Eine Blutspur von Astana bis Berlin

Gewalt und Folter in kasachischen Gefängnissen


 

Im Sommer dieses Jahres ging ein Aufschrei durch verschiedene Gefängniskolonien Kasachstans. Aus Protest gegen die unsäglichen Zustände schnitten sich Häftlinge Bäuche und Pulsadern auf – ein verzweifelter Hilfeschrei.

von Tanja Niemeier, Brüssel

"Von Tag eins meiner Einlieferung an wurde ich erniedrigt, geschlagen und gefoltert", erzählte mir der 23-jährige Azamat, der zu Beginn dieses Jahres aus dem Granitni-Gefängnis entlassen wurde. Azamat hatte ein Handy geklaut und wurde dafür zu drei Jahren Haft verurteilt. Azamat wollte seine Würde bewahren und das grausame Spiel der Gefängnisautoritäten nicht mitspielen. Er wollte keine anderen Mitgefangenen denunzieren, weil sie sich nicht gut rasiert hatten oder keine sauberen Fingernägel besaßen. Das hatte seinen Preis. Bereits am ersten Tag wurde Azamat als "Wischmopp" benutzt, um Urin und andere Ausscheidungen aufzuwischen. Als man androhte, ihn zu vergewaltigen und bereits seine Hose heruntergezogen hatte, war er bereit, alles zu unterschreiben. Als er sich dann aber weiterhin weigerte, andere Mitgefangene zu bespitzeln, wurde ihm das Leben zur Hölle gemacht.

Kritik kann lebensgefährlich sein

Nach seiner Entlassung machte Azamat andere Leidensgenossen ausfindig. Zusammen mit Alexander beschloss er, nicht mehr länger zu schweigen, und berichtete auf einer Konferenz der Oppositionsbewegung "Kasachstan 2012" – an der auch Joe Higgins, CWI-Mitglied und Abgeordneter des Europäischen Parlamentes und ich selbst teilnehmen durften – zum ersten Mal von seinen Erlebnissen. Azamat will Gerechtigkeit, auch für diejenigen, die heute noch im Gefängnis sitzen und für deren Angehörige. Azamat und Alexander riskieren ihre Sicherheit. Ein Gefängnisinsasse, der ein heimlich auf Handy aufgezeichnetes Video aus dem Knast geschmuggelt hatte und auf dem zu sehen ist, wie ein Wärter einen anderen Insassen brutal verprügelt, wurde später tot in seiner Zelle aufgefunden.

Eine Hand wäscht die andere

Kasachstan hat derzeit den Vorsitz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) inne. Ein Auftrag der OSZE ist es, die Einhaltung der Menschenrechte zu beobachten. Die OSZE zählt 56 Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland. Die Bundesregierung hat sich mit dafür stark gemacht, dass Kasachstan den Vorsitz bekommt.

Kasachstan hat große Öl- und Gasreserven und ist ein wichtiger Handelspartner für die EU. Die EU und Deutschland wollen ihre Abhängigkeit vom russischen Gas vermindern und auch neue Transportwege für Rohstoffe erschließen. Außerdem ist Kasachstan ein strategisch wichtiges Land, um Nachschub und Versorgung der Besatzungstruppen in Afghanistan zu organisieren. Da kann man schon mal großzügig über die eine oder andere Menschenrechtsverletzung hinwegsehen… Am 26. Oktober war Nursultan Nasarbajew zu Gast in Brüssel und wurde in Ehren vom Präsidenten der Europäischen Kommission, des Parlamentes und des Rates empfangen.

Solidarität ist gefragt

LSP, die belgische Schwesterorganisation der SAV, organisierte eine Protestaktion vor der Europäischen Kommission. Wir fordern die Absage des OSZE-Sondergipfels in Astana, die Schließung der Gefängniskolonien von Granitni, Dolinka und anderen, eine internationale, unabhängige Untersuchungskommission, die die Zustände in den Haftanstalten unter die Lupe nimmt, vollständige Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf politische Betätigung und den Aufbau unabhängiger Gewerkschaften.

Tanja Niemeier vom CWI Belgien, Mitglied der Besuchsdelegation von Joe Higgins in Kasachstan, ist in Brüssel Mitarbeiterin der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europaparlament