Eurovision Song Contest: „Das Lied ist eine Waffe“

Portugal tritt mit Kampflied an und scheitert im Halbfinale


 

Normalerweise sind die Beiträge auf dem Eurovision Song Contest mit Liebesschwüren und Kalenderweisheiten gefüllt. Doch was ist schon normal im Jahr 2011?

Der Songtitel „A luta é Alegria“ – Kämpfen macht Spaß – stammt von der Band „Homens da Luta“ (Menschen des Kampfes). Sie repräsentierte dieses Jahr Portugal, doch flog am 10. Mai in Düsseldorf aus dem Halbfinale.

von Anne Engelhardt

Trotzdem war es bereits ein Erfolg, dass sie ihr Lied in Deutschland präsentieren konnte. Denn die Gruppe wurde nominiert, obwohl der portugiesischen Jury eine andere Favoritin vorschwebte, die mit ihrem Liebeslied wesentlich weniger aneckte. Die AnruferInnen in Portugal waren es, die den politischen Beitrag mehrheitlich unterstützten. Unter anderem auch die UnterstützerInnen der Facebookgruppe „Geração À Rasca“ (Generation am Abgrund).

Ein Bauarbeiter, ein Soldat, eine Studentin, eine Bäuerin in typisch portugiesischer Tracht, ein Musiker und ein Mann mit Megaphon singen zusammen und demonstrieren, indem sie während ihres Auftritts Schilder hochhalten, auf denen Textzeilen ihres Liedes in unterschiedlichen Sprachen geschrieben sind.

Unfaire Regeln auf der Bühne und in der Weltwirtschaftskrise

Dass es beim Eurovision Song Contest – ehemals Grand Prix nicht sonderlich gerecht zugeht, zeigt ein Blick in das Regelwerk des Events:

Erstens: Die Acts der größten fünf Geldgeber des Events – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien – sind von vorne herein nominiert und brauchen erst gar nicht am Halbfinale teilzunehmen. Für sie geht es schnurstracks zum Finale.

Die ärmeren Länder müssen ihre Teilnahme in den zwei Vorentscheiden erst erkämpfen.

Zweitens: politische Inhalte in Liedern sind generell nicht erlaubt. So gab es im Vorfeld des Halbfinale auch Diskussionen darüber, ob Homens da Luta überhaupt am Contest teilnehmen dürfen.

Fakt ist, dass die Portugiesen ihr Lied in Deutschland, dem Profiteur der Krise anderer EU-Staaten, spielen durften. Das allein setzt schon ein Zeichen des Protests.

Denn der Eurovision Song Contest 2011 geschieht vor dem Hintergrund, dass für Portugal nach Irland der zweite sogenannte „Rettungs-“Schirm gespannt wurde und nun 78 Milliarden Euro finanzielle Mittel in das Land fließen, die nicht nur an enorme Zinsen gekoppelt sind, sondern auch an strikte „Spar-“vorgaben.

Doch sparen wird das Land nicht, sondern höchstens weiter kürzen.

Drei Kürzungspakete hatte die Minderheitsregierung unter der Partido Socialismo auf dem Rücken der portugiesischen Lohnabhängigen verabschiedet. Diese enthalten unter anderem die Anhebung der Mehrwertsteuer, so dass die Lebensmittelpreise enorm steigen, gleichzeitig wurden die Löhne im öffentlichen Dienst gesenkt, um dann sämtliche öffentliche Unternehmen von der Post, über den Flugverkehr bis zum Nahverkehr zu privatisieren.

Protest formierte sich von Seiten der Gewerkschaften und der Jugend. Am 24. November letzten Jahres legte ein Generalstreik das Land lahm.

Am 12. März 2011 spielte wieder ein Lied eine Rolle in der Organisation einer 200.000 Menschen starken Demonstration: Das Lied "Parva que Sou" (Wie dumm bin ich) von der Band Deolinde inspirierte Jugendliche eine gleichnamige Facebookgruppe zu gründen und gegen Jugendarbeitslosigkeit und unsichere bzw. schlechte Arbeitsplätze auf die Straße zu gehen.

Das vierte Kürzungsprogramm scheiterte an der Opposition der konservativen Partei PSD, die durch die massiven Proteste unter Druck geriet, sich gleichzeitig in der Wählergunst wähnte und durch die Ablehnung weiterer Kürzungen den Zusammenbruch der Regierung forcierte.

Nach dem Rücktritt des Premierministers stehen Anfang Juni Neuwahlen an.

Die Auflösung der portugiesischen Regierung wurde von den Rating Agenturen zum Anlass genommen, Portugal weiter abzustufen und es so unter den so genannten „Rettungsschirm“ von EU, europäischer Zentralbank und IWF zu zerren.

Das Rettungspaket wird weitere umfassende Angriffe auf die Errungenschaften der portugiesischen Lohnabhängigen nach sich ziehen.

