Kommunen vor dem Ruin

Einstellung von Zinszahlung oder Tilgung als Strategie gegen die Krise der öffentlichen Haushalte?


 

Die Krise der öffentlichen Haushalte, vor allem der kommunalen, erreicht einen neuen Höhepunkt. Dass vor allem die Banken von der Ebbe in den öffentlichen Kassen profitieren, ist nicht neu. Allein die Stadt Köln bezahlt schon lange jährlich zwischen 110 und 150 Millionen Euro Zinsen, ohne jede Tilgung, bei einem Gesamthaushalt von 3,1 Milliarden. Durch die zahlreichen „Bankenrettungspakete“ ist diese Entwicklung allerdings verstärkt worden. Die Kommunen müssen sich bei den selben Banken immer mehr verschulden, die mit dem Geld aus dem Bundeshaushalt vor dem Zusammenbruch gerettet wurden, das den notleidenden Städten vorenthalten wurde.

In den nächsten Jahren werden die etablierten Parteien ein wahres Massaker an sozialen und kulturellen Diensten in den Kommunen anrichten. In Nordrhein-Westfalen werden aktuell Tausende Arbeitsplätze in den Städten vernichtet, Azubis nicht übernommen, soziale Dienste zerschlagen.

Pro: Claus Ludwig, Sozialistischer Stadtrat, DIE LINKE Köln, und Mitglied im SAV-Bundesvorstand

Besser bei den Banken kassieren als bei den Armen

DIE LINKE muss Antworten geben auf die kommunale Krise. „Sozialer kürzen“, wie es die Partei in Berlin für sich beansprucht, ist keine Option. Die Kürzungen in Berlin sind genauso asozial – oder schlimmer – wie im Rest der Republik.

Die Erhöhung der Gewerbesteuer ist zwar eine richtige Forderung, aber selbst eine kräftige Erhöhung wird in vielen Orten nicht ausreichen. Die Forderung an Bund und Länder, die Kommunen besser auszustatten, bleibt zentral. Aber sie wird schon seit Jahren ignoriert.

Viele Städte stehen aktuell vor der Frage, ob sie die Krisenlasten mit voller Wucht auf die Armen abwälzen oder ob sie sich dem verweigern. Mit der Streichung von Schulden oder einem Stopp der Zinszahlungen könnten soziale Dienstleistungen gerettet werden.

Das würde natürlich zu einer wütenden Reaktion des Kapitals führen. Die Banken würden drohen, keine weiteren Kredite bereit zu stellen, um die Kommune in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben. Aber wie in jeder politischen Auseinandersetzung geht es am Ende um das Kräfteverhältnis und den Kampf um die Köpfe. Eine Initiative unter dem Motto „Besser bei den Banken kassieren als bei den Armen“ würde die Kommunen in die Offensive bringen.

Wenn zum Beispiel die Stadt Köln beschließen würde, auf den bisher geplanten sozialen und kulturellen Kahlschlag zu verzichten und stattdessen in die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Verbesserung der städtischen Dienstleistungen zu investieren und dafür den Abfluss von Geldern an die Banken zu stoppen, würde das zu großer Zustimmung der Bevölkerung in Köln und darüber hinaus führen. Viele haben gesehen, dass die Verluste der Kreditinstitute verstaatlicht wurden, während die Gewinne weiterhin auf private Konten flossen. Die Wut auf die Banken ist groß.

Die Stadt könnte offenlegen, welche Banken Zinsen kassieren, obwohl sie mit staatlichen Geldern gestützt wurden. Wenn eine Stadt, die endlich Schluss macht mit dem Kahlschlag und die Reichen belastet, von den Banken bestraft würde, wäre für jeden deutlich, wo die Verantwortlichen für die Sozialkürzungen sitzen und wo das Geld geholt werden kann. Wenn die Bevölkerung mobilisiert würde, kämen die Banken unter Druck, konkrete Zugeständnisse würden erkämpft.

