Vor 80 Jahren: Mössinger Generalstreik gegen nationalsozialistische Machtübernahme

Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_Mössingen.png CC BY-SA 3.0
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Über den 31. Januar 1933 in einem kleinen schwäbischen Örtchen

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und ebnete damit dem deutschen Faschismus den Weg in die Herrschaft. Im württembergischen Mössingen widersetzte sich die Arbeiterschaft tags darauf mit beeindruckender Entschiedenheit: Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter traten in den Generalstreik und bildeten eine kämpferische Demonstration durch die Innenstadt. Von den 4.200 BewohnerInnen gingen 800 gegen Hitler auf die Straße. Der bis heute kaum bekannte Mössinger Protest vom 31. Januar 1933 ging als einziger Generalstreik gegen die Machtübernahme der Nazis in die Geschichte ein.

von Malena Alderete, Stuttgart

In einem zweiseitigen Flugblatt rief die Bezirksleitung der württembergischen KPD zum „entschlossenen Handeln gegen die faschistische Reaktion und ihre staatsstreichlerischen Pläne“ auf. Kommunistische, parteilose und sozialdemokratische ArbeiterInnen sowie alle „Klassengenossen in den Gewerkschaftsverbänden“ wurden aufgefordert zu streiken: „Wir sind bereit, Schulter an Schulter im engsten Klassenbündnis mit Euch allen den drohenden Schlag des Faschismus durch den kühnen Gegenschlag mit der Waffe des Massenstreiks zu beantworten. Wir schlagen Euch vor: Tretet sofort noch vor Arbeitsbeginn oder während der Arbeitszeit in den Betrieben zusammen und wählt Eure vorbereitenden Kampfausschüsse. Beschließt den sofortigen Streik, beantwortet alle faschistischen Angriffe unverzüglich mit der Massenkraft Eurer proletarischen Kampfeseinheit.“

„Hitler verrecke!“

Am Vormittag des 31. Januar finden sich etwa 100 Arbeiterinnen und Arbeiter in der Mössinger Turnhalle ein und starten einen Demonstrationszug in Richtung der Buntweberei Pausa. Mit knapper Mehrheit (53 zu 42) beschließen die Pausa-Beschäftigten, in den Generalstreik zu treten, die Geschäftsführung, die jüdischen Brüder Arthur und Felix Löwenstein, gibt ihnen für den Nachmittag frei. Der Demonstrationszug weitet sich aus auf etwa 600 TeilnehmerInnen. In der Trikotwarenfabrik Merz dringen die DemonstrantInnen in den Web- und Nähsaal, schalten Webmaschinen aus und fordern zur Teilnahme am Streik auf. Unter „Hitler verrecke“-Rufen vergrößert sich der Protestmarsch auf etwa 800 Personen.

Gegen Nachmittag scheitert schließlich der Versuch, die ArbeiterInnen der Buntweberei Burkhardt zum Streik rauszuholen – die Fabrikleitung hatte die Tore schließen lassen. Nachdem eine Staffel der württembergischen Polizei mit Pistolen und Gummiknüppeln die Bahnhofstraße absperrt, wird den Streikenden bewusst, dass es in der Umgebung nicht zu Streiks gekommen sein konnte. Die Streikleitung beschließt die Auflösung des Protestzuges. Wenige Stunden später kommt es zu den ersten Verhaftungen, in der Folge werden 80 Streikende verurteilt und Haftstrafen von bis zu 2,5 Jahren verhängt.

Welle des Widerstands wäre möglich gewesen

Der Mössinger Generalstreik zeigt eindrücklich die Entschlossenheit und den Mut von Hunderten von Arbeiterinnen und Arbeitern im Kampf gegen den Faschismus. Noch bevor die Nationalsozialisten ihre Macht festigen konnten, sollten sie durch Massenaktionen der Arbeiterschaft hinweggefegt werden.

Der Mössinger Generalstreik lässt außerdem erahnen, was ein Streik in ganz Deutschland hätte bewirken können. Die Wirkung von Hitlers Terrorbanden und Paramilitärs wie SA und SS darf zwar nicht unterschätzt werden, doch die nationalsozialistische Herrschaft war unmittelbar nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler keineswegs gefestigt. Dies geschah erst in den Wochen nach dem 31. Januar, etwa mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 und dem Verbot der KPD. Die Zerschlagung der Gewerkschaften folgte Anfang Mai. Ende Juni wurde die SPD verboten.

Ein Generalstreik in ganz Deutschland am 31. Januar 1933, zu diesem frühen Zeitpunkt der NS-Diktatur, hätte AntifaschistInnen ermutigen und eine Welle des Widerstands auslösen können – und womöglich auch das Blatt der Geschichte wenden können.

 

Lese- und Filmtipp:

Hermann Berner, Bernd-Jürgen Warneken (Herausgeber) und andere: „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier! – Das „rote Mössingen“ im Generalstreik gegen Hitler“, 2012. „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“, Dokumentarfilm, 1983, Regie: Jan Schütte