DIE LINKE vorm Landtags-Wahlkampf in NRW

Interview mit Wolfgang Zimmermnann und Angela Banckert


 

Bei der Kommunalwahl im August 2009 verpasste die Partei DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Bei der Bundestagswahl kam sie hingegen auf 8,4 Prozent. Was ist für die Landtagswahl im nächsten Jahr zu erwarten?

Wolfgang Zimmermann: Kommunalwahlen sind mit Bundestags-, aber auch mit Landtagswahlen nicht zu vergleichen. Kommunalwahlen sind sehr personenbezogen. Die Wähler wählen häufig ihnen bekannte Kandidatinnen und Kandidaten, die eine längere politische Erfahrung haben und deren Wirken sie lange kennen. In den meisten Städten waren unsere Kandidaten nicht sehr bekannt. Auf der Landes- und Bundesebene werden eher die allgemeinen politischen Positionen der Parteien bewertet, wonach dann die Wahlentscheidung getroffen wird. Für die Landtagswahlen am 9. Mai 2010 in NRW ist zu erwarten, dass wir deutlich über fünf Prozent kommen und mit einer starken linken Fraktion in das Landesparlament einziehen werden.

Angela Banckert: Bei der Kommunalwahl konnten wir viele uns nahestehende Wähler offenbar nicht mobilisieren. Das mag zum einen daran liegen, dass unsere Wähler diese Wahlen für nicht so wichtig hielten. Zum anderen aber vielleicht auch daran, dass wir kommunal vielerorts noch nicht verankert und profiliert genug sind, oder aber auch – wie zum Beispiel in Köln – in den lokalen Medien vor allem als Anhängsel von Rot-Grün vorkamen.

Bei Landtagswahlen sieht die Sache schon wieder anders aus. Ich gehe davon aus, dass wir den Sprung in den NRW-Landtag schaffen.

Wie ist der Programmentwurf zu bewerten? Die FAZ fürchtet: „Die Linkspartei will einen Systemwechsel.” Laut SPIEGEL versetzten die Forderungen der NRW-LINKEN auch die Berliner „Spitzenleute in Alarmstimmung“.

Banckert: Wir sollten offensiv vertreten, dass wir einen Systemwechsel wollen. Denn dieses kapitalistische System wird selbst elementarsten Lebensbedürfnissen der Masse der Bevölkerung immer weniger gerecht.

Und was die Furcht mancher Berliner Spitzenleute betrifft: Wir in NRW sind kein stromlinienförmiger, sondern ein etwas unkonventioneller Landesverband. Und das ist gut so.

Zimmermann: In der Tat versetzt der Programmentwurf offenbar einige bürgerliche Medien in Panik. Meiner Meinung nach hängt das vor allem damit zusammen, dass wir die Vergesellschaftung der Energiekonzerne E.ON und RWE anstreben. Wenn das bereits als Systemwechsel gesehen wird, dann hätten wir ja zu den Zeiten, als RWE, die Bundesbahn und die Post noch vollständig in staatlicher Hand waren, bereits den Sozialismus gehabt.

Wir wollen einen grundlegenden Politikwechsel, und zwar in dem Sinne, dass die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben radikal gestoppt und umgekehrt wird. Wir wollen eine soziale und gerechte Gesellschaft. Wir wollen in NRW unter anderem die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems, kostenlose Bildung für alle, keine Privatisierung öffentlichen Eigentums sowie die Rückführung bereits verkaufter Betriebe, eine effektive Wirtschaftsdemokratie, für ein umfassendes Wahlrecht aller hier lebender Menschen. Es gibt aber in der Tat auch in den eigenen Reihen Stimmen, die glauben, manche Forderung könnte einige Wähler oder vielleicht die SPD zu sehr erschrecken.

Den Kommunen drohen schon dieses Jahr Gewerbesteuerausfälle von durchschnittlich 15 Prozent; in Duisburg, das weitgehend vom Stahlproduzenten ThyssenKrupp abhängig ist, könnten sich die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr sogar halbieren. Welche Aufgaben stellen sich hier für DIE LINKE?

