Deutschland „am Rande einer Rezession“

Alarmierende Konjunkturprognosen


 

Vordergründig betrachtet scheint alles in Butter. Während die Forschungsinstitute die Rückkehr der deutschen Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau ursprünglich erst für 2013 prognostizierten, ist das nun schon dieses Jahr der Fall. Die Internationale Automobilaustellung (IAA) bezeichnet die Berliner Zeitung vom 12. September als eine „Riesenfete, die deutschen Autobauer feiern in Frankfurt das mutmaßlich beste Jahr ihrer Geschichte“. Aber die Herbstprognosen der Konjunkturforscher zeichnen plötzlich ein ganz anderes Bild. Auch für die Bundesrepublik stehen die Zeichen auf Abschwung.

von Aron Amm, Berlin

Im letzten Jahrzehnt konnte das deutsche Kapital seine Position auf Weltebene ausbauen. Zwar brach die Wirtschaft hierzulande im Krisenjahr 2009 sogar um fünf Prozent ein. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern, Japan oder den USA berappelte sich die deutsche Ökonomie aber rasch wieder. Drei Faktoren waren dafür maßgeblich.

Erstens gelang es den Herrschenden mit der Agenda-2010-Politik – auf Kosten der Arbeiterklasse – die Wettbewerbsstellung deutlich zu verbessern (2010 stufte das Weltwirtschaftsforum Deutschland auf Platz 6 ein, knapp hinter Ländern wie der Schweiz oder Singapur). Zweitens profitierten die BRD-Unternehmen von der Exportstärke (der industrielle Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist mit etwa 25 Prozent beispielsweise doppelt so hoch wie in Frankreich und viermal so hoch wie in Spanien). Drittens waren die Kapitalisten zwischen Nord- und Bodensee die Hauptgewinner der Euro-Einführung (der Export in die Euro-Länder legte um 48 Prozent zu, die eigenen Waren verbilligten sich um zwölf Prozent, zudem wurde der weltweit größte gemeinsame Wirtschaftsraum zu einem starken Anziehungspunkt für Kapital).

„Das R-Wort ist zurück“

„Das ungute Wort tauchte in deutschen Medienberichten der vergangenen Monate etwa ähnlich häufig auf wie zu Zeiten des Abschwungs 2003“, konstatierte Jan Grossarth in der FAZ besorgt am 16. August. Das war zu erwarten. Schließlich drückte die Achternbahnfahrt an den Börsen in den letzten Wochen die Angst der Bürgerlichen davor aus, dass die explodierenden Staatsschulden die globale Ökonomie wieder in den Abschwung zu reißen drohen. Zumal sich in der Ökonomie schon deutliche Bremsspuren zeigten.

Angesichts seiner Exportabhängigkeit kann Deutschland in diesem Fall nicht ungeschoren davon kommen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Abhängigkeit von den Ausfuhren seit der Rezession 2009 noch dramatisch gestiegen ist: „2008, in dessen Herbst mit dem Fall von Lehman Brothers die Krise hochschoss, stieg der private Konsum in Deutschland um 0,7 Prozent, der Export um 2,5 Prozent. 2010, dem Jahr des neuen Wachstums auf niedrigerer Grundlage, wuchs der private Konsum um ganze 0,5 Prozent, die Exporte hingegen um 14,2 Prozent“ (isw-Wirtschaftsinfo Nr. 44 vom April 2011).

Außerdem müssen die Turbulenzen im Euro-Raum die deutsche Wirtschaft zwangsläufig erschüttern. Schon am 29. Januar tönte Kanzlerin Angela Merkel in der Süddeutschen Zeitung: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Das wiederholte sie nun mantramäßig Anfang September in der Bundestagsdebatte und brachte damit die Mehrheitsmeinung der herrschenden Klasse hier zum Ausdruck. Noch wollen sie den Euro mit Zähnen und Klauen verteidigen. Allerdings droht ihr langjähriger Vorteil seit Beginn der Euro-Krise im Frühjahr 2010 in einen Nachteil umzuschlagen: „Am Ende des Tages wird Deutschland für alle garantieren müssen, die übrig bleiben“, erklärte der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kenneth Rogoff (FAZ vom 13. September). Bereits vor der jetzt anvisierten Ausweitung des Euro-Rettungsschirms rechnete Conrad Schuhler im isw-Report Nr. 85 vor: „Weit mehr als ein Viertel des deutschen Bruttoinlandsprodukts ist mit Bürgschaften, Anleihekäufen und Bareinzahlungen direkt gebunden an das Meistern der Krise in der Euro-Zone.“

Letzte Ausfahrt Peking?

