystone XL“-Pipeline heftig kritisiert. Gegenüber CNN schlug er vor, man solle das Projekt lieber als die „Obama Öl-Pipeline“ bezeichnen!

Edward Snowden erklärte in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ am 9. Juni, dass er die NSA-Dokumente an die Öffentlichkeit weitergegeben hat, weil er so enttäuscht über Obama gewesen sei. Er „hörte, wie Obama seine grundlegenden Politikvorstellungen vorbrachte und nahm an, dass diese auch umgesetzt werden würden“. Das Ergebnis war, dass „ich nur in meinem Entschluss bestärkt wurde.“

Wut und Unzufriedenheit

Neben dieser Enttäuschung nimmt in der US-amerikanischen Gesellschaft auch die Wut und Unzufriedenheit zu. Das ist einer der wichtigsten Faktoren in der politischen Landschaft der heutigen USA, der auch den Boden bereitete, auf dem die „Occupy“-Bewegung noch in der ersten Amtszeit Obamas zu wachsen begann. Darüber hinaus verspricht dieser Umstand, in den vor uns liegenden Monaten und Jahren zu neuen Aufständen zu führen.

Diese Unzufriedenheit ist im Wesentlichen durch das historische Problem begründet, mit dem der US-amerikanische Kapitalismus konfrontiert ist: Er steckt bis zum Hals in Schulden und weist nach einer jahrzehntelangen Stagnation der Lebensstandards ein nur schleppendes Wachstum auf. In einem Land, in dem noch nie so viel Reichtum gehortet wurde wie heute, führt das zum Konflikt zwischen den Erwartungen der arbeitenden Menschen und der „neuen Normalität“, die aus Arbeitslosigkeit, Armut, Niedriglöhnen, Privatverschuldung, schlechtem Gesundheitssystem, einem umweltpolitischen Desaster und immer schwereren Angriffen auf die demokratischen Grundrechte besteht.

Auch die Wut gegenüber den beiden großen Parteien in den USA und den Unzulänglichkeiten in der Regierung nimmt zu. Umfragen zeigen, dass rund 60 Prozent der US-AmerikanerInnen nichts davon halten, was die Partei der „Demokraten“ im Kongress tut. Demgegenüber stehen mehr als 67 Prozent, die die Arbeit der „Republikaner“ nicht für gut heißen (pollingreport.com, 6. Juni 2013).

Diese Unzufriedenheit war 2012 auf den Straßen noch gar nicht sichtbar. Und im Zuge des hoch polarisiert geführten Wahlkampfes wurde sie dann teilweise kanalisiert. Dabei waren viele fortschrittliche Kräfte der Meinung, dass die wichtigste Aufgabe darin bestünde, der politischen Rechten eine Niederlage zu verpassen. Aber jetzt, da keine Wahl ansteht, nehmen auch die Proteste wieder zu. Ein kürzlich erschienener Artikel in der links-liberalen Zeitung „CounterPunch“ von Kevin Zeese und Margaret Flowers legt detailliert dar, dass für das gesamte Gebiet der USA eine ansteigende Kurve zu verzeichnen ist, was die gestiegene Zahl von Protesten angeht. Einbezogen wurden sowohl kleine, direkte Aktionen zu Themen wie den kommunalen Haushalten als auch Massenproteste (vgl.: „Popular Resistance Percolates Throughout the Land“ [sinngemäß: „Im ganzen Land kommt des zum Widerstand aus der Bevölkerung“]; 17. Mai 2013).

