Zorniges Island

Ein Jahr nach dem Bankenkrach auf Island ist die Wut bei der Bevölkerung noch immer groß


 

von Holger Dröge, Berlin

Nach den jüngsten Daten des Internationalen Währungsfonds (IMF) steht es fest: Island ist das größte Opfer der weltweiten Wirtschaftskrise unter den weltweit 33 hochentwickelten Industriestaaten.

Die drei größten isländischen Banken sind kollabiert. Nach Angaben des IMF macht der Insel nunmehr eine voraussichtlich um 8,5 Prozent schrumpfende Wirtschaftsleistung zu schaffen. Gleichzeitig steigen die Verbraucherpreise nach 12,4 Prozent im Vorjahr auch 2009 um 11,7 Prozent an. Die Preise für Importartikel haben sich zum Teil mehr als verdoppelt.

Was die Prognosen für 2010 angeht, schneidet Island deutlich schlechter ab als jede andere hochentwickelte Wirtschaft. Im Durchschnitt wird das Bruttoinlandsprodukt in den hochentwickelten europäischen Industriestaaten vergleichsweise nur um vier Prozent sinken. Die diesjährige Rezession soll sich in Island nächstes Jahr noch mit einem Minus von zwei Prozent fortsetzen. Darüber hinaus muss Island in den kommenden Jahren noch eine Reihe weiterer Probleme bewältigen. So stieg etwa die Arbeitslosenrate seit Dezember 2007 von unter ein auf offiziell 8,6 Prozent, und das in einem Land, wo es keine Arbeitslosenversicherung wie in Deutschland gibt.

Am stärksten wurde die Bauwirtschaft von der Rezession getroffen. Mit 202 Unternehmen eröffneten seit dem Finanzmarktcrash um 67 Prozent mehr Betriebe ein Insolvenzverfahren als im Jahr davor. Der isländische Aktienmarkt hat seit Ausbruch der Finanzkrise 97 Prozent an Wert verloren. Bloomberg-Daten zufolge ist auch die isländische Krone von einem Wertverfall betroffen. Gegenüber dem derzeit schwachen Dollar gab die Landeswährung seit Ende 2007 um mehr als die Hälfte nach. Eine Krone ist aktuell noch 0,0054 Euro wert.

Große Wut und weitere Proteste

Die Wirtschaftskrise hat eine massive Absenkung des Lebensstandards für viele Isländer mit sich gebracht: Mehr als die Hälfte der 320 000 Isländer haben Schwierigkeiten, ihre Rechnungen zu bezahlen. 20 000 Hausbesitzer können ihre Hypotheken nicht mehr bedienen.

Dementsprechend ist die Wut auf die Schuldigen der Krise weiterhin groß. Nachdem vor einem Jahr Tausende auf die Straße gegangen waren, um zu protestieren und Banken zu stürmen, gab es nach dem Wahlerfolg für Rot/Grün Hoffnungen, dass sich die Lage verbessern würde. Doch die neue Regierung hat ihren Kredit schon wieder verspielt: Im Februar hatten noch 59 Prozent Vertrauen in Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir, jetzt nur noch 36 Prozent.

Auch die Hoffnungen in die EU haben sich zerschlagen: Laut Umfragen würden zur Zeit 61,5 Prozent der Isländer gegen einen EU-Beitritt stimmen.

Aber auch bei Protesten tut sich wieder was: Eine Gruppe namens "Skap ofsa" (Jähzorn), macht Jagd auf die Banker. Sie hat sich darauf spezialisiert, deren Prunkvillen und Luxusschlitten mit roter Farbe zu bekleckern oder sie durch die Innenstadt von Reykjavik zu verfolgen.

Während die Polizeit meist untätig zuschaut – haben doch viele Polizisten ihre Altersvorsorge durch die Krise verloren und stehen vor dem persönlichen Ruin – können sich die Aktivisten auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stützen. Björgolfur Björgolfson (seine Nobelkarosse der Marke Hummer siehe Bild), mit rund 2,5 Milliarden Euro der reichste Einwohner der Insel, führt unangefochten die Liste der verhasstesten Isländer an.