In dieser Auseinandersetzung hätte eine Kommune einige Trümpfe: Öffentliche Institute wie Sparkassen könnten politisch verpflichtet werden, die Versorgung mit Krediten sicherzustellen. Der Kampf könnte über eine Stadt ausgedehnt werden, da in anderen Städten die gleichen Probleme existieren.

Begleitet von einer öffentlichen Aufklärungskampagne über die Ursachen der Finanzkrise und die Mechanismen der Umverteilung und der Umsetzung von positiven sozialen Maßnahmen würde der Angriff von Kommunen auf die Banken-Profite eine große Wucht entfalten.

Banken könnten gezwungen werden, auf Teile ihrer Forderungen zu verzichten oder Kredite zu verbilligen. Wie groß die Zugeständnisse sein werden, hängt von den konkreten Kräfteverhältnissen ab. Ohne Zweifel würden aber Erfolge erzielt werden.

Nebenbei würde bewiesen, dass es sich lohnt zu kämpfen und dass sogenannte „Sachzwänge“ nicht vom Himmel gefallen, sondern von Menschen gemacht, politisch gewollt sind und überwunden werden können. Die Forderung der LINKEN, den Bankensektor zu verstaatlichen und unter öffentliche, demokratische Kontrolle zu stellen, würde so konkretisiert.

DIE LINKE kann dies heute in den Kommunen im Westen nicht umsetzen, dafür ist sie noch zu klein (im Osten würde es hingegen vielerorts anders aussehen). Aber mitten in der schweren Krise der Kommunen geht es heute darum, eine konsequente Programmatik gegen sämtliche Kürzungen zu entwickeln und die Idee eines Kampfes um die Umverteilung, der in den Kommunen beginnen kann, zu konkretisieren und zu popularisieren. Wenn DIE LINKE dies aufgreifen würde, könnten wir den politischen Druck auf die Mehrheit in den Stadträten verstärken und deren Untätigkeit vor der Bevölkerung offenlegen.

Der DGB Köln hat in seiner Stellungnahme zum Haushalt der Stadt wahrlich kein radikales Programm vorgelegt, redet von „Sparen – aber mit Augenmaß“ und bietet so keine Hilfe für den Aufbau von Widerstand gegen das Kürzungsprogramm. Aber selbst in diesem Programm findet sich der Vorschlag: „Damit die Kommunen wieder handlungsfähig werden, müssen sie als erstes – zumindest für eine befristete Zeit – von den drückenden Schulden und daraus resultierenden Zinslasten befreit werden.“ Allerdings wird niemand die Kommunen davon befreien, wenn sie sich nicht selbst befreien.

Contra: Jan Restat, Sprecher für Haushalt und Finanzen im Bremer Landesvorstand der LINKEN

Kommunales Zinsmoratorium? Starkes Symbol, aber keine echte Option

Die finanzielle Lage vieler Kommunen ist katastrophal. Einige Städte sehen sich gezwungen, selbst grundlegendste sozialstaatliche Errungenschaften wie Büchereien, Schwimmbäder oder Unterstützung des öffentlichen Nahverkehrs massiv zu reduzieren. Die zentrale Ursache für den Geldmangel der öffentlichen Hand sind die Steuersenkungen aller Bundesregierungen seit 2001, die für Unternehmen und Reiche sehr ergiebig sind, aber die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand austrocknen. Gleichzeitig steigen im Zuge der sich seit Jahrzehnten verschlimmernden Massenarbeitslosigkeit die Sozialausgaben, also die „Reparaturkosten“ des kapitalistischen Wirtschaftssystems, unaufhaltsam an. Durch dieses zunehmende Missverhältnis ist die Verschuldung vieler Städte und Gemeinden in den letzten Jahren massiv gewachsen. Allein das Aufbringen der Zinsen wird für mehr und mehr kommunale Haushalte ein kritischer Ausgabe-Posten. Im Land Bremen als trauriger Rekordhalter der Verschuldung zweier Kommunen liegen die Zinsausgaben höher als sämtliche Ausgaben für Bildung!

