Einige Fragen und Antworten zur Wahl in Griechenland

Bericht aus Thessaloniki

Eine “normale Enttäuschung” nennt Alekos das Wahlergebnis. Alekos hat zwanzig Jahre in Deutschland gearbeitet und lebt seit acht Jahren wieder in Thessaloniki. Soll heißen, ja die WählerInnen von SYRIZA sind enttäuscht, dass es jetzt doch keine linke Regierung gibt, sie sind aber auch nicht am Boden zerstört. Alekos meint, dass die neue Regierung – wahrscheinlich gebildet aus Konservativen (ND), “Sozialisten” und eventuell den “Demokratischen Linken”(DIMA) – nicht einfach mit den Kürzungsmaßnahmen fortfahren könne.

von Georg Kümmel, z. Zt. Thessaloniki

Mit rund 30 Prozent erhielten die Konservativen drei Prozent mehr Stimmen als das Linksbündnis SYRIZA (27 Prozent).

Für PASOK stimmten 12 Prozent, auf Platz vier kommen die Unabhängigen Griechen, eine Rechtsabspaltung von der ND. mit über sieben Prozent.

Auf Platz fünf dann die Faschisten, “Goldene Morgenröte”, mit knapp sieben Prozent.

Die Demokratische Linke, eine Rechtsabspaltung von SYRIZA erhält sechs Prozent. Abgeschlagen auf Platz sieben die Kommunistische Partei, die KKE, mit 4,5 Prozent. Diese sieben Parteien ziehen wieder ins Parlament, die Hürde liegt in Griechenland bei drei Prozent. (Alle Ergebnisse laut letzter Hochrechnung).

Die stärkste Partei bekommt 50 Sitze als Bonus. Insgesamt gibt es 300 Sitze im Parlament. ND und PASOK haben also bereits alleine eine absolute Mehrheit der Sitze.

Gründe

Viele links orientierte Menschen in Deutschland werden sich wahrscheinlich fragen, warum nach zwei Jahren verheerender Krise und anhaltender brutaler Kürzungen immer noch eine Mehrheit für die bürgerlichen Parteien gestimmt hat.

Aus meinen Erfahrungen in den letzten Tagen gibt es dafür nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von Gründen. Zunächst muss man aber daran erinnern, welchen politischen Erdrutsch es auf der Wahlebene in den letzten Monaten gegeben hat. In den Jahren zuvor erreichte SYRIZA regelmäßig nur bescheidene Ergebnisse um die fünf Prozent. Innerhalb von wenigen Monaten hat sie ihren Stimmenanteil versechsfacht. Besonders wichtig ist, dass gerade die Jugend überdurchschnittlich für SYRIZA stimmte.

Eurofrage

Die Vertreter der bürgerlichen Parteien ND und PASOK (entspricht der SPD in Deutschland) haben natürlich alles versucht, um den Menschen Angst vor einem Wahlsieg von SYRIZA zu machen. Ihr Hauptargument: Wenn SYRIZA gewinnt, fliegt Griechenland aus dem Euro. Davor hat aber fast jeder Angst, denn jeder weiß irgendwie, dass Griechenland wirtschaftlich ein ziemlich kleines, schwaches Land ist. In den Medien wurde gewarnt, dass bei einer Rückkehr zur Drachme diese sofort stark abgewertet würde, Griechenland dann wahrscheinlich kaum noch in der Lage sei, seine Importe, einschließlich dringend notwendiger Medikamente zu bezahlen. Außerdem ist die Zeit der Drachme als eine Zeit hoher Inflation im Bewusstsein verankert. Ein Teil der Griechen hat außerdem Angst, dass ihre bescheidenen Ersparnisse, sich nach einem Rauswurf aus dem Euro in durch die Abwertung in Luft auflösen werden.

SYRIZA hat auf diese allgemeine Angst im Wahlkampf keine Antwort gegeben. Der Vorsitzende Tsipras behauptete, die Troika würde nur bluffen. Griechenland würde nicht aus dem Euro fliegen, weil das wahrscheinlich das Ende vom Euro bedeuten würde und daran hätten gerade Länder wie Deutschland kein Interesse.

Selbst wenn diese Einschätzung richtig wäre, die Befürchtungen der Menschen bleiben bestehen, und das bekam man auch direkt von vielen auf der Straße gesagt, wenn man Wahlwerbung für SYRIZA verteilte.