Musik als Kampf- und Propagandamittel – ein lange Tradition in Portugal

Die Errungenschaften, die heute zerstört werden sollen, rühren vor allem von der Zeit der portugiesischen Revolution 1974 her. Auch in dem Jahr spielte Musik eine entscheidende Rolle.

Schon 1964, als Portugal zum ersten Mal am „Grand Prix“ teilnahm, stieg ein Demonstrant auf die Bühne im Tivoli in Kopenhagen und rief dort „Nieder mit Franco, nieder mit Salazar“ und protestierte so öffentlich gegen die Militärdiktaturen in Spanien und Portugal.

Auch wenn Portugal beim Grand Prix nie auf den vordersten Plätzen landete, so hatten die portugiesischen Beiträge vor der Revolution häufig politische Doppeldeutungen. Der Grand Prix wurde zunehmend als Plattform für den Protest gegen die Diktatur genutzt. 1972 wurde das Lied „A festa da vida“ nominiert (Feier des Lebens), was indirekt den Wunsch nach einem schöneren und freierem Leben ausdrückt. Ein Jahr später wurde der Beitrag „Tourada“ gespielt, eine Anlehnung an die Auseinandersetzungen der portugiesischen Bevölkerung mit der Diktatur, die mit einem Stierkampf verglichen wurden.

1974 schrieb der Beitrag von Paulo de Carvalho „ E depois do adeus“ (Und nach dem Abschied) eindeutig Geschichte.

Zwar erreichte er bei dem Grand Prix nur drei Punkte, doch am 24. April 1974 vor 37 Jahren wurde dieses Lied um 22.46 Uhr im Radio gespielt und war mit „Grândola, Vila Morena“ von Jose Afonso

das erste von zwei Signalen für die Armee und die Bevölkerung gemeinsam gegen das Militärregime auf die Straße zu gehen. So begann die Nelkenrevolution, die letzte Revolution in Westeuropa, die derart weitgehend den Kapitalismus angriff. Mit dem Sturz der Militärdiktatur wurden auch weitgehende Verstaatlichungen und Landreformen durchgeführt.

Auch die GrandPrix Beitrage der Portugiesen nach 1974 setzten sich mit der Revolution und der Zeit danach auseinander.

„Der Kampf geht weiter“

Die Band Homens da Luta, die von den beiden Brüdern Vasco und Nuno Duarte als Comedyband gegründet wurde, bezieht sich explizit auf die Zeit der Nelkenrevolution.

Sie nutzte auch in der letzten Woche jede Gelegenheit, um bei Pressekonferenzen oder Interviews auf die Probleme und die Wut in Portugal aufmerksam zu machen.

Auch der Songtext spricht eine eindeutige Sprache:

Por vezes dás contigo desanimado

Por vezes dás contigo a desconfiar

Por vezes dás contigo sobressaltado

Por vezes dás contigo a desesperar

(Manchmal fühlst du dich ohne Mut

Manchmal fühlst du dich misstrauisch

Manchmal fühlst du dich aufgeregt

Manchmal fühlst du dich verzweifelt)

De noite ou de dia, a luta é alegria

E o povo avança é na rua a gritar

(Ob Tag oder Nacht, der Kampf macht Spaß

Das Volk kommt voran, ist auf der Straße und ruft)

De pouco vale o cinto sempre apertado

De pouco vale andar a lamuriar

De pouco vale um ar sempre carregado

De pouco vale a raiva para te ajudar

(Es bringt wenig, den Gürtel enger zu schnallen

Es bringt wenig zu Jammern

Ein besorgter Blick bringt wenig

Die Wut wird dir nicht helfen)

E traz o pão

e traz o queijo

e traz o vinho

E vem o velho e vem o novo e o menino

(Und bring Brot,

und bring Käse

und bring Wein

Und Alt, Jung und Kind sollen kommen)

Vem celebrar esta situação e vamos cantar contra a reacção

(Lasst uns in dieser Situation feiern und gegen die Reaktion singen)

Não falta quem te avise «toma cuidado»

Não falta quem te queira mandar calar

Não falta quem te deixe ressabiado

Não falta quem te venda o próprio ar

Es wird nicht an solchen fehlen, die dich warnen

Es wird nicht an solchen fehlen, die wollen, dass Du den Mund hältst

Es wird nicht an solchen fehlen, die Dich ärgern

Es wird nicht an solchen fehlen, die dir sogar die Luft verkaufen wollen)

A luta continua

(Der Kampf geht weiter)

Nun ist der portugiesische Beitrag raus und der Eurovision Song Contest wird wohl so wie jedes Jahr. Wir können uns also überlegen, die Sonne zu genießen, an einer Demonstration teilzunehmen (sollte denn eine stattfinden) oder das Event trotzdem anzuschauen. In jedem Fall sollten wir die Kämpfe der protugiesischen, griechischen, irischen Bevölkerungen unterstützen und für unsere Rechte und gegen weitere Angriffe auf die Straße gehen.

Gemeinsam können wir eine andere Welt erkämpfen, in der Musik mehr zählt, als der Profit, der heute damit gemacht wird.