Über 700 Festnahmen auf der „occupy Wall Street“-Demonstration

Kampf geht trotz Polizeibrutalität weiter


 

sozialismus.info veröffentlicht hier eine Übersetzung von einem Bericht der Demonstration vom 2. Oktober und ein Flugblatttext der us-amerikanischen Schwesterorganisation der SAV. Beide Artikel erschienen zuvor auf www.socialistworld.net.

von Peter Ikeler, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV in den USA)

Über 700 DemonstrantInnen wurden am vergangenen Samstag auf der Brooklyn Bridge in New York festgenommen als die „Occupy Wall Street“-Bewegung (besetzt die Wall Street) in ihre dritte Woche startete. Diese Bewegung gegen die Macht der Konzerne hat sich nun in dutzende Städte in den USA ausgebreitet, ist voll von Energie und erreicht immer mehr Unterstützung von Gewerkschaftern und einer breiteren Öffentlichkeit. Außerdem zieht sie vermehrt neue AktivistInnen an.

Mitglieder und UnterstützerInnen der Socialist Alternative (Sozialistische Alternative – Schwesterorganisation der SAV in den USA) nahmen an den Ereignissen vom Samstag teil und versammelten sich am Liberty Plaza. Am Freitag zog die Besetzungsbewegung eine Gruppe von 2.000 Menschen an, die sich nach der Arbeit in dem Park versammelten. Reden wurden gehalten, Arbeitsgruppen bildeten sich und eine „Generalversammlung“ wurde gegründet. Viele neue Leute beteiligten sich, nachdem sie sahen, wie die Polizei eine Woche zuvor die Demonstration angegriffen hat und für sich das Gefühl hatten nun an der Bewegung teilzunehmen.

Wir erhielten viel Unterstützung von TeilnehmerInnen der Bewegung und von PassantInnen. Wir hatten Schilder auf denen stand „Schließ dich den Sozialisten an“ und „Die Wall Street hat zwei Parteien [die Demokraten und die Republikaner, d.Ü.], wir brauchen unsere eine für uns!“. Viele Leute kamen um zu hören, „was die SozialistInnen zu sagen haben“. Wir hatten auch die letzte Nummer der „Justice“ – Gerechtigkeit, unsere monatliche Zeitung, einige Marxistische Literatur, ein Flugblatt für die Besetzungsbewegung und unserer Banner auf dem zu lesen war: „Arbeitsplätze, keine Kürzungen! Beendet die Diktatur der Wall Street!“ Wir sprachen mit den Leuten, brachten unsere Ideen ein, verkauften unser Material und bauten neue Kontakte auf.

Die Stimmung auf dem Platz war fantastisch. Der Einsatz und die Disziplin der Bewegung ist bewundernswert. Die Polizei erlaubt uns keine Zelte, also blieben uns nur unsere Matratzen und Schlafsäcke. Sie erlaubten uns keine Megaphone, also nutzten wir „menschliche Mikrofone“. Es gibt auf dem Platz eine Bücherei, ein Mediencenter, Sanitäter und ein Ordnungs-Team.

Die Demonstration begann mit einer allgemeinen Erklärung der Ziele: Ein Ende der Diktatur der großen Banken über die Politik und das tägliche Leben. Gleichzeitig riefen die DemonstrantInnen unisono: „Dies ist eine friedliche Demonstration!“ Die Demonstration verließ das Camp am Liberty Plaza um 16h und bewegte sich organisiert durch New York auf die Brooklyn Bridge zu. Während die Mehrheit von uns Jugendlichen, Studenten und junge ArbeiterInnen waren, nahmen auch einige ältere AktivistInnen und langjährige GewerkschaftsaktivistInnen teil. Umrahmt wurde die Demo dabei von einer Großen Polizeieinheit.