Neu entstehende Bewegungen

Die Zunahme an sozialen Kämpfen beruht auch auf dem größten Protest der Umweltbewegung in der Geschichte der USA. Dieser fand im Februar statt und richtete sich gegen die bereits genannte „Keystone XL“-Pipeline. Im Anschluss an diesen Protest konnten wir erleben, wie es zu einer Kampagne kam, mit der die Colleges dazu gebracht werden sollten, ihre Verträge mit Unternehmen zu kündigen, die auf fossile Brennstoffe zurückgreifen. Diese Kampagne breitete sich flugs auf mehr als 400 Hochschulstandorte aus, und es zeichnet sich der Beginn einer neuen Umweltbewegung ab. Darin steckt das Potential zur Radikalisierung einer neuen Generation zu umweltpolitischen Fragen. Auch Obama könnte radikaler werden – vor allem, wenn er zur Frage der „Keystone XL“-Pipeline so weitermacht wie bisher.

Der Protest der Beschäftigten von Fast-Food-Ketten und Aktionen in den Betrieben fanden anfangs nur in New York City statt, dehnten sich dann aber auf den Mittleren Westen und bis zur Westküste der USA aus. Es ist wahrscheinlich, dass es in den kommenden Monaten zu weiteren Protesten der Beschäftigten aus den Niedriglohnbereichen kommen wird. Sicherlich werden auch die KollegInnen, die bei „Walmart“ arbeiten, mit dabei sein. Und die große Empörung, die sich nach dem schrecklichen Vorfall von Steubenville breit machte, zeigt, welches Potential besteht, um eine neue Frauenbewegung entstehen zu lassen.

Im Mai fanden überall in den USA Kundgebungen mit tausenden TeilnehmerInnen gegen den Saatgutkonzern „Monsanto“ und genetisch manipulierte Lebensmittel statt. In Philadelphia sind tausende Studierende von ihren Seminaren auf die Straße gegangen, um gegen die Schließung von Bildungseinrichtungen zu protestieren. Auch die Lehrergewerkschaft von Chicago führte einen dreitägigen Streik gegen Schulschließungen, an dem Tausende teilnahmen, und die LehrerInnen in Seattle waren darin erfolgreich, gegen standardisierte Tests zu kämpfen, nachdem sie es zuvor bereits abgelehnt hatten, die zentralen Testverfahren der Stadt Seattle durchzuführen.

Bei diesen Kämpfen handelt es sich nur um die Vorwehen für noch größere Auseinandersetzungen in der Zukunft. Wie die „Socialist Alternative“ bereits an anderer Stelle erklärt hat, wird in der zweiten Amtszeit Obamas die Rolle seiner Regierungsadministration und der „Demokratischen Partei“ als ergebene Lakaien des viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“ unweigerlich weiter aufgedeckt werden. Das bedeutet nicht, dass Obama aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit oder einer sich weiter zuspitzenden Krise nicht dazu getrieben werden könnte, wieder einmal eine „populistischere“ Rhetorik anzunehmen. Es ist sogar möglich, dass die ein oder andere Reform dabei herumkommt.

Es besteht aber auch die Gefahr, dass die politische Rechte hinzugewinnt. 2010 konnten wir erleben, wie der Verdruss über die Bankenrettungen, die während der ersten Amtszeit Obamas stattfanden, das Aufkommen der rechts-konservativen „Tea Party“ beförderte. Wenn keine klare Alternative aus und für die Arbeiterklasse aufgebaut wird, dann werden 2014 rechte Elemente, wie Rand Paul und andere, unweigerlich von der zunehmenden Unzufriedenheit über Obama profitieren. Sie werden den Sexismus, den Rassismus und Ausländerfeindlichkeit anheizen und Attacken auf EinwanderInnen fahren.

Die vor uns liegenden Monate und Jahre werden gezeichnet sein von einer zunehmenden Anzahl an arbeitenden Menschen, die sich an Protesten und Kämpfen beteiligen werden. Sie werden für SozialistInnen und UnterstützerInnen einer unabhängigen Politik im Sinne der Arbeiterklasse eine historische Gelegenheit bieten. Es ist absolut notwendig, dass wir die Chance nutzen, um die Leute für eine Alternative zum in sich maroden System zusammen zu bekommen.