Von gelben Gewerkschaftern und 26 Änderungsanträgen

Für Gewerkschaftsrechte im Europaparlament


 

Im Eingangsbereich der Kantine, wo sich täglich tausende AssistentInnen, ArbeiterInnen, BeamtInnen und manchmal auch Abgeordnete (für die es ein außerdem ein abgesondertes "Members only"-Restaurant gibt) des Europäischen Parlamentes zum Mittag essen verabreden, werden Tombolatickets für Haiti verkauft. Am Wochenende organisiert der irische Pub an der Ecke des Luxemburgplatzes ein Benefiz für Haiti, zu dem Abgeordnete per E-mail einladen. Die internationale Spendenbereitschaft für die Erdbebenopfer erobert das Europäische Parlament.

von Tanja Niemeier, Brüssel

Auch die Plenarsitzung in Strassburg hat das Erdbeben, das die haitianische Hauptstadt Port au Prince dem Erdboden gleich gemacht hat und dabei vermutlich mehr als 200.000 Menschen unter sich begraben und weiteren 2,5 Millionen Menschen das Dach über dem Kopf genommen hat, in einer ersten Sondersitzung auf die Tagesordnung gesetzt.

Für einen Moment ging es nicht mehr um die zukünftigen Posten in der Barosso II-Kommission und das blamable Durchfallen der bulgarischen Kommissaranwärterin für Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, Rumiana Jeleva. Frau Jeleva, (inzwischen ehemalige) bulgarische Außenministerin und Mitglied der Gruppe der Europäischen Volksparteien (EVP) im Parlament war in der Anhörung vor allem wegen Inkompetenz und mangelnder Transparenz ihrer eigenen Finanzen aufgefallen.

Auf die Frage, wie sie die humanitäre Situation in Gaza verbessern wolle, soll ihre Antwort gewesen sein, demnächst einmal dorthin fahren zu wollen. Anschuldigungen über ihre eigenen dubiosen finanziellen Machenschaften im Zusammenhang mit einem durch sie geführten Beratungsunternehmen und wiederholte Vorwürfe, ihr Mann unterhalte Verbindungen zur russischen Mafia konnte sie nicht überzeugend entkräften. Wen wundert es da noch, dass die europäischen Institutionen durch weite Teile der europäischen Beschäftigten und Jugendlichen als abgehoben und nicht besonders vertrauenerweckend eingestuft wird?

Schadensbegrenzung war dann auch das Gebot der Stunde: Jeleva zog ihre Kandidatur zurück und legte auch gleich das Amt der bulgarischen Außenministerin nieder. Dies war der Versuch den Gesichtsverlust der gesamten Kommission, die ohnehin die undemokratischste aller europäischen Institutionen ist, einzugrenzen.

Zurück zu Haiti. Insgesamt 422 Millionen Euro, so heißt es, beträgt die Summe, die die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die Europäische Kommission zur Verfügung stellen wollen um sowohl "sofortige humanitäre als auch mittel- und langfristige Hilfe zu leisten, die das Leid der Menschen in Haiti mildern und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu erneuern". Drei Millionen Euro sollen direkt und unmittelbar aus dem EU-Haushalt kommen. Gut und schön.

422 Millionen Euro – die wie gesagt selbst nicht vollständig aus dem EU Haushalt kommen – klingen allerdings schon weitaus weniger beeindruckend wenn man bedenkt, dass das gesamte Budget der EU für 2010 141 Milliarden Euro beträgt. Noch weniger beeindruckend wird es, wenn man bedenkt, dass der größte Ausgabenanstieg für 2010 bei der "Verbrechensbekämpfung, Terrorismus und Migrationsmanagement" (lese: Ausbau der Festung Europa)zu verzeichnen ist. Die Ausgaben werden von 16.2 Prozent auf 1 Milliarde € steigen. Die Ausgaben für die „Gemeinsame Auslands- und Sicherheitspolitik“ steigen um 15.9 Prozent. wieder einmal zeigt sich, dass alle schönen Worte und Stapel von Dokumenten über die Politikkohärenz der EU nicht mit der Realität übereinstimmen.

Im Ausschuss für internationalen Handel, den ich als Mitarbeiterin der Fraktion der GUE/NGL mitbetreue, ging es dieses Mal unter anderem um Kolumbien. Die Europäische Union will ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den Andenstaaten, darunter Kolumbien, abschließen. Zusätzlich soll geprüft werden, ob Kolumbien die Kriterien erfüllt, um in den Vorzug des Allgemeinen Präferenzsystems + (APS +), ein System das Zollerleichterungen für Exporte aus "Entwicklungsländern" in die EU vorsieht. Eines der zu erfüllenden Kriterien ist die Einhaltung und Gewährleistung von Menschenrechten. 2009 besuchten verschiedene Berichterstatter im Auftrag der Vereinten Nationen Kolumbien. Alle äußern sich besorgt über die systematische Verletzung von Menschen- und Gewerschaftsrechten mit Beteiligung, Wissen oder Duldung der kolumbianischen Uribe-Regierung.

Um sich eine "objektive" Meinung zum Sachverhalt verschaffen zu können, wurde eine Anhörung organisiert, die verschiedene Gesichtspunkte von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren in Kolumbien widerspiegeln sollte. Natürlich haben die verschiedenen politischen Gruppen, je nachdem wessen Interessen sie sich verschrieben haben, unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer zu solch einer Veranstaltung eingeladen werden soll.