Es herrschte eine Kämpferische Stimmung und der Gedanke eines gemeinsamen Anliegens, auch wenn dies relativ vage blieb. Uns wurde verboten auf der Straße zu marschieren, also gingen wir auf den breiten Bürgersteigen. Einige der Slogans waren:

"How do we end this deficit? End the war! Tax the rich!" – Wie beenden wir das Haushaltsdefizit? Beendet den Krieg! Besteuert die Reichen!

"Banks got bailed out, we got sold out!" Banken werden gerettet, wir werden verkauft.

"Hey hey, ho ho, Capitalism has got to go!" Hey hey, Ho ho, Kapitalismus soll verschwinden

Der Verkehr wurde an verschiedenen Stellen aufgehalten. Leute in Anzügen, die in ihren privaten Taxis zu warten hatte, schauten uns angewidert an, aber eine ganze Reihe von Passanten winknten und hupten, um uns zu unterstützen und einige schlossen sich uns sogar an. Als wir in Richtung City Hall Park gingen und auf die Auffahrt zur Brooklyn Bridge kamen, gab es einige Verwirrung: Sollten wir den Fußgängerüberweg nehmen oder doch lieber in der Mitte der Straße laufen? Trotz einiger Versuche von AktivistInnen sie aufzuhalten, ging eine große Gruppe auf der Straße rasch vorwärts.

Polizei fängt Prostierer mit organgenen Netzen

Es kam später heraus, dass die New Yorker Polizei (NYPD) bereits einem großen Block von Maschierern erlaubt hatte auf die Straße zu gehen, sie sogar auf eine Seite eskortiert hatte und den Verkehr aufhielt. Doch nach einem Drittel des Weges über die Brücke liefen die Prostierer direkt in eine Wand von Polizisten mit organgenen Netzen. Die meisten hatten erst den Eindruck gehabt, es wäre die Hauptroute der Demonstration. Verwirrung setzte ein und man fand sich in einer Sackgasse wieder, weil hinter der Demonstration eine neue Wand von Polizisten den Rückweg abschnitt.

Diejenigen von uns auf dem Fußgängerüberweg über ihnen konnten beobachten, wie sich das alles entwickelte. Gemeinsam riefen wir mit unseren Brüdern und Schwestern „Lasst uns demonstrieren! Lasst uns demonstrieren!“ Dann holten sie die Plastik-Handschellen raus. Hunderte von ihnen! Einer nach dem Anderen, die große kräftige größten-teils mit weißen T-Shirts bekleidete Gruppe von Polizisten holten zufällig gewählt, friedliche Demonstranten aus den Reihen und verhafteten sie. In einem Fall zerrten drei große Polizisten ein junges Mädchen aus der ersten Reihe der Menge und schnallten ihr die Hände auf dem Rücken fest.

Das ganze dauerte mehr als zweieinhalb Stunden an. Von vorne nach hinten holten die Polizisten jeder der mehr als 700 Leute aus der Menge, legten ihm oder ihr Handschellen an und setzten die Person an die Seite der Brücke. Am Anfang der Brücke hatte die Polizei einen Block gebildet, der Hunderte davon abhielt auf die Brücke zu gehen. Die New York Times berichtete, dass am frühen Nachmittag 10 Polizeibusse mit jeweils bis zu 20 Leuten von Rikers Island losgeschickt wurde. Das ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Polizei Massenverhaftungen von Anfang an geplant hatte. Ein Polizist bewachte jeweils fünf Menschen mit Handschellen auf dem Boden. Selbst die Menschen auf dem Fußgängerüberweg wurden von der Polizei angegangen und ihr Rückweg wurde versperrt.

Klarerweise war das ein bewusster Versuch der NYPD diesen zweiwöchigen Protest der Missachtung gegen die Banken zu brechen. Es kam heraus, dass die NYPD erst vor kurzem eine Spende von 4,5 Millionen US-Dollar von der Bank JPMorgan Chase erhalten hatte.