Meinungsmache

Die Eurofrage ist das wichtigste aber nicht das einzige Argument, das die Bürgerlichen gegen SYRIZA einsetzen. SYRIZA ist ein Bündnis verschiedener linker Organisationen. Die bürgerlichen Kräfte versuchen einfach, SYRIZA für alles verantwortlich erscheinen zu lassen, was man mit “links”in Verbindung bringen kann. Da wird zum Beispiel ein altes Statement eines SYRIZA-Mitglieds ausgegraben, in dem dieses sich für den bewaffneten Kampf gegen den Kapitalismus ausgesprochen hat. SYRIZA wird auch für die brennenden Autos und Geschäfte verantwortlich gemacht, die bei Protesten in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig von “Autonomen” oder staatlichen Provokateuren angezündet wurden.

SYRIZA bringt in seinem Programm natürlich seine Kritik an der Polizei zum Ausdruck. Die bürgerlichen Kräfte machen daraus: SYRIZA stehe für rechtsfreie Raume, für Chaos und Anarchie.

Auch die Kirche ist Teil der allgemeinen bürgerlichen Propaganda. Insgesamt hielt sie sich zwar eher zurück, aber Kirchenvertreter wiesen vornehm darauf hin, dass man doch bitte so wählen solle, dass Griechenlands Verbleib im Euro nicht gefährdet werde. Dass das zumindest auf einen gewissen Teil der Bevölkerung einen Effekt hat, wurde mir bei meinen Fahrten mit dem Bus durch Thessaloniki klar. Jedes mal wenn der Bus an einer Kirche vorbei fuhr bekreuzigte sich ein, wenn auch geringer, Teil der Fahrgäste.

Erfolge der Faschisten

Dass ausgerechnet im einmal von den Nazis besetzten Griechenland eine faschistische Partei so stark werden kann, verwundert viele Außenstehende. Deren WählerInnen haben aber nicht Geschichte studiert, sondern kommen aus den Reihen derer, die keine Arbeit, kein Geld, keine Perspektive und keine Hoffnung mehr haben, dass irgendjemand für ihr Schicksal interessiert. Wenn dann Minister der PASOK hetzen, die Flüchtlinge aus Afrika würden AIDS ins Land schleppen, ist der Boden für die Faschisten vorbereitet. Die Faschisten haben ihre festen Anhänger in den reaktionärsten Kreisen der Gesellschaft, so zum Beispiel auch vom rechten Rand der Kirche und aus den Reihen der Polizei. Einige Polizisten sollen immer eine Visitenkarte der “Goldene Morgenröte”dabei haben, um sie an Leute zu verteilen, die sich bei ihnen über das Verhalten von Flüchtlingen zu beschweren.

Als linke Partei/linkes Bündnis hat SYRIZA mit vielen Vorurteilen der bürgerlichen Gesellschaft zu kämpfen. Das, welches am schwersten wiegt, ist der Rassismus. Ein Passant, dem ich ein Flugblatt gegeben hatte, sagte mir: das meiste im Programm von SYRIZA fände er ganz gut, aber die Forderungen zur Flüchtlingspolitik lehne er rundweg ab. Er wolle nicht, dass alle Flüchtlinge nach Griechenland kommen könnten. Sie hätten schon genug Probleme. Und er verwies auf die Regelung mit Deutschland, dass alle Flüchtlinge die im EU-Grenzstaat Griechenland ankommen, eben nicht weiter geschickt werden dürften. Dabei zeigte er auf eine große Mülltonne am Straßenrand und sagte: Wir wollen nicht der Mülleimer Europas sein.

Mit moralischen”Wir sind doch alle Menschen”-Appellen kann man diesem Rassismus sicher nicht überwinden. Die Flüchtlinge und deren bittere Armut werden als Bedrohung empfunden. Sie sind im Straßenbild präsent. Ob am Strand oder in einem Café in der Innenstadt, man wird innerhalb einer Stunde zehnmal angesprochen oder eher stumm gefragt, ob man nicht ein Armband, Gürtel, Handtasche oder Batterien kaufen möchte. Alte Frauen aus den Nachbarländern bieten Zigaretten an, Kinder stehen mit Eimer und Schwamm an manchen großen Straßenkreuzungen und bieten eine Scheibenwäsche an.

Es gibt eine ebenso große wie universelle Skepsis und Misstrauen gegen alle Parteien. Jemand sagte mir, wir wissen ja nicht, was SYRIZA an der Regierung machen würde. Wir kennen sie nicht.