Jeder Redner, jede Minute Redezeit, sowie die Aufteilung der Redezeit ist ein politisches Kräftemessen, in das sich auch die kolumbianische Botschaft noch einzumischen versuchte. Für sie steht einiges auf dem Spiel.

Letztendlich hören wir ein "ausgewogenes" Podium von vier Rednern. Zwei Gewerkschafter, ein Vertreter der Botschaft und ein Unternehmensvertreter.

Enrique Alveiro Franco Valderrama von der Gewerkschaft UNALTRASAP (Viehzüchter und Agrargewerkschaft) entpuppt sich als Sprachrohr der Regierung und klassischer Vertreter einer gelben Gewerkschaft. Er übertrifft selbst den Botschafter in seinen Behauptungen, dass man in Kolumbien nicht von besonderer Gewalt gegen Gewerkschaftsmitglieder sprechen kann. Im Verlaufe der Anhörung wird klar, dass er eine Gewerkschaft von wenigen hundert Mitgliedern vertritt und dass der Gewerkschaftsdachverband CGT, dem die Gewerkschaft angeschlossen ist, schriftlich mitteilt, dass es Herrn Valderrama untersagt ist, im Namen der Gewerkschaft öffentlich aufzutreten. Alberto Vanegas von der CUT (Central Unitaria de Trabajadores)schildert ein anderes Gesicht von Kolumbien. Er wies nochmals darauf hin, dass der Internationale Gewerkschaftsdachverband feststellt, dass von den weltweit 76 Morden an Gewerkschaftern im Jahr 2008, 49 in Kolumbien stattfanden. Außerdem wird dem Aufbau von Gewerkschaften im Betrieb oftmals mit Repressionen begegnet und gibt es enorme Probleme, um überhaupt gültige Tarifverträge auszuhandeln zu können. Vanegas war dann auch der Meinung, dass die bilateralen Verhandlungen mit Kolumbien eingefroren werden sollten, bis sich die Lage entscheidend verbessert. Viele Abgeordnete, quer durch alle Fraktionen äußerten Besorgnis über die Situation in Kolumbien. Einige wiesen aber auch darauf hin, dass es eine perfekte Welt wohl nicht gäbe und dass man doch vor allem die Bemühungen der Uribe-Regierung zur Kenntnis nehmen sollte. Joe Higgins (Socialist Party Irland/CWI), der für die GUE/NGL im internationalen Handelsausschuss sitzt, war der einzige, der darauf hinwies, dass es auch internationale und europäische multinationale Konzerne sind, die sich an der Schändung von Gewerkschaftsrechten in Kolumbien beteiligten und darum auch die europäische Gewerkschaftsbewegung in der Pflicht ist, sich hiergegen zu widersetzen.

Später war es auch an Joe Higgins, seine Meinung zum Thema "Politikkohärenz der EU bei der Entwicklung und das System der offiziellen Entwicklungshilfe+" deutlich zu machen. Der Entwicklungssauschuss hatte den internationalen Handelsausschuss um seine Meinung gefragt. Das war lustig. Noch bevor Joe Higgins das Wort ergreifen konnte, nahm das übereifrige Mitglied der EVP (Gruppe der Europäischen Volksparteien), Pablo Zalba Bidegain (Partido Popular, Spanien) das Wort und ereiferte sich über die unhaltbare Meinung von Joe Higgins.

Joe erklärte, dass er sich durchaus bewusst darüber ist, dass seine Meinung diametral gegenüber der der meisten Abgeordneten im Ausschuss steht, aber dass er dennoch festhält an der Überzeugung, dass es eine eindeutige Kluft zwischen Worten und Taten der EU gibt.

Nun ja, die Gruppe der EVP und der ECR (European Conservatives and Reformists Group), zu denen unter anderen die britische Tory-Partei der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher gehört, formulierten dann auch 12 Änderungsanträge zu einem Text von einer halben DINA4 Seite, die sozialdemokratische Fraktion brachte es auf 14 Änderungsanträge. Das entlockte meinem Kollegen Paul den Kommentar, dass wir wahrscheinlich ganz gut gearbeitet haben.

Dass wir es tatsächlich "ganz gut" machen und dass die politischen Dominanz des neoliberalen Gedankengutes in diesem Ausschuss nicht notwendigerweise das Gedankengut außerhalb des Parlamentes wieder spiegeln, wurde daran deutlich, dass die Nicht-Regierungsorganisation "Fair Politics" in einem schriftlichen Kommentar zur Debatte (der Link zum englischsprachigen Text findet sich hier) zu der Schlussfolgerung kommt, dass es sich bei Joe Higgins wahrhaftig um einen "fairen Politiker" handelt.

Die letzten Tage beschäftigte sich GUE/NGL vor allen Dingen mit dem SWIFT Abkommen, dass – falls es verlängert wird- der amerikanischen Regierung im Rahmen des Kampfes gegen den Terror Einsicht in die Kontobewegungen der Bevölkerung gibt. Das Europäische Parlament darf seit der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon auch darüber aussprechen. Spannende Themen also. Fortsetzung folgt.