Generalstreik auf Nordzypern

Am heutigen Mittwoch, den 2. März findet viereinhalb Wochen nach dem Generalstreik vom 28. Januar bereits der zweite Generalstreik auf Nordzypern statt.


 

Der Protest richtet sich gegen riesiges Kürzungspaket der Regierung von Nordzypern unter der UBP (Nationale Einheitspartei, eine rechten nationalistischen Partei). Auch im Oktober und November 2009 kam es auf Nordzypern bereits zu zwei Generalstreiks.

Die im östlichen Mittelmeer gelegene Insel Zypern ist seit 1974 geteilt – in einen türkischsprachigen Norden und einen griechischsprachigen Süden. Im Norden stehen türkische Truppen. Bis dahin waren von den auf Zypern lebenden Menschen 80 Prozent Griechen und 20 Prozent Türken. Als 1974 rechtsradikale zypriotische Griechen putschten und daraufhin die türkische Armee in den Norden der Insel einmarschierte, lebten die beiden Nationalitäten gemischt und auf die gesamte Insel verteilt. 1974 vertrieb die türkische Armee alle Griechen aus dem von ihr besetzten Nordteil und die Türken verließen Südzypern und sammelten sich im türkischen Nordteil. Danach kamen noch Siedler aus der Türkei in den Norden. Verhandlungen zwischen beiden Teilen über eine mögliche Wiedervereinigung sind bisher erfolglos geblieben.

Mitglieder des CWI (Committee for a Workers" International – Komitee für eine Arbeiterinternationale), die auf Zypern, in Griechenland und Deutschland aktiv sind, haben anlässlich des neuen Generalstreiks eine gemeinsame Erklärung verfasst, die wir hier in voller Länge dokumentieren.

Solidarität mit dem Kampf der türkisch-zypriotischen Arbeiterklasse!

Für einen gemeinsamen Kampf mit griechisch-zypriotischen, türkischen und griechischen ArbeiterInnen!

Für ein gemeinsames Mutterland und eine sozialistische Zukunft!

Am Mittwoch, den 2. März treten die türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen auf Nordzypern in einen eintägigen Generalstreik. Dies ist der zweite 24-stündige Generalstreik in diesem Jahr und es wird erwartet, dass er noch erfolgreicher wird als der letzte. Am 28. Januar gingen 40.000 ArbeiterInnen gegen die Angriffe auf ihren Lebensstandard und ihre Rechte auf die Straße.

Die türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen streiken gegen die Regierung der UBP (Nationale Einheitspartei, eine rechte nationalistische Partei), die das schlimmste Kürzungspaket umsetzt, das die Arbeiterklasse in Nordzypern jemals erlebt hat. Es beinhaltet unter anderem die Senkung der Gehälter im Öffentlichen Dienst um 40 Prozent, die Kürzung des Einstiegsgehalts im Öffentlichen Dienst um 1.000 Liras (500 Euro), große Steuererhöhungen, Angriffe auf RentnerInnen, die (bereits durchgeführte) Privatisierung der Fluggesellschaft, die Privatisierung der halbstaatlichen Universität EMU, der Energieversorgung und des Telekommunikationssektors. Außerdem wird damit das Recht der Gewerkschaften abgeschafft, Tarifverträge auszuhandeln!

Dieses Sparpaket wurde ursprünglich von der vorherigen Regierung der CTP (Republikanische Türkische Partei, eine sozialdemokratische Partei) vorgeschlagen. Sie war aber wegen des sofortigen Widerstands der Arbeiterklasse nie in der Lage, es umzusetzen. Wegen ihrer neoliberalen Agenda verloren sie die Wahlen, und die neue UBP-Regierung fing – sobald sie 2009 gewählt worden war – an, das selbe Programm umzusetzen.

Angriff Erdoğans

Während des Streiks am 28. Januar wurde auf einigen Transparenten die türkische AKP-Regierung in Ankara aufgefordert, ihr Kürzungspaket zurückzunehmen. Eines davon, mit der Aufschrift „Ankara: Hände weg von Zypern“, wurde von Erdoğan bemerkt. Seine Reaktion zeigte das wahre Gesicht der türkischen herrschenden Klasse und ihre Ziele auf Zypern. Mit Worten wie „wer sind sie, dass sie die Türkei auffordern, Zypern zu verlassen?“ und Beleidigungen wie „Arbeiter in Zypern bekommen mindestens 10.000 Liras [5.000 Euro – komplett gelogen], aber in der Türkei verdient mein Berater nur 5.000 Liras“ griff er die Streikenden an. Er machte Eroğlu (Präsident der UBP-Regierung) den „Vorschlag“, die Menschen, die mit dem Transparent die Türkei kritisiert hatten, vor Gericht zu bringen! Erdoğan sagte weiter: „Wir bezahlen sie, und sie müssen sich entsprechend verhalten.“ Und er fügte hinzu: „Die Türkei ist aus den selben Gründen wie Griechenland auf Zypern, weil sie strategische Interessen hat und sich nicht zurückziehen wird.“

So hat er tatsächlich zugegeben, dass die türkische Invasion auf Zypern nie dazu diente, die türkischen Zyprioten zu „befreien“, wie es bis heute alle türkischen Regierungen behaupten, sondern den Zielen der türkischen herrschenden Klasse diente. Die AKP-Regierung setzte ihre Angriffe fort, indem sie die UBP-Regierung aufforderte, den Streik der LehrerInnen für illegal zu erklären.

