Bundesparteitag: „DIE LINKE an Taten messen“

Der Bundesparteitag der LINKEN hat die Widersprüche der Partei erneut offengelegt

von Lucy Redler, Berlin


 

DIE LINKE ist zum Hoffnungsträger von Millionen geworden. Sie steht einer Emnid-Umfrage zufolge derzeit bei 15 Prozent. Auf ihrem Bundesparteitag,der am 24./25. Mai in Cottbus stattfand, hat sie eine Kampagne gegen die Rente mit 67 und ein Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro beschlossen. Solche Forderungen unterscheiden DIE LINKE von allen anderen Parteien und führen zu Zustimmung unter breiten Teilen der Bevölkerung. Oskar Lafontaine bezieht sich in Reden positiv auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und klagt den Kapitalismus an. Zeitgleich zum Bundesparteitag holte DIE LINKE in Schleswig-Holstein aus dem Stand sieben Prozent der Stimmen, obwohl sie nicht in allen Gemeinden angetreten war. DIE LINKE fordert alle etablierten Parteien heraus, was auch dazu führt, dass sie von den bürgerlichen Medien schärfer angegriffen wird. Doch wird der derzeitige Erfolg der LINKEN von Dauer sein?

Anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl sollte der Parteitag diskutieren, wie sich die Partei bis zur Bundestagswahl politisch und strategisch aufstellt. Umstritten ist innerhalb der LINKEN, ob sie weiterhin stark auf Parlamente und weitere Regierungsbeteiligungen mit der SPD orientiert oder ob sie in erster Linie auf den Aufbau von Widerstand gegen die Herrschenden setzt. Würde DIE LINKE in Zukunft in weiteren Ländern oder sogar auf Bundesebene in SPD-geführten Regierungen Sozialabbau mit durchsetzen, ist die Gefahr groß, dass sich der Zuspruch für DIE LINKE schnell in Ablehnung und Frustration verwandelt. Eine andere wichtige und umstrittene Frage ist, ob die Partei den Kapitalismus nur kritisiert, oder auch bereit ist, für eine sozialistische Gesellschaft fernab der Profitlogik zu kämpfen.

Leider wurden diese Kontroversen auf dem Parteitag nur am Rande diskutiert.

Um einen harmonischen Parteitagsablauf zu ermöglichen, wurde ein Leitantrag vorgelegt, der weniger aus klarer Analyse und Forderungen als vielmehr aus Formelkompromissen zwischen bestehenden Strömungen bestand. Dahinter stand der Wunsch, ein Jahr vor der Bundestagswahl internen Streit um inhaltliche Positionen und konkrete Festlegungen zu vermeiden.

In dieser Konsequenz hat sich die Partei auch bei diesem Parteitag kein Programm gegeben, weil in einer solchen Debatte unweigerlich die unterschiedlichen Vorstellungen über Regierungsbeteiligung, Sozialismus und konkreten programmatische Forderungen aufeinander geprallt wären. Stattdessen wurde den Delegierten ein 100-Punkte-Programm der Bundestagsfraktion präsentiert, das jedoch nicht Gegenstand der Debatte war.

Die einzige wirkliche kurze Kontroverse drehte sich um Forderungen der Partei in der Familienpolitik. In dieser Debatte wies die überwältigende Mehrheit des Parteitags erzkonservative Forderungen nach einem Erziehungsgehalt seitens der familienpolitischen Sprecherin der LINKEN Saar, Christa Müller, scharf zurück.

Lafontaines Freiheit und Gleichheit

Oskar Lafontaine hielt beim Parteitag eine Eröffnungsrede, deren kämpferischen Worte über Freiheit und Gleichheit als Grundlage einer sozialistische Gesellschaft im Widerspruch zu den von ihm vorgeschlagenen Forderungen standen, die den Kapitalismus nicht in Frage stellten. Zum einen bezog sich Lafontaine positiv auf Liebknecht, Luxemburg und die Novemberrevolution 1918. Er bezeichnete die damalige SPD-Führung unter Friedrich Ebert zu Recht als Verräter der Revolution. Zum anderen schaffte es Lafontaine, seiner Wortradikalität nur begrenzte Forderungen folgen zu lassen, die den „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ zurückdrängen sollen. Dazu gehöre beispielsweise das Verbot von Hedgefonds oder der Vorschlag, die Hälfte des Zuwachses an Betriebsvermögen den Arbeitnehmern zu überlassen. Nicht weitgehende Verstaatlichungen und Arbeiterkontrolle sind die Antworten Lafontaines, sondern paritätische Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie. Die Logik seiner Vorschläge besteht darin, dass nicht ein anderes Gesellschaftssystem, sondern eine andere Politik nötig sei, um Verbesserungen für die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.

So beschränkt sich auch der mit großer Mehrheit beschlossene Leitantrag lediglich auf die Aussage, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sei. Mit diesem Gegensatz von Sozialismus in Worten und begrenzten realen Forderungen konnte auch das Forum demokratischer Sozialismus um prominente Befürworter des rot-roten Senats wie Stefan Liebich gut leben.

Rote-rote Zukunftsmusik?

Um einen Antrag zu Regierungsbeteiligung von SAV-Mitgliedern, der zugleich vom Kreisverband Göttingen eingebracht worden war, entwickelte sich eine längere Auseinandersetzung und es musste mehrmals ausgezählt werden, bis klar war, dass der Parteitag sich nicht damit befassen wollte. In dem Antrag hieß es: „Koalitionen mit SPD und Grünen auf pro-kapitalistischer Grundlage, die zwangsläufig zu Maßnahmen des Sozialabbaus, Bildungsabbaus, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierung führen, kommen deshalb für die neue LINKE nicht in Frage. Wir setzen auf die Mobilisierung von Millionen, um die Macht der Millionäre und Milliardäre zu brechen.“

Ein Antrag aus Bielefeld, der die Berliner LINKE aufforderte, die rot-rote Koalition zu verlassen, wurde ebenfalls nicht behandelt.