Zimmermann: DIE LINKE NRW setzt sich für ein Zukunftsinvestitionsprogramm ein, das den Kommunen 21 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Unter anderem wollen wir die Umwandlung der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftssteuer, die schon allein rund zwei Milliarden für die Kommunen bringt. Darüber hinaus verlangen wir eine Millionärssteuer, mit der wir die Kommunen entschulden können – in NRW mit etwa 8,8 Milliarden.

Banckert: DIE LINKE hat auf allen Ebenen Vorschläge vorgelegt, wie das Steuersystem massiv umgeschichtet werden kann, und zwar von oben nach unten und zur Stärkung gerade der Kommunalfinanzen.

Und um noch mal auf die Landesebene zu kommen: Die von uns geforderte Wiedereinführung der Vermögenssteuer fließt den Ländern zu. Ebenso sollten und können auf Landesebene zum Beispiel die betrieblichen Steuerprüfungen drastisch ausgedehnt werden.

Einer der größten Schulden-Posten bei Kommunen wie auch Land und Bund sind übrigens die Zinszahlungen an die Banken. In unserer kommunalpolitischen Erklärung zum Krisen-Konjunkturpaket ist der NRW-Landesverband hier richtigerweise für ein Zinsmoratorium eingetreten.

Bei Opel Bochum und anderen Betrieben stehen in den nächsten Wochen und Monaten – also im Vorfeld der Landtagswahl – Massenentlassungen an. Wie könnte und sollte der Landesverband der LINKEN darauf reagieren?

Banckert: Um gegen Entlassungen und drohende Betriebsschließungen vorzugehen, müssen Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zu Betriebsbesetzungen organisiert werden, bevor es zu spät ist. Gerade bei Opel Bochum kann an die Erfahrungen aus dem Streik 2004 angeknüpft werden. Wir als LINKE können das dann unterstützen und auch dabei helfen, bundesweit wie international Kontakte zu knüpfen, damit kämpfende Belegschaften nicht isoliert werden.

Staatliche Bürgschaften und Steuergelder hinterher zu werfen, die dann unkontrolliert im Konzern versickern, bringt nichts, wie man gerade wieder in Bayern sieht, wo die Landesregierung vor kurzem 50 Millionen Euro an Quelle gezahlt hat.

Stattdessen müssen wir uns auf der politischen Ebene dafür einsetzen, dass die Geschäftsbücher geöffnet werden und eine direkte Kontrolle stattfindet. Die Übernahme in öffentliches Eigentum, wie es auch der Artikel 27 der Landesverfassung NRW ermöglicht, bietet eine Perspektive des Erhalts und Produktionsumbaus. Entscheidend dafür ist aber: anders als bisher müssen diese öffentlichen Betriebe demokratischer Verwaltung und Kontrolle unterliegen, durch gewählte Betriebsleitungen aus Vertretern seitens Belegschaft, Gewerkschaften und Regierung, auch unter Einbeziehung von Verbraucher- oder Umweltorganisationen. Dann kann geprüft, diskutiert und entschieden werden, welche Produktion und welche öffentlichen Investitionen gesellschaftlich Sinn machen.

Zimmermann: Sollte es zu Massenentlassungen kommen, womit in der Tat zu rechnen ist, werden unsere Mitglieder konsequent an der Seite der Kolleginnen und Kollegen stehen und jegliche Hilfe leisten, um diese Entlassungen zu verhindern.

Sollte es im Mai nächsten Jahres am Wahlabend in NRW für Rot-Rot-Grün reichen – wie sollte sich die Linkspartei dann verhalten? Würde es Sinn machen, Mindestbedingungen für eine Regierungsbeteiligung aufzustellen? Könnte die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung eine Option sein?

