Sommerpause vom Klassenkampf

Eine Woche lang, vom 28.Juli bis zum 5. August, haben sich AntifaschistInnen und SozialistInnen aus Griechenland und einer Reihe anderer Länder beim Sommercamp von JRE (Jugend gegen Rassismus in Europa) getroffen, um unter blauem Himmel politische Ideen und Erfahrungen auszutauschen, neue AktivistInnen kennen zu lernen, am Meer zu entspannen und zu feiern. Neben den täglichen politischen Diskussionen standen zahlreiche Kreativworkshops (z.B. Theater, Musik oder Selbstverteidigung), Wanderungen, Ausflüge und Parties am Strand auf dem Programm.

Seit 19 Jahren veranstalten JRE und Xekinima (die griechische Schwesterorganisation der SAV) ein politisches Sommercamp auf verschiedenen griechischen Inseln, Dieses Jahr fand das Camp ausnahmsweise auf dem Festland im kleinen Küstenort Platanias in der Region Pelion statt.

Unter den ca. 270 TeilnehmerInnen befanden sich auch Mitglieder der CWI-Sektionen aus England und Wales, Belgien, Spanien, Zypern und Deutschland, sowie der sozialistische EU-Parlamentsabgeordnete Paul Murphy von der Socialist Party ( irische Schwesterorganisation der SAV). Jeden Tag wurden verschiedene Workshops und Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen angeboten. Neben Diskussionen über den Aufstieg der Rechten in Griechenland und Europa und antifaschistischen Strategien standen vor allem Themen auf dem Programm, die sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und dem Diktat der Troika, aber vor allem dem Klassenkampf und Alternativen zur kapitalistischen Profitwirtschaft beschäftigten.

In den letzten 2 Jahren reagierten die griechischen ArbeiterInnen, Jugendliche und RentnerInnen mit 16 Generalstreiks und 47 begrenzten Streikaktionen bzw. Warnstreiks auf ihre Situation, die unter dem Druck der Troika und dem Memorandum unerträglich geworden ist: 7 Millionen GriechInnen leben offiziell unter der Armutsgrenze, die Kürzungsmaßnahmen verschärfen die Wirtschaftskrise und die soziale Situation immer mehr – ein Aktivist meinte dazu:„ Heute geht es für viele nur noch ums Überleben – aber wir wollen LEBEN!“

Besonders Frauen leiden unter den sozialen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit, da sie nicht nur doppelt so stark davon betroffen sind, sondern auch wieder in ihre traditionelle Rolle als Mutter zurückgedrängt werden sollen. Häusliche Gewalt gegen Frauen hat seit Beginn der Krise enorm zugenommen, Familiengründungen werden finanziell unmöglich, was zu 300 000 Abtreibungen in Griechenland pro Jahr führt.

Besonders verheerend sind die Auswirkungen der Kürzungsmaßnahmen im öffentlichen Gesundheitssektor zu spüren: eine Krankenhausangestellte der Psychiatrie berichtete,

dass Krankenhauspatienten mittlerweile von der Decke bis zur Lebensmittelversorgung alles selbst mitbringen und organisieren müssen, zahlreiche Krankenhäuser sind jetzt, wie auch Schulen und Universitäten, von Schließung bedroht.

Gerade aus dem Gesundheitsbereich wurde aber auch von massivem Widerstand der Beschäftigten gegen die Angriffe berichtet, wobei sie unter anderem das griechische Gesundheitsministerium besetzten. Auch andere GewerkschaftsvertreterInnen, z.B. der BusfahrerInnen oder der Bankangestellten, berichteten von zahlreichen Streiks und Betriebsbesetzungen. Besonders beeindruckend war das Beispiel der linken Tageszeitung Eleftheropia, die seit einem Jahr unter der Kontrolle der Beschäftigten herausgegeben wird, nachdem diese vergeblich monatelang ausstehende Löhne von ihrem Arbeitgeber eingefordert hatten.

Vor dem Hintergrund der Besetzungen, Ansätze für Selbstverwaltung und anderer Initiativen wie der „Kartoffelbewegung“, bei der ProduzentInnen Lebensmittel ohne Zwischenhändler verkaufen, nahmen die Fragen nach Alternativen zum Kapitalismus, Vergesellschaftung von Betrieben, Arbeiterkontrolle und den Möglichkeiten wirtschaftlicher Planung einen großen Raum ein und wurden detailliert in zwei speziellen Workshops diskutiert. Hierbei betonten viele AktivistInnen, dass Probleme wie z.B. Konkurrenzfähigkeit und Vernetzung von selbst verwalteten Unternehmen letzten Endes nur auf internationaler Eben gelöst werden können.

Einige internationalen Gäste zogen Parallelen zwischen den Bewegungen in Griechenland, Nordafrika und anderen europäischen Ländern, z.B. der spanischen Jugendlichen und Beschäftigten, die, angelehnt an die revolutionären Bewegungen in Nordafrika, mit den Platzbesetzungen der „indignados“ als erste in Europa auf die Krise reagierten und nach Verabschiedung des letzten Kürzungspaketes der spanischen Regierung in diesem Sommer in noch größeren Demonstrationen und Streikaktionen auf die Straße gehen. In ganz Südeuropa haben sich im letzten Jahr Millionen Menschen neu politisiert und wollen gemeinsam ihre Zukunft in die eigene Hand nehmen.

