Tatort Casting-Show

Wie Träume zerplatzen und mit Demütigungen Profit gemacht wird


 

Am 20. August startete das neue Castingformat „X Factor“. Zehntausende hoffen darauf, wie Mark Medlock den amerikanischen Traum vom Arbeitslosen zum Superstar verwirklichen zu können.

von Jenni Wörl, Aachen

Einzelne wie Justin Timberlake, Kelly Clarkson oder Leona Lewis haben den internationalen Durchbruch geschafft, aber die meisten sind schon nach einer Hitsingle wieder passé.

Das Geheimnis des Erfolges?

Im August ging auch die 9. Staffel von „Popstars“ auf Sendung. Die Sendung erhält nach zehn Jahren immer noch relativ hohe Einschaltquoten (zuletzt über zwei Millionen ZuschauerInnen), „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) kommt sogar auf etwa 6,5 Millionen.

Bei DSDS erzielen die Castings oft höhere Einschaltquoten als die Motto-Shows. Weil es Genugtuung bereitet, sich über andere lustig zu machen – zum Beispiel weil sie nicht gut singen können oder nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen? Weil man damit ausgleicht, wie man selbst in Schule oder Betrieb buckeln muss? Casting-Shows reproduzieren kapitalistische Spaltungsmechnismen ganz nach dem Motto „Teile und herrsche“.

Andererseits bieten diese Sendungen eine Möglichkeit, sich aus der Realität in eine hoffnungsvollere Welt zu flüchten. Alles scheint möglich. Im Spiel der Emotionen kann man mitfiebern, mithoffen, mitträumen. Aber der Alltag sieht oft anders aus: kein Job oder keine gut bezahlte Arbeit, kein alternatives Fernsehprogramm und kein Geld für alternative Freizeitgestaltung.

Gewinne, Gewinne, Gewinne

Das Ziel der Produktionsfirmen ist ja auch nicht, qualitätsvolle Unterhaltung zu liefern oder begabte KünstlerInnen zu fördern. Es geht darum, schnellen Gewinn zu machen. Individualität und Vielfältigkeit bleiben auf der Strecke. Im Allgemeinen herrschen in der Musik-industrie schon harte Bedingungen für KünstlerInnen. So fand zum Beispiel am 26. Februar 2002 ein Benefiz-Konzert von Sheryl Crow, Billy Joel und anderen zur Finanzierung langwieriger Rechtsstreitigkeiten mit der Musikindustrie statt.

Die Knebelverträge der gängigen Casting-Formate setzen dem aber noch die Krone auf. KünstlerInnen müssen sich relativ lang (häufig für fünf Jahre oder länger) mit einer bestimmten Anzahl von einzusingenden Alben an eine bestimmte Plattenfirma binden. Damit verkaufen die KünstlerInnen zum Beispiel auch die Rechte an selbstgeschriebenen Songs, die in der genannten Zeit entstehen. Im Gegenzug ist die Plattenfirma aber häufig nicht verpflichtet, die genannte Anzahl von Alben mit den KünstlerInnen auch zu produzieren. Die Hälfte der Siegerbands bei „Popstars“ veröffentlichten nicht mehr als zwei Alben, bevor sie sich auflösten. Die Anteile der KünstlerInnen an Plattenverkäufen oder Gagen sind relativ gering. Die KünstlerInnen von Nu Pagadi („Popstars“-Gewinner 2004) blieben beispielsweise von den Albumverkäufen nach Abzug der Produktionskosten nur sieben bis neun Prozent. Reich werden also andere.

Jeder ist ein Star

Wahrscheinlich jeder Mensch hat künstlerisches Talent. In einer Gesellschaft, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse entscheidend sind, würde jedem Zugang zu Musik ermöglicht. Es würde nicht vom Geldbeutel abhängen, ob man sich Musik anhören oder selbst Musik machen kann. Instrumente und Proberäume ständen kostenlos zur Verfügung. Eine deutliche Arbeitszeitverkürzung würde dazu führen, dass jeder auch die Zeit hätte, sich seinen künstlerischen Interessen zu widmen. Wer das möchte, könnte auch Vollzeit als Künstler tätig sein. In einer sozialistischen Gesellschaft würde man sich an Vielfältigkeit erfreuen und es hätte niemand einen Nutzen davon, wenn jede Musik wie die andere klingt.