Hilfskampagnen mehr Schein als Sein

Haiti: Imagearbeit und Militäreinsätze werden den Armen nicht helfen


 

Mehr als 150.000 Tote, unzählige Verletzte, über eine Million Obdachlose. Das passiert, wenn das ärmste Land der westlichen Hemisphäre von einem Erdbeben der Stärke 7,0 erschüttert wird. Bei einem ähnlichen Erdbeben im Norden Kaliforniens 1989 kamen fast alle Menschen mit dem Leben davon. Während Kalifornien zu einem reichen Land gehört, müssen in Haiti drei Viertel der Bevölkerung mit zwei Dollar am Tag auskommen.

von Frida Wölf, Bremen

Derweil wird die Zerstörung zur Imageveranstaltung für Regierungen, Banken und Konzerne: US-Präsident Barack Obama und EU-Politiker nutzen das Schicksal der Insel ebenso wie Siemens, VW oder Audi, um sich großzügig und hilfsbereit zu präsentieren. Nichts als blanker Hohn, betrachtet man die Verhältnisse genauer.

Westliche Heuchelei

Die New Yorker Bank Citigroup zum Beispiel spendete 250 Millionen US-Dollar, gab aber 2009 zugleich 5,3 Milliarden Dollar für Topmanager-Boni aus. Und die 550 Millionen US-Dollar, die die Vereinten Nationen an Hilfsmitteln zugesagt haben, entsprechen gerade mal einem Bruchteil der 100 Milliarden Dollar, die Banken weltweit 2010 für Bonuszahlungen verprassen werden.

Die praktischen Maßnahmen der USA, die Entsendung von Militärtrupps und die Übernahme des Flughafens von Port-au-Prince, liefen erst verspätet an und halfen nicht in erster Linie der armen Bevölkerung Haitis. Vielmehr kümmerten sie sich vorrangig darum, US-Bürger aus dem Land zu fliegen. Außerdem blockierten sie dabei auch noch teilweise Hilfslieferungen aus anderen Ländern. Wer glaubt schon, dass die USA, die nicht einmal ausreichend Zelte ranschaffen, einen langfristigen Wiederaufbau leiten werden?

Joch des Imperialismus

Haiti bekommt einmal mehr die Auswirkungen des westlichen Imperialismus zu spüren. Zuerst von Frankreich kolonialisiert, später 19 Jahre lang von den Vereinigten Staaten besetzt, blieb es auch in den vergangenen Jahrzehnten trotz formaler Unabhängigkeit im Griff der USA. Nachdem Jean-Bertrand Aristide beispielsweise als Präsident wiedergewählt war, wurde er 2004 mit der Unterstützung des Weißen Hauses – zum zweiten Mal! – weggeputscht –, weil die unterdrückten Massen in ihn Hoffnungen setzten und sich radikalisierten. Den heutigen Präsidenten René Préval schoben die USA jetzt auch einfach beiseite und übernahmen das Kommando.

Haiti ist nach wie vor ein Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich extrem auseinander klafft. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit liegt bei 75 Prozent. Durch Handelsabkommen mit den USA ist Haiti heute massiv von Lebensmittelimporten abhängig und tief verschuldet, so dass jährliche Schuldenrückzahlungen von 50 Millionen Dollar fällig werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte Haiti nun einen Sofortkredit von 100 Millionen Dollar zur Verfügung – allerdings nur bei Zusage eines Ausgabestopps im öffentlichen Sektor.

Echter Schutz vor Erdbeben sieht anders aus

Wie schon in Südostasien 2004 handelt es sich bei den Folgen der Naturkatastrophe in Wirklichkeit um menschengemachte Probleme: Das Ausmaß wäre weitaus geringer, würden gute Frühwarnsysteme existieren und stabilere Häuser gebaut werden. Zudem hätten die Auswirkungen des Bebens abgeschwächt werden können, wäre die Infrastruktur besser und wären Hilfslieferungen in ausreichender Menge und schnell genug eingetroffen.

Die Verteilung und Verwaltung der Hilfsgüter und der Einsatz von Hilfskräften darf nicht, wie bisher, über die Köpfe der Betroffenen hinweg erfolgen. Nötig wäre es vielmehr, dass diese Maßnahmen ebenso wie der Wiederaufbau von unten demokratisch kontrolliert werden.

Auf kapitalistischer Grundlage aber wird die überwiegende Mehrheit der in Haiti Lebenden weiterhin verarmt bleiben, in baufälligen Hütten leben und arbeitslos sein oder als billige Arbeitskräfte in Sweatshops für US-amerikanische oder kanadische Konzerne ausgebeutet werden.