Große Kritik gab es an den Gewerkschaftsführungen, welche die Generalstreiks in Griechenland nur benutzen, um Dampf abzulassen, und der Bewegung keine Perspektive für den Sieg gibt. Die GenossInnen von Xekinima setzen sich gemeinsam mit anderen GewerkschafterInnen für die Vernetzung betrieblicher und sozialer Proteste ein und für langfristige, kontinuierliche Aktionen mit dem Ziel,die Kürzungen zurück zu schlagen und die Wirtschaft selbst übernehmen zu können. Das bedeutet konkret Investitionsprogramme in Bildung, Umwelt, Verkehr und Soziales, und die Überführung von Industrien und Banken in Gemeineigentum, als erste Schritte, um den Kapitalismus zu überwinden und durch eine sozialistische Gesellschaft zu ersetzen.

Diese Ziele wurden auch im Zusammenhang mit den Aufgaben der Linken und besonders einer möglichen linken Regierung diskutiert. Zusammen mit VertreterInnen von SYRIZA und auch des Bündnisses ANTARSYA aus der Region analysierten die TeilnehmerInnen die programmatischen und strategischen Schwächen und Fehlern der linken Kräfte (hier besonders durch die sektierische Rolle der KKE), und betonten die Wichtigkeit der Zusammenarbeit aller linken Kräfte und programmatischer Klarheit, damit eine linke Regierung nicht zum Scheitern verurteilt ist.

Beispiele aus der Geschichte wie die Politik und der Fall der linken Allende-Regierung in Chile 1973, die Machtergreifung des Hitlerfaschismus oder auch die Geschichte der griechischen Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert, Themen weiterer Workshops, dienten hier als wichtige Lehren für die Arbeiterbewegung, der sich die Frage nach Revolution oder Konterrevolution in Griechenland konkret stellt.

Ein Teil dieser konterrevolutionären Bedrohung stellen die Faschisten von Chrysi Avgni (Goldene Morgendämmerung“) dar, deren Wahlergebnis von 7% bei den Maiwahlen (gegenüber einem bedeutungslosen Abschneiden in den Umfragen noch Ende letzten Jahres) die Schwächen der Linken deutlich machte, den griechischen Massen eine klare Alternative zu bieten. Mit scheinbar sozialen und nationalen Forderungen versuchen die Faschisten nun in Betrieben, an Schulen und Unis Fuss zu fassen, greifen ImmigrantInnen und linke AktivistInnen physisch an und haben die Polizei bereits massiv unterwandert. Hier hatten die Diskussionen auf dem Camp nicht nur zum Ziel, politische Argumente gegen die faschistische Propaganda zu entwickeln, die klar mit antikapitalistischen Forderungen verknüpft werden müssen, sondern auch, antifaschistische Netzwerke aufzubauen, die konkrete Aktionen organisieren und als Ausgangspunkt für Antifa-Komitees in den Nachbarschaften, Arbeitsplätzen, Jugendeinrichtungen dienen können.

Die Krise prägte das Camp nicht nur programmatisch. Zahlreiche AktivistInnen konnten sich diesmal eine Teilnahme nur teilweise oder gar nicht leisten, manche hatten dieses Jahr nicht einmal eine Woche Urlaub. Um die Kosten gering zu halten, wurden Essens- und Getränkeversorgung komplett selbst organisiert, auch der Ort selbst war diesmal vergleichsweise kostengünstig. Dass alle in der Küche, beim Transport, an der Bar usw. mit halfen, machte das Camp auch zu einem Beispiel für solidarische Selbstorganisation.

Nicht nur bei den politischen Debatten, sondern ebenso bei den zahlreichen kulturellen Aktivitäten der CampteilnehmerInnen war die Energie und die Kampferfahrung zu spüren, die sie in den letzten Jahren erworben haben. Die SchülerInnen, StudentInnen, ArbeiterInnen, aber auch RentnerInnen, die eine Woche lang in Platanias zusammen waren, sahen das Camp als kleine Ruhepause, um Kraft für die nächsten Kämpfen zu tanken, die im September in Griechenland anstehen. Ob sie traditionelle Rembetika-Lieder sangen, bei den Treffen oder im Meer debattierten oder bei der Trash-Party zu griechischen Versionen berüchtigter Disco-Klassiker tanzten, alle strahlten den Stolz auf die Kampfkraft der Bewegungen und großen Optimismus für die kommenden Kämpfe aus.

Auch wenn viele der neuen AktivistInnen vor allem aus Zeitgründen noch zögerten, sich fest einer Organisation anzuschließen, konnte Xekinima doch 15 neue Mitglieder auf dem Camp gewinnen, unter anderem aus Corfu und Ionannina. Am Ende haben sicherlich alle in dieser Woche jede Menge Ideen und Inspiration gesammelt, die wir in Griechenland und woanders in die Bewegungen mitnehmen. Alle waren sich einig, dass wir den internationalen Großangriff der Kapitalisten auf Sozialsysteme, Arbeitnehmerrechte und demokratische Rechte nur international zurückschlagen können und eine sozialistische Zukunft nur gemeinsam erreichen können.