KKE gegen SYRIZA

Zu den unvermeidlichen Attacken der bürgerlichen, ihren Lügen, von ihnen geschürten Vorurteilen kommen die Fehler der Linken. Das Versäumnis in der Eurofrage habe ich bereits dargestellt.

Über die sektiererischen Haltung der Kommunistischen Partei, KKE, ist innerhalb der deutschen Linken schon einiges berichtet worden. Ich wollte verstehen, wie die Führung ihrer Mitgliedschaft diese spalterische Politik verkaufen kann und haben mit einigen Jugendlichen bei der KKE-Kundgebung gesprochen. Mir fiel sofort deren hohes Selbstbewusstsein und ihr Parteistolz auf.

Im Prinzip lassen sich ihre Aussagen etwa so zusammenfassen. Wir, die KKE, sind die einzig wahren Kommunisten. Wir sind die einzig wahren Gegner des Kapitalismus. Mit den anderen Gewerkschaften machen wir nichts gemeinsam, weil das Verräter sind. Mit SYRIZA machen wir nichts zusammen, “weil das keine Kommunisten” sind. Auf ihren Wahlplakaten schreibt die KKE “ND und PASOK werden sich nicht ändern”, “Kein Vertrauen in SYRIZA”, “Das Volk ist der Hauptdarsteller”.

Die KKE befriedigt damit den Wunsch nach radikaler Ablehnung des Bestehenden, allerdings in oberflächlicher, vollkommen abstrakter Art und Weise und spaltet die Linke.

Illusionen

Aus meiner Erfahrung in den vergangenen Tagen wurde ich sagen, der zweite große Fehler von SYRIZA ist, Illusionen zu haben und diese entsprechend zu verbreiten, über die Größe der anstehenden Aufgaben, über die Möglichkeiten, Kompromisse mit dem Kapital erzielen und echte Verbesserungen erreichen zu können, ohne einen harten Kampf führen zu müssen. Das ganze Herangehen an die Machtfrage ist total falsch. SYRIZA wiegt ihre WählerInnen in der falschen Hoffnung, dass durch die Wahlen, durch parlamentarische Mehrheiten ein echter Wechsel herbeigeführt werden könne.

Da kommen zur Abschlusskundgebung in der zweitgrößten Stadt Griechenlands, eher hoch geschätzt, 5000 TeilnehmerInnen. (In und um Thessaloniki leben ungefähr eine Million Menschen).

Ich sehe keine Gewerkschaftsgliederungen, keine Abordnungen von Betrieben, keine Vertreter der verschiedenen sozialen Bewegungen, die es ja gegeben hat. Proteste gegen die Autobahnmaut, die Platzbesetzungen und nicht zuletzt die vielen Streiks und Generalstreiks. Diese Bewegungen sind nicht vertreten, nur einzelne Menschen als Individuen. Sie hätten aber da sein müssen, massenhaft, mit Schildern, Transparenten, ihren Forderungen, ihrer Kraft. Sicher, es gab nach dem großen Generalstreik im Februar ein Abflauen der Proteste und eine Orientierung auf die Wahlen. Aber die Massen wurden auch nicht von SYRIZA gerufen, SYRIZA hat nicht erklärt, dass die entscheidende Kraft weiter aus den gewerkschaftlichen und sozialen Proteste kommen muss. Und dann stellt sich der Vorsitzende Tsipras auf der Abschlusskundgebung hin und verspricht in großen Worten, mit dem Wahlsonntag würde sich einiges ändern.

SYRIZA muss diesen Fehler korrigieren, muss aufhören, Illusionen in die Macht der Parlamente zu verbreiten. Nicht nur, um spätestens bei der nächsten Wahl siegen zu können, sondern weil die eigentliche Kraftprobe erst nach der Wahl kommt, wenn das eigene Programm umgesetzt werden soll. Und der Kampf geht auch unmittelbar nach dieser Wahl weiter. Durch Reden im Parlament sind weitere Kürzungen jedenfalls nicht zu stoppen.

Vor den Wahlen herrschte eine “entschlossene Ruhe”, so beschreibt es Alekos. Ja, er sei enttäuscht, aber die Linke habe so viele Stimmen wie nie zuvor bei einer Wahl bekommen. Und man solle die Leute nicht unterschätzen. Sie würden sich weitere Kürzungen nicht gefallen lassen. Wenn die Löhne weiter gesenkt würden, noch mehr Leute entlassen würden, neue Kürzungen angekündigt würden, dann werde es auch wieder Proteste und Streiks geben.