Vereinbarung bei Daimler Sindelfingen
Die spontanen Proteste der vergangenen Tage im Daimler-Werk Sindelfingen haben das Management des Autobauers offenbar in Angst und Schrecken versetzt. Wollte es vor kurzem noch nicht einmal mit dem Betriebsrat über die Verlagerung der C-Klasse-Produktion sprechen, präsentierten beide Seiten schon am Donnerstag einen Kompromiß.
von Karl Neumann
Demnach sind in Sindelfingen betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2019 ausgeschlossen. Das ist wahrscheinlich der längste Zeitraum, für den eine solche Zusage bislang gemacht wurde. Für die Beschäftigten, die in den vergangenen Tagen um den Erhalt ihrer Existenzgrundlage gebangt haben, ist das vielleicht eine gewisse Beruhigung. Eine Vermeidung von Stellenabbau – wie vom Unternehmen und in den Medien zum Teil suggeriert – bedeutet die Vereinbarung jedoch nicht.
Die Daimler-Spitze bleibt dabei: Ab 2014 wird die C-Klasse, das am besten verkaufte Mercedes-Modell, nicht mehr in Sindelfingen, sondern in Bremen und Tuscaloosa/USA gefertigt. Mit dieser Entscheidung »steigert das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit«, freute sich Konzernchef Dieter Zetsche. Wie das funktioniert, ist klar: In dem Werk im US-Bundesstaat Alabama haben die Gewerkschaften nichts zu sagen, die Einkommen sind niedriger und die Arbeitsbedingungen schlechter. Als Dreingabe steuert der Gouverneur von Alabama 100 Millionen Dollar für die »geschaffenen Arbeitsplätze« bei. Dort sollen allerdings nur rund 1000 entstehen, während in Sindelfingen etwa 4500 Beschäftigte in der C-Klasse-Produktion tätig waren. Und auch im Bremer Werk, das die SL-Fertigung nach Sindelfingen und seine bisherige C-Klasse-Produktion in die USA abgeben muß, ist die Gesamtbilanz nach Ansicht kritischer Betriebsräte negativ (siehe Interview vom 9. Dezember).
Der Betriebsrat und die IG Metall sprechen von insgesamt 2700 Arbeitsplätzen, die in Sindelfingen »neu« geschaffen werden sollen. Die Diskrepanz zum bisherigen Beschäftigungsvolumen ist offensichtlich. Hinzu kommt die ohnehin stattfindende Rationalisierung, so daß letztlich einige tausend Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben dürften – »sozialverträglich« vernichtet durch Altersteilzeit und »natürliche Fluktuation«, sprich: Stellen werden nicht neu besetzt. Für Jugendliche und die Region sind die Jobs dann für immer verloren. Zudem wird ein Teil der »zusätzlichen« Jobs durch »Insourcing« von an Zulieferer wie Magna und Johnson Controls vergebene Aufgaben erreicht, was einen entsprechenden Abbau in diesen Firmen nach sich zieht.
Auch für die Sindelfinger Belegschaft selbst ist der Deal keine Garantie auf Arbeitsplatzerhalt. Wie alle derartigen Verträge enthält er eine Revisionsklausel für den Fall wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Vollends problematisch ist das Bekenntnis des Betriebsrats zur »kontinuierlichen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und einer Steigerung der Effizienz im Werk«. Übersetzt heißt das: Künftig ist es Aufgabe der Beschäftigtenvertretung, die Vernichtung von Arbeitsplätzen selbst zu forcieren.