Zimmermann: Wir werden mit allen gesellschaftlichen Kräften, die bereit sind, mit uns und den Menschen gemeinsam einen grundlegenden Politikwechsel herbeizuführen, zusammenarbeiten. Für uns sind das in erster Linie die Gewerkschaften, die Sozial- und Wohlfahrtsverbände und die neuen sozialen Bewegungen. Wenn Parteien dazu – aber in Taten, nicht nur in Worten – auch dazu bereit sind, sind sie willkommen. Eine Zusammenarbeit – welcher Art auch immer – ist davon abhängig, ob die Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der nordrhein-westfälischen Bevölkerung konkret verbessert werden können. Wie eine eventuelle Zusammenarbeit aussehen könnte, hängt von den Parlamentskonstellationen, vom Verhalten der Parteien und von den politischen Rahmenbedingungen im Land ab. Darüber hinaus entscheiden unsere Mitglieder über Koalitionsbeteiligungen und Unterstützung einer Minderheitsregierung. In unserer Landessatzung ist diesbezüglich ein Mitgliederentscheid zwingend vorgeschrieben.

Banckert: Müntefering meinte ja, Opposition sei Mist. Für Parteipolitiker, die vor allem an die Fleischtöpfe der Regierung wollen, mag das zutreffen. Aber gerade in den letzten paar Jahren haben wir als LINKE gezeigt: Allein schon durch unsere Existenz haben wir auch aus der Opposition heraus viel bewegt, die politischen Verhältnisse zum Tanzen gebracht.

Natürlich wollen wir nicht die ewige Opposition sein, wir wollen unser Programm auch in politisches Handeln umsetzen, wir wollen letztlich mehrheitsfähig werden. Aber nicht durch Anpassung und faule Kompromisse in Koalitionen. Wir wollen und dürfen ja gerade nicht diesen Weg gehen, wie SPD oder Grüne. Und daraus ergibt sich ganz sicher eine Mindestbedingung: Wenn wir unsere Anhänger nicht tief frustrieren und enttäuschen wollen, dann dürfen wir uns an keiner Regierung oder parlamentarischen Tolerierungs-Vereinbarung beteiligen, die Soziallabbau und Verschlechterung für die Menschen bedeutet.

Falls es in NRW rechnerisch für SPD, Grüne und LINKE reichen würde, wird der Druck auf die LINKE seitens der anderen beiden Parteien, der Medien et cetera hoch sein, nun „vernünftig“ und „realistisch“ zu werden und die schwarz-gelbe Landesregierung abzulösen. Da wir aber auch die rot-grüne Politik zu Lasten der Masse der Bevölkerung sowohl im Bund wie auch NRW zur Genüge „genossen“ haben, können wir darauf meines Erachtens nur so antworten: Wir sind bereit, die schwarz-gelbe Landesregierung unter Rüttgers abzulösen und eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit zu wählen. Wir sind bereit, Gesetzesvorhaben zu unterstützen, die soziale oder sonstige Verbesserungen beinhalten, wir selbst werden solche Vorlagen einbringen. Wir stellen einer rot-grünen Landesregierung aber keinen Blankoscheck aus, sondern wir werden jede Sachfrage prüfen. Wir werden keine Vorlage und keinen Landeshaushalt mittragen, der Verschlechterungen, Verkauf und Privatisierung öffentlichen Eigentums beinhaltet.

Außerdem müssen wir grundlegend klarmachen: Die wirkliche Macht liegt ohnehin nicht in den Parlamenten, sondern in den Chefetagen der Banken und Konzerne. Wenn man einen Bruch mit den chaotischen und elenden kapitalistischen Verhältnissen will, dann muss man auch deutlich sagen: Das geht nicht allein parlamentarisch oder aus der Regierung heraus, das geht nur im Gleichschritt mit großen sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen. Diese anzustoßen, zu unterstützen und koordinieren zu helfen, ist eine unendlich wichtigere Aufgabe und Herausforderung für DIE LINKE, als parlamentarische Taktiken auszutüfteln.

Wolfgang Zimmermann ist Landessprecher der Partei DIE LINKE in NRW, Angela Banckert ist Landesparteitagsdelegierte aus dem Kreisverband Köln und Mitglied der SAV.