Prinzipiell gibt es drei Handlungsoptionen, mit der unerträglich werdenden Verschuldung der öffentlichen Hand umzugehen:

* ein massiver Abbau der Ausgaben – mit der Folge eines neoliberalen Minimalstaats, in dem man sich Bildung, Kultur, Sicherheit und Altersversorgung kaufen kann – oder Pech gehabt hat

* eine massive Steigerung der Einnahmen bei Reichen und Superreichen – Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Millionärsabgabe, Finanztransaktionssteuern und so weiter.

* Ein Zinsmoratorium, verbunden mit Verhandlungen mit den Gläubigern über eine Reduktion der Schuldenlast. (Oder eine „Währungsreform“, das würde auf das Gleiche raus laufen).

Wäre es jetzt, in der aktuellen kritischen Gemengelage, eine gute Idee, wenn Kommunen in finanzieller Notlage ein Zinsmoratorium ausrufen würden? Das kommt darauf an, ob es sich um ein politisches Signal oder einen ernsthaft durchgeführ-ten, verzweifelten Versuch zur Rettung der kommunalen Handlungsfähigkeit handelt.

Zurzeit sind die Vertreter der Kommunen (Deutscher Städtetag) in brettharten Verhandlungen mit dem Bund über eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes an den wachsenden sozialen Ausgaben, die die Kommunen leisten müssen.

Gleichzeitig sind viele überschuldete Kommunen (wie die 19 Städte des NRW-Aktionsbündnisses „Raus aus den Schulden“) in Verhandlungen mit ihren Landesregierungen, um Umschuldungsmaßnahmen und zusätzliche Mittel loszueisen. Als Druckmittel auf Bund und Länder könnte die Androhung eines Zinsmoratoriums möglicherweise Wunder wirken. Abgesehen vom politischen Signal beinhaltet ein Zinsmoratorium nämlich die Gefahr auch für Bund und Länder, dass die Zinsen steigen würden – weil die öffentliche Hand aus dem „AAA“-Status als absolut verlässlicher Schuldner herausfallen könnte. Das könnte die Lösungsorientierung von Bund und Ländern durchaus beflügeln…

Andererseits hätte die tatsächliche Einstellung von Zinszahlungen komplizierte rechtliche Folgen, deren Wirkungen genau kalkuliert werden müssten. Wahrscheinlich könnten sich die Gläubiger erfolgreich an das Land wenden. Dieses wiederum würde in den säumigen Kommunen einen „Staatskommissar“ einsetzen, welcher im Stadthaushalt die Mittel zur Zinszahlung zusammenkratzen würde – auf Kosten von Ausgaben in der sozialen Infrastruktur. Gleichzeitig wäre zu befürchten, dass die säumige Kommune in Zukunft kein Geld mehr geliehen bekäme – oder nur zu exorbitant gestiegenen Wu-cherzinsen. Man muss es klar sagen: Solange eine Kommune darauf angewiesen ist, zur Deckung des nächsten Haushalts neue Kredite aufzunehmen, ist ein Zinsmoratorium keine realistische Handlungs-option.

Deswegen müssen unsere Anstrengungen darauf ausgerichtet sein, eine massive Steigerung der Einnahmen zu bewirken – durch gezieltes Abschöpfen der frei flottierenden Finanzmittel unserer Superreichen. Wie viel Vermögen dort angehäuft ist, mag die folgende Zahl verdeutlichen: Die Gesamtsumme der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen (1,7 Billionen Euro) entspricht dem Vermögen, welches in den nächsten sechs Jahren vererbt wird. Anders gesagt: Würde man für die nächsten sechs Jahre eine 100-prozentige Erbschaftssteuer einführen, wäre Deutschland hinterher komplett schuldenfrei. Dies zeigt, dass eine von der LINKEN und Gewerkschaften geforderte massive Einnahmeerhöhung der staatlichen Finanzen durchaus die notwendigen Mittel für eine auskömmliche Finanzierung aller Aufgaben der öffentlichen Hand generieren könnte – inklusive Schuldenabbau!