Streikrecht verteidigen

In Deutschland wird wieder mehr gestreikt. Das belegt eine am Dienstag vorgestellte Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Einher geht dieser Streikaufschwung allerdings mit zunehmenden Versuchen, Arbeitsniederlegungen per Gerichtsentscheid zu beschränken. Aktueller Beleg hierfür ist ausgerechnet das »rot-rot«-regierte Berlin.


 

von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 30.4.08

Bereits am Montag war die Führung der Berliner Polizei damit gescheitert, ein weitgehendes Streikverbot für die Angestellten beim Objektschutz und in den Gefangenensammelstellen durchzusetzen. Das Berliner Arbeitsgericht gab einem Antrag der Polizeigewerkschaften auf eine einstweilige Verfügung gegen diese Maßnahme statt, so daß der Ausstand wie geplant heute abend beginnen kann. »Ich freue mich, daß das Grundgesetz auch in Berlin Bestand hat«, kommentierte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Eberhard Schönberg, die Entscheidung am Dienstag gegenüber junge Welt. Der Polizeipräsident will dagegen Berufung einlegen. Bei 16000 Polizeibeamten, die am 1. Mai von rund 1400 auswärtigen Kollegen unterstützt werden, so Schönberg weiter, könne von einem Zusammenbruch der inneren Sicherheit durch die Arbeitsniederlegung einiger hundert Angestellter in Objektschutz und Gefangenenwesen keine Rede sein. Es sei »erschütternd«, daß derartige Versuche ausgerechnet unter einem SPD-Linke-Senat unternommen würden.

Auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) scheiterten am Dienstag mit dem Versuch, das Streikrecht einzuschränken. Anlaß war eine spontane Arbeitsniederlegung von rund 700 Straßenbahnfahrern am 10. April, die damit gegen die harte Haltung des Senats im laufenden Tarifkonflikt protestierten. BVG und Kommunaler Arbeitgeberverband (KAV) beantragten daraufhin eine einstweilige Verfügung, mit der ver.di untersagt wurde, Spontanstreiks ohne Vorankündigung zu organisieren. Nachdem das Berliner Arbeitsgericht dem Antrag in erster Instanz stattgegeben hatte, entschied es am Dienstag in mündlicher Verhandlung zugunsten der Gewerkschaft.

»Ein Arbeitskampf muß effektiv sein – und das geht nur, wenn er überraschend und flexibel sein kann. Einen entsprechenden Beschluß hat das Bundesarbeitsgericht bereits 1988 gefällt«, argumentierte Helmut Platow, Leiter der ver.di-Rechtsabteilung, bei der Verhandlung. Der geforderte Zwang zur Vorankündigung solle lediglich dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, Streikbruch zu organisieren. Die Gewerkschaft könne sich ihre Streiktaktik nicht vorschreiben lassen, ergänzte Beate Schuh, Leiterin des Rechtsschutzes im ver.di-Landesbezirk Berlin. Die BVG-Beschäftigten hätten aber ohnehin beschlossen, Arbeitsniederlegungen künftig anzukündigen, stellte sie klar.

Wie schon beim Lokführerstreik dreht sich der arbeitsrechtliche Konflikt bei der BVG um die Frage der »Verhältnismäßigkeit« von Arbeitskämpfen. Entsprechend argumentierten die BVG-Vertreter, spontane Streiks schränkten das Recht auf öffentliche Daseinsvorsorge unverhältnismäßig stark ein. »Die Arbeitgeberseite versucht mit allen Mitteln, das Tarifniveau zu senken und die Möglichkeiten zum Arbeitskampf einzuschränken. Ein neuer Ansatz hierfür ist der Verweis auf die Daseinsvorsorge, mit dem der Begriff der Verhältnismäßigkeit reaktiviert werden soll«, erklärte Platow im jW-Gespräch. Anders als früher kämpften heute auch die öffentlichen Arbeitgeber mit härteren Bandagen.

Wolfgang Däubler führt die juristischen Konflikte um das Streikrecht vor allem auf die Zunahme von Arbeitskämpfen zurück. »Die Streikbereitschaft ist deutlich gewachsen – die Leute wehren sich wieder mehr. Und deshalb häufen sich auch die Versuche der Arbeitgeber, Streiks zu verhindern«, sagte der renommierte Arbeitsrechtler gegenüber jW. »Die Bahn hat das mit der GDL vorexerziert, und jetzt versucht das auch der Senat von Berlin – trotz seiner politischen Zusammensetzung.« Einschüchtern lassen sich die Gewerkschafter hiervon aber offenbar nicht. Die ver.di-Tarifkommission beschloß am Dienstag mittag, den Ausstand in der Nacht zu heute auf den Busverkehr auszuweiten.