Neue Situation

Erdoğans Stellungnahme hat für den Kampf der türkischen Zyprioten eine neue Situation geschaffen.

Erstens hat es zu einer neuen Welle des Widerstands geführt. Delegierte von zehn Gewerkschaften protestierten vor der türkischen Botschaft auf Nordzypern und erklärten:

„Wir akzeptieren deine Beleidigungen nicht – der Mindestlohn auf Nordzypern beträgt 1.500 Liras [750 Euro]. (…) Du forderst von Mubarak, auf das Volk zu hören, aber machst es selbst nicht. (…)

Wir betrachten mit Abscheu die neoliberale islamische Politik der AKP gegenüber der türkischen Arbeiterklasse und als Gemeinschaft, die in einem anderen Land lebt, erklären wir im Namen unseres patriotischen arbeitenden Volkes, dass wir diese Politik nicht erlauben und uns nicht zurückziehen werden. Dieses Land gehört uns, wir werden es regieren.“

Zweitens hat es viel Unterstützung von ArbeiterInnen in der Türkei gebracht. Viele Gewerkschaften und linke Parteien in der Türkei haben sich solidarisiert.

ArbeiterInnen sind entschlossen, den Kampf fortzusetzen

Die Wut der türkischen Zyprioten auf die türkische Regierung wächst. Sogar Teile der herrschenden Klasse und der rechten Parteien haben nach Erdoğans Rede erklärt, dass die AKP-Regierung nicht behaupten solle, dass sie den türkischen Zyprioten Geld gebe und sie ernähre und dass diese ihr daher zu Gehorsam verpflichtet seien, sondern dass sie den türkischen Zyprioten gegenüber verpflichtet sei, weil die Türkei das Mutterland sei und daher die türkischen Zyprioten ebenso unterstützen müsse wie alle anderen Teile des Landes.

Die Gewerkschaften geben der AKP-Regierung der Türkei die Verantwortung für die Idee des Sparpakets und der UBP-Regierung die Schuld für seine Umsetzung. Ein bedeutender Teil der Gewerkschaftsbewegung fordert, dass die türkische Regierung Nordzypern und die türkisch-zypriotische Gemeinschaft in Ruhe lassen soll; und kämpft gegen die Kürzungen und Privatisierungen.

Dieser Angriff ist nicht nur „türkisch“ – er ist international

Die türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen sind entschlossen, den Widerstand fortzusetzen. Viele türkisch-zypriotische ArbeiterInnen haben den Eindruck, dass dieser Angriff nur stattfindet, weil die Politik der AKP auf Nordzypern durchgesetzt wird, aber das stimmt nur teilweise. Die Wahrheit ist, dass die Arbeiterklasse, die Jugendlichen und die Armen in einem Land nach dem anderen mit wütenden Angriffen der herrschenden Klasse und ihrer Regierungen konfrontiert werden. Auf Zypern, in Griechenland und in der Türkei, in allen europäischen Ländern, auf allen Kontinenten wird das schlimmste neoliberale Gemetzel gegen die arbeitende Bevölkerung veranstaltet.

Das ist die Folge der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den Dreißigern, die den ganzen Planeten erschüttert. Diese Krise wurde von der unstillbaren Profitgier der Kapitalisten und der neoliberalen Politik, die sie zu ihrer Befriedigung einführten, verursacht. Jetzt zielt ihre neue neoliberale Attacke seit dem letzten Jahr darauf ab, für die Krise, die sie selbst verursacht haben, die Arbeiterklasse zahlen zu lassen.

Keine Illusionen in CTP und DP

Es sollte keine Illusionen in die CTP (Republikanische Türkische Partei, sozialdemokratische Oppositionspartei) und die DP (Demokratische Partei, rechte bürgerliche Partei) geben.

CTP und DP waren nach Erdoğans Rede bereit, den Rückzug anzutreten. Sie waren auch an früheren Regierungen beteiligt, die neoliberale Politik betrieben haben.

Diese Parteien bieten der Arbeiterklasse keine Lösung. ArbeiterInnen in Nordzypern müssen ihre eigenen Parteien aufbauen, die den Interessen der Arbeiterklasse dienen und bereit sein werden, entschlossen gegen die Politik des Kapitals und auch seine Macht zu kämpfen; für eine Gesellschaft, die der Arbeiterklasse, den Jugendlichen und den Armen dient, eine Gesellschaft, die von den arbeitenden Massen demokratisch verwaltet wird.

