Rostock: Debatte um Bürgerbegehren gegen Privatisierungen

Rede der Abgeordneten Christine Lehnert, SAV, zum Bürgerbegehren in der Stadt Rostock, in der Bürgerschaftssitzung am 2. Juli 08


 

"Das heutige Thema Bürgerbegehren ist ein sehr wichtiges für die Menschen dieser Stadt und ich als Vertreterin der SAV habe selbst auf Infoständen Unterschriften dafür gesammelt und teile die rechtliche Auffassung der Fraktion DIE LINKE, dass das Begehren zulässig ist.

Hier geht es aber nicht in erster Linie um die rechtliche Betrachtung, sondern es ist eine politische Frage – ob man für oder gegen den Verkauf von kommunalem Eigentum ist. Hier geht es um die grundsätzliche Frage, welche Lösung es gibt für die Finanzmisere in der Stadt. Hat die Stadt ein Einnahmeproblem oder Ausgabeproblem? Und wie kann der enorme Schuldenberg abgetragen werden?

Oberbürgermeister Methling, das Innenministerium in Schwerin und die etablierten Parteien beharren permanent auf ihrer Behauptung, dass es keine andere Lösung gibt, als den Ausverkauf des kommunalen Eigentum. Sie wiederholen dies pausenlos und ohne Scham. Doch wie sagte schon der britische Dichter und Matematiker Bertrand Russel: „Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“

Es ist höchste Zeit, dass nun die Gescheiten endlich die Zweifel ablegen und mutig ihre Forderungen kundtun, dass nämlich Privatisierung von kommunalem Eigentum NICHT der richtige Weg und schon gar nicht der einzige Weg ist!

Das weiß im übrigen auch die Mehrheit der Menschen hier in diesem Land. Laut einer Umfrage der Zeutschrift „DIE ZEIT“ sind 67 % der Befragten gegen weitere Privatisierungen von staatlichem Eigentum. Die Menschen wissen: Privatisierungen sind unsozial und auch ökonomisch kurzsichtig.

Die Erfahrungen in Rostock sind hier beispielhaft. Sei es der Verkauf des Rostocker Hafens, der ein vollkommener Reinfall war. Selbst der Unternehmerverbandschef Ulrich Seidel rügte den "lächerlich niedrigen" Verkaufspreis von 19 Millionen. Dem standen von Gutachtern geschätzte Vermögenswerte von 77 Millionen Mark gegenüber. Arbeitsplätze sind abgebaut worden und die Stadt musste sich mittlerweile für teures Geld Hafenflächen zurückkaufen.

Oder nehmen wir das Beispiel der Wasserprivatisierung in Rostock. Selbst der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, Jürgen Basedow, äußerte sich zur Bilanz der Einschätzung der Wasserprivatisierung in Rostock ablehnend: „Vielleicht, dass die öffentliche Seite als Verkäufer lieber auf die möglichen Spätfolgen schauen sollte statt vor allem auf die Maximierung des Verkaufspreises. Es ist problematisch, wenn in der Politik kurzfristige finanzielle Kalküle langfristig wirkende Entscheidungen bestimmen.“

Auch die Teilprivatisierung bei der Rostocker Stadtentsorgung hatte nur negative: Stellen wurden abgebaut, Lohnsenkungen durchgesetzt, es gibt eine große Arbeitshetze und schlechtere Arbeitsbedingungen als vorher. So fahren die Kollegen mit weniger Mann auf den Wagen als früher.

Wer also nicht total neoliberal verbohrt ist, würde Lehren aus diesen Erfahrungen ziehen.

Aber natürlich beantwortet das noch nicht die Frage, wo das Geld denn herkommen soll, wenn nicht durch den Verkauf von Eigentum. Hier gibt es nur eine Antwort – die den neoliberalen Parteien nur ein müdes Lächeln ins Gesicht zaubert. Aber die trotzdem die einzige richtige Lösung ist – eine Umverteilung des Reichtums in Deutschland. Es muss eine Umverteilung der Gelder bundesweit von den Konten der Reichen in die Staatskasse geben und von dort in die Länder und Kommunen. Nur das kann die Finanzkrise lösen.

[Unterbrechung durch die Präsidentin der Bürgerschaft, dass das hier nicht zur Kommune hergehöre]

Dies ist nicht nur eine örtliche Auseinandersetzung in Rostock sondern eine gesellschaftliche Fragestellung.

Um das Erwirtschaftete in Deutschland tobt ein Kampf und in den letzten Jahren haben die Reichen und Besitzenden sich immer größere Teile erobert, für die Masse sind die Realeinkommen gesunken. Die öffentlichen Kassen wurden durch Steuererleichterungen für die Reichen unter Kohl, Schröder und Merkel geplündert. Deren Rücknahme würde bundesweit etwa 120 Milliarden Euro Mehreinnahmen bedeuten.

Auch 2008 gab es noch mal ein Steuergeschenk: Die Unternehmenssteuerreform, welche Steuergeschenke an die Unternehmen in Höhe von bis zu acht Milliarden Euro pro Jahr bedeutet.

Doch die Ebbe in den öffentlichen Kassen ist kein absoluter Wert. Wenn es um die Interessen der herrschenden Klasse geht, können auch die bürgerlichen Politiker enorme Summen öffentlicher Gelder mobilisieren – nehmen wir die Bankenkrise in den letzten Monaten. Da haben bürgerliche Politiker, die niemals Geld für uns hier unten haben, Millionen zur Sicherung der Banken aufgebracht. Es ist also deutlich sichtbar, dass es eine Frage des Wollens ist!

Ralph Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank, sagte zu diesen Entwicklungen: „Wenn wir es klassenkämpferisch ausdrücken, haben wir in den letzten Jahren eine Umverteilung von Arbeit zu Kapital gesehen.“

Nun genau hierauf muss auch endlich eine entsprechende Antwort gegeben werden: „Es reicht!“

Die Menschen dieser Stadt haben das Bürgerbegehren nicht unterstützt um jetzt verarscht zu werden. Deswegen meine Aufforderung an LINKE und verdi:

Hier muss nun endlich mit der Faust auf den Tisch gehauen werden und diese Forderung, nach einem Ende des Ausverkaufs von kommunalem Eigentum muss durchgekämpft werden. Die parlamentarische Linke ist nur so stark wie die außerparlamentarische Bewegung ist. Deswegen schlage ich vor, dass jetzt Mitarbeiterversammlungen in den betroffenen Betrieben sowie Einwohnerversammlungen in den Stadtteilen durchgeführt werden, um dann Proteste, Demos und betriebliche Aktionen gegen die Verkaufspläne zu starten.

Wer hat denn hier das Sagen in der Stadt? Die Menschen, die hier wohnen oder dieser Haufen hier (Anm. CL: an die bürgerlichen Fraktionen in der Bürgerschaft gerichtet) und ein kleiner Diktator mit seinen Freunden aus Schwerin?"