„Berlin fällt uns auf die Füße“

Auch andere Delegierte brachten ihre Kritik am Kurs der Parteiführung offen zum Ausdruck. Ulrike Eifler vom Landesverband Hessen verwies darauf, dass die Politik der LINKEN in Berlin der hessischen LINKEN immer wieder auf die Füße fallen würde, beispielsweise wenn DIE LINKE in Hessen den Wiedereintritt des Landes Hessen in den Arbeitgeberverband fordert, während doch gerade unter Rot-Rot das Land Berlin aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband ausgetreten ist. „Wenn wir nicht wollen, dass verdi-Demos vor unserem Parteitag zur Regel werden, müssen wir Schluss machen mit Dumpinglöhnen und Personalabbau.“ Das bezog sich auf die demonstrierenden Berliner Landesbeschäftigten vor dem Parteitagsgebäude.

Thies Gleiss, Mitglied des Parteivorstands und Vertreter der Strömung Antikapitalistische LINKE (AKL), kritisierte zu Recht, dass der im Leitantrag oft erwähnte „Richtungswechsel“ nicht heißen dürfe, langsamer zu fahren, sondern die Richtung zu wechseln. Statt dem Stopp von Arbeitszeitverlängerung müsse DIE LINKE Arbeitszeitverkürzung fordern. Statt der einfachen Rücknahme der Rente mit 67 als zentraler Forderung der neuen Rentenkampagne der LINKEN sollte DIE LINKE die weitere Verkürzung des Renteneintrittsalters fordern.

Trotz mancher kritischer Redebeiträge wie von Thies Gleiss oder Sahra Wagenknecht verzichtete die AKL leider darauf, zentrale Kritikpunkte am Leitantrag wie beispielsweise zu Regierungsbeteiligung oder zur Systemfrage auch in konkrete Anträge zu fassen und dafür um Mehrheiten zu kämpfen.

„Sagen was ist“

….. war Teil des Mottos des Bundesparteitags. Das dachten sich auch die Landesbeschäftigten Berlins, die derzeit für eine prozentuale Lohnerhöhung in Berlin kämpfen, was ihnen vom rot-roten Senat verwehrt wird. Frei nach besagtem Motto hielten sie eine Protestkundgebung vorm Parteitag der LINKEN ab. Werner Röpke, ver.di-Fachbereichsleiter Gemeinden Berlin und Brandenburg, brachte den Unmut vieler KollegInnen zum Ausdruck, als er rief: „Wir hätten von der LINKE Rückgrat erwartet und Lohnerhöhungen auch in Berlin.“ Uwe Januszewski, Vorsitzender des Hauptpersonalrats des Landes Berlins, betonte, es könne ja nicht sein, dass DIE LINKE in Sonntagsreden Dumpinglöhne kritisiere und gleichzeitig in Berlin unter Rot-Rot Personalabbau und der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern fortgesetzt werde.

Januszewski, der auf dem Parteitag über die Situation der Landesbeschäftigten hätte sprechen sollen, kam – offiziell aus Zeitgründen – nicht mehr zu Wort. Stellung beziehen musste der Parteivorstand durch Gregor Gysi lediglich vor dem Parteitagsgebäude bei der verdi-Kundgebung der Landesbeschäftigten.

SAV-Mitglieder hatten ein Flugbatt verteilt, in dem der von SAV-Mitglieder gestellte Antrag zur Solidarität mit den Landesbeschaeftigten dokumentiert wurde, was bei diesen auf große Zustimmung stieß.

Werner Röpke verlas den Antrag auf der Kundgebung. Dies seien „weise Worte“, kommentierte Röpke und begrüßte Gregor Gysi mit den Worten: „Ich bin gespannt, was er zu diesem Antrag sagt“.

Dieser konterte, dass die Kollegen doch mal zur Kenntnis nehmen sollten, „dass der Senat jetzt zumindest mit euch redet“. Dies sei der Verdienst der LINKEN. Der genannte Antrag solle vom Parteitag diskutiert werden, aber sei aus seiner Sicht nicht realisierbar. Gysi versprach dagegen, dass auf „unsere Leute Verlass“ sei. Diese könnten sich aber nicht öffentlich positionieren, „weil sonst die andere Seite, die SPD, auf stur schalten würde“. „Aber“, schloss er, „wir bekommen ein Ergebnis, mit dem ihr nicht unzufrieden sein werdet.“ Röpke antwortete Gysi treffend: „Wir sehen uns immer zweimal und werden euch an euren Taten messen.“

Bilanz

Die Widersprüche zwischen den Hoffnungen in DIE LINKE und den Realitäten bei diesem Parteitag haben erneut unterstrichen, wie wichtig der Aufbau einer marxistischen Opposition zur Parteiführung der LINKEN ist, die diese nicht nur verbal kritisiert, sondern politisch an zentralen Fragen herausfordert. Ob der Name der Partei DIE LINKE gerechtfertigt ist, entscheidet sich an der Frage, ob sich die Partei im Klassenkampf auf der Seite der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen positioniert. Wenn sie dies nicht tut, leisten auch noch so radikale Reden gegen den Kapitalismus keinen Beitrag, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse grundlegend zu verändern.

Unmittelbar darf sich die angekündigte Renten-Kampagne nicht nur auf Anträge im Bundestag beschränken. Nötig ist eine kämpferische Kampagne, die es nicht dabei belässt, die Rente mit 67 zu kritisieren, sondern eine deutliche Herabsetzung des Renteneintrittalters zum Ziel hat.