Bisher hat diese komplett ungerechtfertigte Repression es nicht geschafft den Geist, dieser sich entwickelnden Besetzungsbewegung zu brechen. Sie hat vielmehr breite Sympathie für den Kampf hervorgerufen, nicht nur in den USA sondern auch international, wo viele Leute wahrnehmen, wie die Jugend ihre demokratischen Rechte ausübt und gegen die Wall Street und das herrschende Establishment aufsteht. Am Mittwoch den 5. Oktober sind Demonstrationen vom Rathaus zur Wallstreet geplant, die zur Unterstützung der Besetzung Gewerkschaften und Bürgerorganisationen einschließt.

Occupy Wall Street zeigt, dass es einen Weg gibt sich zu wehren und unsere Anliegen bekannt zu machen. Das Potential daraus eine breitere soziale Bewegung aufzubauen wird durch die Sympathie für die Bewegung und die Wut über die Verhaftungen gezeigt. Immer wieder zu besetzen, zu demonstrieren, verhaftet zu werden und wieder von vorne zu besetzen, ist begrenzt. Es gibt deshalb die unbedingte Notwendigkeit eine Strategie zu entwickeln und ein Programm eine breite Massenbewegung aufzubauen.

Sozialistischer Standpunkt zur Bewegung „Besetzt die Wall Street“

Beendet die Diktatur der Wall Street!

Statement der New Yorker Ortsgruppe von Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA)

Es folgt der Text, den die Socialist Alternative-Ortsgruppe in New York City als Flugblatt bei den Protesten der Bewegung „Occupy Wall Street“ am 3. Oktober verteilte.

Beendet die Diktatur der Wall Street!

Alle Welt richtet das Augenmerk auf die Besetzung der Wall Street. Der Protest hat das Vorstellungsvermögen Tausender erweitert und zu weiteren Besetzungsaktionen animiert, die mittlerweile überall in den USA stattfinden.

Der brutale Polizeieinsatz von letztem Samstag, der eigentlich zur Einschüchterung der Bewegung dienen sollte, ist vollkommen darin gescheitert, unseren Kampfgeist zu schwächen. Vor allem die jungen Leute sind jetzt entschlossener zu kämpfen denn je. Inspiriert von den revolutionären Erhebungen in Ägypten und Nordafrika wie auch von den Massen-Besetzungen der großen Plazas in Spanien und Griechenland durch die Jugend dort, sind die Protestierenden hier auf die Straßen von New York gegangen, um gegen die Dominanz der Wall Street und der Großkonzerne aufzustehen.

Unter der Oberfläche herrscht große Wut auf die US-Ordnung. Und diese scheint in den rechtsgerichteten Wahnsinnigen von der Tea Party-Bewegung auch noch ihr überdrehtes Gegenstück zu finden. Doch die Massenbewegung in Wisconsin vom Frühjahr diesen Jahres wie auch die jetzt keimenden und von den jungen Menschen getragenen Besetzungsaktionen der Wall Street geben einen Geschmack vom enormen Potential, das besteht, um diese Wut in eine progressive soziale Bewegung zu verwandeln.

Besetzungen reichen nicht

Wie können wir den Kampf voran bringen? Viele beteiligen sich an den Besetzungsaktionen, um „Freiräume“ zu schaffen. Sie wollen eine neue, gleichere und gerechtere Gesellschaft und hoffen darauf, dass andere dadurch motiviert werden, sich anzuschließen. Während es sich bei der Besetzung an sich um ein überzeugendes Beispiel für eine Bewegung handelt, die auf Demokratie, Kooperation und Solidarität basiert, so wird die Besetzung allein leider nicht reichen, um eine Massenbewegung aufzubauen, die in der Lage sein kann, die Gesellschaft zu verändern.

Viele der Beteiligten haben die Verbindung zu Ägypten gezogen und gesagt, dass eine an TeilnehmerInnen wachsende Besetzungsaktion mit nur einer Grundsatzforderung schon reicht, um einen Diktator zu stürzen. In Wirklichkeit aber war die Situation doch etwas komplizierter. In der Woche, bevor der ägyptische Diktator Mubarak verdrängt wurde, betrat die Arbeiterklasse mit entscheidenden Streikaktionen die Bühne und legte damit Teile des gesellschaftlichen Lebens lahm. Und das war es, was der herrschenden Elite Angst bereitete.