Abgesehen von Japan befinden sich derzeit primär die USA und Europa auf Talfahrt. Da gerade die deutsche Autoindustrie (weiterhin der größte industrielle Arbeitgeber der Bundesrepublik) ihre Exporte nach Asien ausbaute, wähnten sich die Auto-Vorstände bisher in Sicherheit. In der Tat konnten die deutschen PKW-Ausfuhren nach Asien seit 1990 mehr als verdreifacht werden. „Der Verkauf teurer Limousinen an die neuen Reichen in China und anderen Schwellenländern hat Audi, BMW und Daimler Milliardengewinne in die Kassen gespült. BMW heißt in China „kostbares Pferd“ (Christoph Ruhkamp in der FAZ vom 12. September).

Dadurch könnte sich der Abschwung der deutschen Wirtschaft möglicherweise etwas verzögern. Aufzuhalten wird er – wenn sich die Entwicklungen in Richtung „Double Dip“ fortsetzen – nicht sein. Schließlich setzen die deutschen Konzerne immer noch zwei Drittel aller PKW in Westeuropa sowie Nordamerika ab und ein Drittel auf asiatischen Märkten. Darüber hinaus schwächt sich die Konjunktur auch in China und anderen „Schwellenstaaten“ ab – der Kapitalzustrom (wegen dem Einbruch in Europa und den USA 2007-09) ebenso wie das chinesische Konjunkturprogramm gaben der Inflation gewaltig Nahrung, befeuerten die Spekulation (vor allem im Immobiliensektor) und förderten Überkapazitäten.

Prognosen halbiert

Auch wenn die deutsche Wirtschaft noch nicht auf Crash-Kurs ist, kann der Abschwung bald an Fahrt gewinnen. Letzte Woche sagte erst die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die größte Volks wirtschaft Europas ein Schrumpfen der Wirtschaft im vierten Quartal 2011 voraus. Dieses Woche legte nun das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) nach und bezeichnete Deutschland „am Rande einer Rezession“. Von einer Rezeession ist die Rede, wenn die Wirtschaft zwei Quartale in Folge rückläufig ist. Aufgrund des BRD-Wachstums im ersten Halbjahr erwartet das IfW für das Gesamtjahr 2011 noch ein Plus von 2,8 Prozent. Allerdings halbierten sie ihre Prognose für 2012 und gehen mit 0,8 Prozent de facto von einer Stagnation aus.

Aufgrund seiner Exportabhängigkeit sind die Schwankungen der deutschen Wirtschaft oft besonders stark. Ein erstes wichtiges Warnsignal für die deutsche Industrie war bereits der Auftragsrückgang im Juli um 2,8 Prozent.

Kurzarbeit? Entlassungen? Betriebsschließungen?

Ein Einbruch der internationalen und der deutschen Wirtschaft – kombiniert mit den drohenden Verwerfungen im Euro-Raum – wird in jedem Fall nachhaltige Auswirkungen auf das Bewusstsein von Beschäftigten und Erwerbslosen in der Bundesrepublik haben. Mehr und mehr wird sich durchsetzen, dass die Rezession 2009 kein einmaliger Ausrutscher war. Hatten viele, gerade in den Großbetrieben, das Gefühl mit Hilfe der Kurzarbeit noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, werden sich die Zweifel an der kapitalistischen Produktionsweise verstärken.

Die wichtigste Einschätzung der letzten Tage gab der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, ab. Im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ Anfang September erklärte er: „Wenn es erneut zu einem Einbruch der Wirtschaft kommt, werden einige Unternehmen nicht noch einmal eine solche Durststrecke durchstehen können.“ Dies begründete Weise mit einer geringeren Schlagkraft der Bundesagentur (BA). „In der vergangenen Krise hatte die BA eine Rücklage von 18 Milliarden Euro, die sie einsetzen konnte, zum Beispiel für Kurzarbeitergeld. Jetzt ist die Kasse leer.“