ver.di-Aktivisten machen Druck
Die Gewerkschaften reagieren bislang weitgehend hilflos auf die Wirtschaftskrise. Angesichts der Vernichtung Tausender Arbeitsplätze fällt auch ihnen nichts besseres ein, als staatliche „Schutzschirme“ für angeschlagene Privatkonzerne zu fordern.
Umso wichtiger ist eine aktuelle Initiative von ver.di-Mitgliedern und -Funktionären: Sie wollen die Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich wieder auf die Agenda ihrer Gewerkschaft setzen.
von Daniel Behruzi, Frankfurt am Main
In einem Appell, den in zwei Wochen mehr als 1.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter unterzeichnet haben, heißt es: „Die Vernichtung Tausender Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst und in weiten Teilen der Privatwirtschaft setzt sich fort. Darauf ist eine zentrale Antwort der Gewerkschaften: Arbeitsumverteilung.“ Diese Forderung habe ver.di in den vergangenen Jahren deutlich vernachlässigt, so die Kritiker. Zwar habe die Gewerkschaft diverse Beschlüsse für eine Verkürzung der Arbeitszeiten gefällt, in der tarifpolitischen Praxis sei dies jedoch konterkariert worden. Statt eine Verkürzung zu erkämpfen, habe die ver.di-Spitze in vielen Bereichen der unbezahlten Verlängerung von Arbeitszeiten zugestimmt – in einigen Fällen gar kampflos.
Verlängerung zugestanden
Zuletzt hatten die Verhandlungsführer der Gewerkschaft Anfang vergangenen Jahres für einen Teil der Kommunalbeschäftigten die Verlängerung der Wochenarbeitszeit um eine halbe Stunde zugestanden, um etwas mehr Spielraum für Lohnerhöhungen zu erhalten. „Es darf nicht sein, dass die große Bedeutung der Arbeitszeitfrage auf Kongressen immer wieder betont wird, sie in der Praxis aber als Verhandlungsmasse bei Tarifrunden missbraucht wird“, erklärt David Matrai, ver.di-Jugendsekretär in Osnabrück und Mitinitiator des Appells. „Die programmatische Positionierung muss endlich wieder mit der tarifpolitischen Praxis in Einklang gebracht werden.“
ver.di habe in den Konflikten um eine von den Arbeitgebern geforderte Verlängerung der Arbeitszeiten richtigerweise argumentiert, dass dies den Abbau Tausender Stellen zur Folge hat. „Im Umkehrschluss heißt das: Radikale Arbeitszeitverkürzung ist die zentrale gewerkschaftliche Antwort auf die wachsende Erwerbslosigkeit“, so Matrai. Für ihn und seine Mitstreiter ist klar, dass dies für die Beschäftigten nicht mit Einkommensverlust einhergehen kann. In dem Appell heißt es: „Wir treten für eine Verkürzung in großen Schritten – zunächst für die 35-Stunden-Woche – sowie für vollen Lohn- und Personalausgleich ein.“
Initiative trifft den Nerv
„Mit dem Appell wollen wir eine breite Debatte über die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung anstoßen und unsere Gewerkschaft auf künftige Auseinandersetzungen in dieser Frage vorbereiten“, erläutert Matrai. Die enorme Resonanz seit der Veröffentlichung zeige, dass die Forderung unter den ver.di-Aktiven einen Nerv treffe. Selbst die Sprecherin des ver.di-Bundesvorstands hatte die Initiative auf Nachfrage des Neuen Deutschland begrüßt und gesagt: „Bei reinen Appellen darf es nicht bleiben. Wir müssen das Thema auch tatsächlich in die Betriebe tragen.“ Das meinen auch die Initiatoren des Arbeitszeitappells. Spätestens zur Tarifunde bei Bund und Kommunen Ende dieses Jahres soll sich dieser in konkreten Forderungen und Aktionen niederschlagen.