Sichtbar geworden

Lohnplus für Gebäudereiniger


 

Sie waren denkbar schlecht, die Ausgangsbedingungen für die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) im Tarifkonflikt der Gebäudereiniger.

von Daniel Behruzi

Von den nach Unternehmerangaben rund 860000 Beschäftigten waren vor der Auseinandersetzung nur etwa 57000 gewerkschaftlich organisiert. Die Branche ist durch prekäre Arbeitsverhältnisse geprägt: Mehr als die Hälfte putzt in Minijobs, 75 Prozent erhalten nicht mehr als den Mindestlohn. Darunter zu leiden haben vor allem Ausländer und Frauen – die etwa zwei Drittel der Beschäftigten stellen. Doch ein bedeutender Teil von ihnen hat seine Situation nicht einfach weiter ertragen, sondern sich gewehrt.

Und das mitten in der größten Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten. »Eine Krise ist für die Gewerkschaften nie der Fanfarenstoß für Erfolge an der Entgeltfront«, hat IG-Metall-Chef Berthold Huber noch vor wenigen Tagen in der Stuttgarter Zeitung erklärt. Deshalb werde seine Organisation in der kommenden Tarifrunde »keine großen Entgeltforderungen« stellen. Die immer noch größte Einzelgewerkschaft der Welt, von deren Organisationsgrad die IG BAU in der Reinigungsbranche nur träumen kann, sollte sich an den Putzfrauen ein Beispiel nehmen. Sie haben gezeigt, daß der Weg zu kampflosem Verzicht auch in der Krise nicht vorgezeichnet ist.

Sicher, materiell ist der Tarif­abschluß kein Durchbruch. Die sieben Euro pro Stunde im Osten und 8,55 Euro in Westdeutschland, die ab 2011 für diese körperlich extrem anstrengende Arbeit gezahlt werden, sind weiterhin unmenschlich. Dennoch kann die Bedeutung dieses Arbeitskampfes kaum hoch genug eingeschätzt werden. Viele Frauen, die in den Ausstand getreten sind, hat sich zum ersten Mal in ihrem Leben kollektiv zur Wehr gesetzt. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß sie etwas erreichen können, wenn sie sich zusammentun, sich organisieren und füreinander einsetzen. Sie haben erlebt, daß sie nicht wehrlos sind. Das so gewonnene Selbstbewußtsein ist eine gute Grundlage, auf der die IG BAU aufbauen kann. Und auch für andere Gruppen prekär Beschäftigter, zum Beispiel das Bewachungsgewerbe, ist der Erfolg der Reinigungskräfte eine Ermutigung.

Die IG BAU hat es geschafft, die im Alltag »unsichtbaren« Putzfrauen sichtbar zu machen. Die Unterstützung weiter Teile der Öffentlichkeit für die Anliegen der Streikenden hat eine entscheidende Rolle im Arbeitskampf gespielt. Daraus sollten alle Gewerkschaften Lehren ziehen. Manchmal ist es nicht der ökonomische Schaden, sondern der öffentliche, der die Gegenseite zu Zugeständnissen zwingen kann. Entsprechend tun die Gewerkschaften gut daran, gesellschaftliche Bündnisse einzugehen und Tarifkonflikte mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen zu begleiten. Das könnte auch für ver.di in der anstehenden Tarifrunde des öffentlichen Dienstes entscheidend sein.

Der Artikel erschien zuerst in der jungen Welt von heute.