Nigeria: Krise forciert neoliberalen Kurs

Gespräch mit Segun Sango vom Democratic Socialist Movement (DSM)


 

Segun Sango Aderemi, Generalsekretär der Democratic Socialist Movement (DSM), CWI-Sektion in Nigeria, nahm Anfang Dezember in Berlin an einem Seminar zu „Konfliktlösung und Menschenrecht in Afrika, Asien und Lateinamerika“ teil. Das Seminar wurde von dem sozialistischen Stadtrat Claus Ludwig und der SAV ausgerichtet. Aron Amm führte ein Gespräch mit ihm.

Welche Folgen hat die globale Rezession für Nigeria?

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind für ganz Afrika verheerend. Vor allem wird die jahrelange neokoloniale Politik dadurch noch weiter verschärft.

So erleben wir in Nigeria nicht nur eine Intensivierung des Privatisierungsprozesses, sondern auch eine immer vollständigere Kontrolle der führenden Industriestaaten und ihrer Unternehmen über den Ölsektor des Landes. Da die Ölproduktion besonders kapitalintensiv ist, gerieten die einheimischen Kapitalbesitzer längst ins Hintertreffen.

Die multinationalen Konzerne sind immer stärker auf dem Vormarsch. Sie setzten das nigerianische Parlament inzwischen sogar erfolgreich unter Druck, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Dieses erleichtert es privaten Multis wie Shell oder Total, sich in den nigerianischen Ölsektor einzukaufen und die bisherige Stellung der Nationalen Ölgesellschaft Nigerias, die sich in öffentlicher Hand befindet, zurückzudrängen.

Ähnliches vollzieht sich zur Zeit im Bankgewerbe. Ende der siebziger Jahre hatte der nigerianische Staat Mehrheitsanteile an den Finanzhäusern des Landes erworben. Im Zuge von Deregulierungsmaßnahmen und Gesetzesänderungen können ausländische Banken nunmehr nicht nur Minderheitsanteile erhalten, sondern die Banken mehrheitlich übernehmen.

Gleiches gilt für den Erwerb von Land. Bis weit in die Siebziger hinein gehörte das Land so gut wie komplett dem Staat. Mittlerweile ermöglichte das Parlament es jedem Privaten, sich so viel Land anzueignen, wie er möchte.

Summa summarum: Während die führenden kapitalistischen Staaten auf die größte Krise seit 1929 mit Teilverstaatlichungen und öffentlichen Rettungsaktionen reagieren, werden in Afrika die Prozesse von Deregulierung und Privatisierung noch forciert.

Allerdings wurden auch in Nigeria 620 Milliarden Naira [knapp drei Milliarden Euro] in den Bankensektor gepumpt, um acht Banken vor dem Aus zu bewahren. Wie anderswo auch geht das seitens der Regierung mit Kürzungen bei Bildung und Sozialausgaben einher.

Wie begegnete die arbeitende Bevölkerung den Krisenfolgen?

In der letzten Zeit kam es zu Großprotesten für einen Mindestlohn und gegen die Deregulierung der Ölindustrie. Durch Druck von unten sahen sich die Gewerkschaften gezwungen, entsprechende Aktivitäten durchzuführen.

Wobei ins Auge springt, dass diese Proteste weit hinter dem zurückbleiben, was die nigerianische Arbeiterbewegung in den vergangenen Jahren auf die Beine stellte. So kam es im letzten Jahrzehnt zu sieben Generalstreiks. Dass der Druck auf die Gewerkschaftsspitze, einen neuerlichen Generalstreik zu organisieren, derzeit noch begrenzt ist, hängt auch damit zusammen, dass die Führung der Gewerkschaften den Protest immer abwürgte, bevor er erfolgreich seine Wirkung entfalten konnte. Zudem verstehen immer mehr Lohnabhängige, dass Streiks und Generalstreiks für sich genommen nicht ausreichen. Darum machen wir uns seitens der Democratic Socialist Movement auch für den Aufbau einer neuen politischen Interessenvertretung für Arbeiter und Jugendliche stark.

Was hat es mit der nigerianischen Labour Party auf sich? Ist diese der Anfang einer solchen Arbeiterpartei?

Gegründet wurde die Labour Party aus den Gewerkschaften, dem Nigerian Labour Congress, heraus. Allerdings steckt diese Formation noch in den Kinderschuhen. Wie sie sich weiter entwickeln wird, ist noch offen. Wichtig ist es unserer Ansicht nach, dass sie bei den nächsten nationalen Parlamentswahlen 2011 antritt. Dafür setzt sich die DSM innerhalb der Labour Party ein. Wobei die Labour Party nicht nur ein Wahlapparat sein darf, sondern eine klassenkämpferische Kraft werden muss. Die anderen, bürgerlichen Parteien im Land sind durch und durch undemokratisch, haben kein Parteileben und keine aktive Mitgliedschaft. Das muss im Fall der Labour Party – die nichts mit der kapitalistischen Labour Party in Großbritannien zu tun hat – anders werden, wenn sie eine Zukunft haben soll.

Du bist aktiv in der Campaign for Democratic and Workers Rights (CDWR). Was ist das für eine Organisation?

Ziel der CDWR ist es, Arbeiterrechte zu verteidigen und den Lebensstandard der unterdrückten Massen zu erhöhen.

In der jüngsten Zeit haben wir uns wesentlich um den Fall der 27 inhaftierten Soldaten gekümmert. Diese gehörten zu einer sogenannten UN-Friedensmission in Liberia. Die nigerianischen Offiziere zahlten ihnen nur einen Bruchteil des Solds aus, der ihnen eigentlich zustand. Daraufhin starteten die Soldaten Proteste, für Nigeria ein bislang einmaliger Vorgang. 27 von ihnen kam dann 2008 vors Militärgericht. Die Offiziere wurden in dieser Angelegenheit zwar schuldig gesprochen wurden, ihre Strafe beschränkte sich jedoch darauf, ein Rangabzeichen aberkannt zu bekommen. Mehr nicht. Das war alles. Währenddessen erhielten die protestierenden Soldaten lebenslänglich. Daraufhin traten wir gemeinsam mit anderen unsere Kampagne los. Mit enormen Erfolg! Die lebenslängliche Haftstrafe wurde auf sieben Jahre Gefängnis reduziert. Jetzt sind wir dabei, die Solidaritätsarbeit noch zu verstärken, um für die sofortige Freilassung zu kämpfen.