Erdoğan beschuldigte türkisch-zypriotische ArbeiterInnen als Agenten griechisch-zypriotischer Nationalisten

Erdoğan griff zu allen möglichen Mitteln, um die Mobilisierung der türkischen Zyprioten zu stoppen. Seine Drohungen und Erpressungen haben jedoch nicht funktioniert, in Wirklichkeit haben sie noch größere Teile der türkisch-zypriotischen Gesellschaft gegen die herrschende Klasse in Ankara eingenommen.

Dann versuchte er, die türkischen ZypriotInnen mit Anspielungen auf die nationale Frage auf Zypern zu verängstigen, indem er sagte, dass die Bewegung der türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen letztlich den Interessen der griechischen Zyprioten diene, die wollten, dass die Türkei die Insel verlasse, damit sie sie selbst übernehmen könnten.

Unsere Antwort auf die nationale Spaltung

Wir müssen auf Erdoğans Geständnis antworten, dass die Türkei auf Zypern ist, weil sie dort strategische Interessen hat, und nicht weil sie sich für die Masse der türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen und der Bevölkerung interessiert.

Unsere Antwort ist, dass hinter dem Krieg und der Teilung Zyperns tatsächlich die einander widersprechenden Interessen der türkischen und griechischen herrschenden Klasse stehen, außerdem die Interessen der türkisch-zypriotischen und griechisch-zypriotischen herrschenden Klasse und der Nationalisten.

Aber die griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen, genau so wie die Beschäftigten auf dem türkischen und griechischen Festland, haben nichts, was sie voneinander trennt, sie haben keine sich widersprechenden strategischen oder ökonomischen Interessen. Im Gegenteil haben sie das gemeinsame Interesse, sich gegen die neoliberalen Angriffe zu wehren, das Interesse an einem besseren Leben für alle, an einem Ende der militärischen Konfrontationen, an Frieden auf der Insel Zypern und zwischen Griechenland und der Türkei. Nur durch den gemeinsamen und koordinierten Kampf können wir all das erreichen.

Unser Kampf

Auf der Basis des oben beschriebenen erklären wir:

– Wir werden nicht für die Krise der Kapitalisten zahlen. Solidarität mit dem Kampf der türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen. Nein zu Kürzungsmaßnahmen. Nein zu Privatisierungen. Unser Recht, unsere Meinung zu äußern, zu demonstrieren und zu streiken, ist nicht verhandelbar.

– Wir müssen den Kampf vorantreiben für die Verstaatlichung des Bankensystems und aller großen Industrien unter Kontrolle und Verwaltung der ArbeiterInnen und für ein massives Investitionsprogramm in die Infrastruktur, Wohnungen und so weiter, um die Wirtschaft auf den Wachstumspfad zu bringen und Jobs zu schaffen.

– Nein zur Einmischung der türkischen Regierung in Ankara, oder der griechischen Regierung in Athen, oder irgendeiner imperialistischen Macht in die Angelegenheiten von Nord- und Südzypern. Die griechischen und türkischen Zyprioten sollen selbst entscheiden.

– Griechisch- und türkisch-zypriotische ArbeiterInnen haben gemeinsame Interessen an wirtschaftlicher Entwicklung und Frieden auf der Insel und müssen zusammen mit Hilfe gemeinsamer Organisationen der Arbeiterklasse, der Jugendlichen und der Armen dafür kämpfen.

– Die herrschenden Klassen der türkischen und griechischen Zyprioten haben einander widersprechende ökonomische und strategische Interessen und wollen die Insel dominieren. Um das zu erreichen, benutzen sie die herrschenden Klassen der jeweiligen „Mutterländer“. Der Kampf der griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen ArbeiterInnen muss sich zwangsläufig gegen ihre jeweiligen herrschenden Klassen richten.

– Wir müssen uns gegen jeden kommenden Angriff wehren und gleichzeitig unsere Gegenoffensive vorbereiten: für den Sturz des Kapitals und der imperialistischen Kräfte, und für eine sozialistische Föderation von Nord- und Südzypern. Unser Kampf verbindet sich zwangsläufig mit dem Kampf unserer Brüder und Schwestern auf dem griechischen und türkischen Festland und auch mit dem Rest der Arbeiterklasse in Europa, in Deutschland, Großbritannien und anderswo, für eine sozialistische Föderation von Europa auf freiwilliger Basis.

UnterzeichnerInnen:

Jugend gegen Nationalismus auf Zypern – Jugendsektion des CWI (Committee for a Workers" International – Komitee für eine Arbeiterinternationale) auf Zypern

Xekinima – Sektion des CWI in Griechenland

SAV (Sozialistische Alternative) – Sektion des CWI in Deutschland