Freiheit für Pussy Riot –- sozialistische Demokratie für alle!

Foto: flickr.com/eorphotography CC BY-NC-SA 2.0

Als drei Mitglieder der Moskauer Band Pussy Riot im März dieses Jahres wegen „Rowdytum“ verhaftet wurden, ging ein Aufschrei durch linke, feministische und Künstlerkreise: Drei junge Frauen, davon zwei Mütter von Kleinkindern, werden festgenommen und später zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt – wegen „Verletzung religiöser Gefühle“, weil sie in einer Kirche ein Punklied als „Anti-Putin-Gebet“ sangen?

von Anna Shadrova, Berlin

Die harte Strafe für Pussy Riot ist ein Ausdruck der Schwäche des Putin-Regimes. Nicht nur den Frauen der Punk-Band erging es so: Auch bei einer regimekritischen Demonstration am 6. Mai wurden mindestens 13 Menschen verhaftet, die unter fadenscheinigen Vorwürfen wie „ Aufruf zu Massenunruhen“ seitdem ohne Urteil in U-Haft sitzen, und denen im wahrscheinlichen Fall einer Verurteilung mehrjährige Haftstrafen drohen. Selbst nachträglich wurden AktivistInnen von linken Organisationen verhaftet, die nicht einmal selbst an der Demo teilgenommen hatten. Als Beweismittel dienen schlechte Videoaufnahmen, auf denen niemand – und dadurch jede und jeder – zu erkennen ist. Zwei Mitglieder der Kunstgruppe Woina („Krieg“) wurden schon Ende 2010 für „Hass gegen die Polizei“ verhaftet und unter Arrest gestellt.

Das Regime versucht, jeden Protest im Keim zu ersticken, sich Respekt zu verschaffen und potenzielle neue AnhängerInnen der Proteste abzuschrecken, indem es alle Kritik am Staatsapparat drakonisch bestraft – politische oder unpolitische.

Aktionsformen, die verbinden?

Viele Menschen in Russland haben sich in den letzten Jahren verstärkt der Kirche und der Religion zugewandt, aus Enttäuschung über die versprochenen und nicht eingetretenen „blühenden Landschaften“ nach dem Zerfall des Stalinismus, aus Verzweiflung über die wachsende Armut, die steigenden Kosten, die völlige Perspektivlosigkeit und den Abbau sozialer Vorsorge, aus Zukunftsangst und Hoffnungslosigkeit. Zwar ist der Vorwurf der „Verletzung religiöser Gefühle“ im Wesentlichen ausgedacht, zumal das Regime die Kirche gezielt als Institution und die Religion durch Einführung entsprechender, verpflichtender Schulfächer gestärkt hat. Aber wenn die Menschen ihre Religion als Zufluchtsort suchen und hoffen, darin ein Stück Würde zu finden – warum sollten sie es gut finden, wenn ein paar junge Frauen sich Punk-spielend in die Kirche stellen und Putin verfluchen? Warum sollen sie sich mit den Frauen solidarisieren? Wen kann die Aktion erreichen und welchen Inhalt kann sie vermitteln?

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass es dem Regime gelingt, Pussy Riot als schuldig und die Strafe als angemessen zu verkaufen – und sich selbst stark, verlässlich und „schützend vor dem Volke“ darzustellen.

Ähnliches gilt für die Verhaftung der Woina-Aktiven vor zwei Jahren. Woina-Aktive machen Aktionskunst mit dem Ziel des „maximalen Spielraums für Interpretationen“ und des „Wettbewerbs der Gedanken“. Berühmt wurde das Video von dem Mann, der mit einem blauen Eimer auf den Kopf über ein Behördenauto mit Blaulicht rannte. Weitere Aktionen waren die Projektion eines Totenkopfs an das Parlamentsgebäude oder die symbolische „”Erhängung von Gastarbeitern und Schwuchteln”“ im größten Einkaufscenter Moskaus. Manche sagen, Woina „sage die Wahrheit über die russische Gesellschaft“ – aber wenn jede und jeder die Wahrheit selbst interpretieren darf, was bleibt dann davon übrig? Entsprechend bejubelten manche Linke, aber auch Rechtsextreme und Neoliberale die Woina-Aktionen und waren überzeugt, sie hätten die echte Interpretation gefunden – und so sollen ArbeiterInnen Seite an Seite mit Rechtsextremen und Neoliberalen solidarisch mit einer Kunstgruppe sein, obwohl das ihren sozialen und wirtschaftlichen Interessen diametral entgegensteht. Pussy Riot und Woina helfen dem Regime darin, den Klassengegensatz zu vertuschen und sich als Hüter der Ordnung und starker Beschützer „der religiösen Gefühle“ darzustellen. Sie versäumen, deutlich zu machen, dass Religion Privatsache sein sollte und ein gemeinsamer Kampf der Betroffenen der sozialen Verzweiflung gegen die Fat Cats und das Regime notwendig ist.

Internationale Solidarität – aber mit welchem Programm?

Während die innerrussische Solidarität sich in Grenzen hält, ist die internationale Solidarität mit Pussy Riot groß: Madonna und die Red Hot Chilli Peppers sprachen sich für ihre Freilassung aus, zahlreiche in- und ausländische Kunst- und Musikschaffende, feministische und linke AktivistInnen. Auch Paul Murphy, Mitglied des Europaparlaments für die irische Schwesterorganisation der SAV, forderte eine Positionierung des Parlaments für die Freilassung und gegen den repressiven Charakter, den das russische Regime zusehends annimmt.

Anders als Paul Murphy aber fordern die meisten der KünstlerInnen und MusikerInnen, die Freiheit für Pussy Riot verlangen, kein demokratisches und soziales Programm für Russland. Sie fordern auch nicht die Freilassung aller anderen politischen Gefangenen in Russland, und keine Organisierung der Arbeiterklasse und keine Massenproteste gegen das Regime und das kapitalistische System. Weite Teile der Solidaritätskampagne mit Pussy Riot wollen Demokratie und Menschenrechte für Pussy Riot, aber kämpfen nicht für Freiheit und ein menschenwürdiges Leben für alle.

Krieg den Herrschenden und ihren Zuständen!

Pussy Riot, Woina und Vergleichbare sind für das Regime harmlos im Vergleich zu Massenmobilisierungen, Streiks und mächtigen Organisationen der Arbeitenden, Arbeitslosen, Jugendlichen und Armen. Das Regime schlägt wie ein angegriffenes Tier um sich – auch, weil die Bewegung gegen Putin und seine gefälschten Wahlen, aber vor allem gegen die soziale Misere und die undemokratischen Zustände seit bald einem Jahr nicht abzuflachen scheint. Jüngste Umfragen zeigen eine Zunahme der Zustimmung zu linken und antikapitalistischen Ideen in der Bewegung. Die Bilder von den arabischen Revolutionen haben sich offenbar gut eingebrannt.