Die Besetzungen in Spanien und Griechenland waren weitaus größer als die „Occupy Wall Street“-Aktionen. Allerdings fehlt beiden die in Aktion tretende und weitaus mächtigere Kraft der Arbeiterklasse, um einen Sieg zu erringen. In Wisconsin dauerte eine gewichtige Besetzungsaktion des dortigen Capitol-Gebäudes über drei Wochen an und stand im Zentrum von Massendemonstrationen von ArbeiterInnen und Jugendlichen. Siegreich hätte man sein können, wenn diese Bewegung sich in Richtung Generalstreik der ArbeiterInnen orientiert hätte, um das wirtschaftliche Leben dieses Bundesstaats zum Erliegen zu bringen.

Stattdessen wurde die Schlacht von Wisconsin von der Demokratischen Partei und der obersten Führungsriege der Gewerkschaften in eine Kampagne gehüllt, aber dennoch bewusst zum Entgleisen gebracht, um die Republikaner aus dem Amt zu heben und statt ihrer die Demokraten zu inthronisieren. Dabei sind die Demokraten genau wie die Republikaner eine Partei der Wall Street und der Großkonzerne, und sie haben keine Lösungen zu bieten. Wir brauchen einen unabhängigen Kampf, mit dem versucht wird, die breitestmögliche Mobilisierung von ArbeiterInnen und Jugendlichen zu erreichen. Vereint haben wir die Macht, unsere Arbeitskraft abzuziehen, das Mühlrad zu stoppen und die Banken, Konzerne und die herrschende Elite da zu treffen, wo es weh tut.

Um solche kühnen Maßnahmen zu ergreifen, müssen wir Selbstvertrauen gewinnen. Aus diesem Grund sollte die „Occupy Wall Street“-Bewegung zu Massendemonstrationen rund um die Forderungen und Themen aufrufen, die arbeitenden Menschen wie auch Jugendlichen auf den Nägeln brennen: Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheit und so weiter. Der Jugend kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. In Großbritannien, Chile und Wisconsin wie auch in anderen Auseinandersetzungen war und ist es die Jugend, die als erstes auf die Straße geht und Aktionen beginnt und somit die Menschen ermutigte und die Tür für weitaus umfassendere Kämpfe der Arbeiterklasse aufstößt.

Unsere Forderungen lauten:

  • Besetzungen überall in die USA ausweiten und in die Schulen undKommunen tragen.
  • Massendemonstrationen an den Wochenenden organisieren, die folgendenAufruf haben könnten: Keine Kürzungen bei den Sozialleistungen; fürein massives Arbeitsbeschaffungsprogramm; für umfassendeSteuererhöhungen bei den Super-Reichen und Großkonzernen; Beendigungdes Krieges; für die drastische Absenkung des Militärhaushalts;Verteidigung gewerkschaftlicher und demokratischer Rechte.
  • Vorbereitung der landesweiten Aktionswoche Mitte November, um denKürzungsplan des „Congressional Super Committee“ zu bekämpfen, derStreichungen bei den öffentlichen Sozialleistungen um 1,5 BillionenDollar vorsieht. Wir fordern Arbeitsplätze statt Kürzungen!
  • Vorbereitung darauf, bei den Wahlen 2012 unabhängige KandidatInnen derArbeiterklasse aufstellen zu können, um die Politik der zweiunternehmerfreundlichen Parteien herauszufordern. Das muss der ersteSchritt hin zur Gründung einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnensein.
  • Beendigung der Diktatur der Wall Street! Die Bewegung muss aufgebautwerden, um das verkommene System des Kapitalismus durch einendemokratischen Sozialismus zu ersetzen und eine neue Gesellschaft zuschaffen, auf den Bedürfnissen der Menschen basiert.