Bremer Linke: Die politische Diskussion hat endlich begonnen

Bericht vom fortgesetzten 2. Landesparteitag der Bremer LINKEN


 

Zum fortgesetzten 2. Landesparteitag der Partei „DIE LINKE“ in Bremen sind nur 40 von 76 gewählten Delegierten erschienen, um im Auftrag der knapp 400 Mitglieder des Landesverbands zum ersten Mal seit der Parteigründung über politische Anträge zu beraten.

von Heino Berg und Benjamin Giffhorn

Diese Tagung war notwendig, weil auch der 2. Landesparteitag am 24.2. mit hauchdünner Mehrheit sämtliche inhaltlichen Anträge zugunsten von Gremienwahlen vertagt hatte. Fast die Hälfte der Delegierten blieben zuhause und reagierten so auf die systematische Entpolitisierung der Partei durch ihren Landesvorstand, der seit der Parteigründung jeder inhaltlichen Debatte ausgewichen ist. Wenn sich selbst gewählte Parteitagsdelegierte nicht mehr an der politischen Willensbildung beteiligen, so ist dies ein Alarmsignal für die Zukunft der neuen Partei. Die Mitglieder – und sogar ihre Delegierten – wurden in Zuschauer dessen verwandelt, was der Landesvorstand und die Fraktion mit politischer Arbeit verwechselt haben.

Leitantrag

Der vom Landesvorstand einstimmig präsentierte Leitantrag wurde nicht nur von der linken Opposition als Ansammlung von Allgemeinplätzen kritisiert: Sogar der Landessprecher Troost, der ihn auf dem 1. Landesparteitag im Oktober 07 als Alternative zum Entwurf von SAV und AKL angekündigt hatte, distanzierte sich nun davon. Das Bündel von Zusatzanträgen, mit denen wir die Bremer LINKE auf eine klare Oppositionspolitik gegenüber dem rotgrünen Senat, auf antikapitalistische Perspektiven wie die Enteignung der Schlüsselindustrien sowie auf gemeinsame außerparlamentarische Aktionen gegen seinen Haushalt am 9.4. festlegen wollten, wurde dennoch mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten abgelehnt. Obwohl inzwischen sogar der Gesamtpersonalrat in Bremen, die GEW, der AStA und eine Reihe von sozialen Initiativen zu Aktionen am 9.4. aufruft, konnte sich der Parteitag immer noch nicht zu außerparlamentarischen Initiativen gegen den rotgrünen Senat entschließen.

Initiativanträge zu Wegner und zum Tarifkampf im Öffentlichen Dienst

Sogar ein von SAV- und anderen Linkspartei-Mitgliedern aus Bremerhaven eingebrachter Initiativantrag für die Unterstützung des Tarifkampfs im Öffentlichen Dienst und für eine Solidaritätsveranstaltung mit KollegInnen der Krankenhäuser, des Einzelhandels und der GDL wurde von Axel Troost und einer knappen Delegiertenmehrheit abgelehnt. Die LINKE solle abwarten, was bei den Verhandlungen mit der Arbeitergeberseite herauskomme. Es sei unzulässig, sich in Diskussionen innerhalb der Gewerkschaften einzumischen…

Ein weiterer, von 35 Mitgliedern der Bremer LINKEN und der Linksjugend["solid] unterstützter Initiativantrag, der sich von den stalinistischen Positionen C. Wegners distanzierte, aber gleichzeitig an antikapitalistischen Perspektiven und an der Zusammenarbeit mit parteiunabhängigen Linken festhielt, wurde mit 22 zu 19 Stimmen abgelehnt, wobei dafür eine inhaltliche Debatte über das Verhältnis der Partei zur DDR und ihren Unterdrückungsapparaten mit ähnlich knapper Mehrheit verhindert werden musste. Dieser Antrag, keine Diskussion darüber zuzulassen, wurde übrigens von einem Vertreter der AKL gestellt…

Verhältnis von Partei und Fraktion

Nur in der Debatte über zwei Anträge, welche die Bürgerschaftsfraktion auf die Umsetzung von Parteitagsbeschlüssen und die Einhaltung von Wahlversprechen verpflichten sollten, gab es breite Mehrheiten in der Partei, nachdem sich die Vertreter der (SAV)-Opposition mit kritischen Mitgliedern des Landesvorstands auf eine Kombination ihrer Anträge verständigen konnten.

Diese Mehrheiten für die Respektierung von Parteitagsbeschlüssen durch die Fraktion brachen jedoch wieder auseinander, als es um die Beurteilung von früheren Satzungsverstößen des von A. Troost geführten Landesvorstands ging, der sich über ausdrückliche Beschlüsse des ersten Landesparteitags zur Förderung der ungehinderten Kommunikation unter Linken mit Hilfe des früheren WASG-Diskussionsforums hinweg gesetzt hatte. Ein Antrag, der diese Beschlüsse des Landesvorstands zumindest vorläufig wieder aufheben sollte, wurde bei Stimmengleichheit abgelehnt.

Der Parteitag hat schließlich mit großer Mehrheit einen Antrag angenommen, der die Einmischung Bodo Ramelows in die Personalentscheidungen der Fraktion bezüglich der „Geschäftsführeraffäre“ als kontraproduktiv rügte. Diese relativ unpolitische Kritik an der Parteiführung war der einzige Antrag, über den die Grünen-freundliche „taz“ später berichtet hatte.

Innerparteiliche Opposition

Der Fortsetzungsparteitag, bei dem zum ersten Mal seit der Gründung der Bremer LINKEN eine politische Antragsdebatte und damit die Diskussion der Delegierten über inhaltliche Aufträge der Delegierten an die Mandatsträger in Landesvorstand und Fraktion stattfinden konnte, offenbarte noch einmal, wie schwierig es ist, die in der Bremer WASG selbstverständliche Auseinandersetzung über politische Inhalte (oder gar über außerparlamentarische Aktionen) auch in der neuen Partei durchzusetzen. Trotzdem waren Fortschritte unverkennbar, wie es die im Parteitagsverlauf immer knapperen Mehrheitsverhältnisse beweisen. Die Bremer LINKE, die in den letzten Monaten eher durch unpolitische Querelen in der Partei- und Fraktionsführung als durch öffentliche Aktionen für die Interessen der Bevölkerung auf sich aufmerksam machte, ist immer noch weit davon entfernt, das von den Wählern in sie gesetzte Vertrauen durch eine Oppositionspolitik zu rechtfertigen, die sich nicht nur in parlamentarischen Anträgen und Anfragen erschöpft, sondern auch zu Aktionsbündnissen mit außerparlamentarischen Kräften bereit ist. Das Bekenntnis zur Verbindung von Parlamentsarbeit mit der außerparlamentarischen Mobilisierung gegen die neoliberale Politik der rotgrünen Landesregierung ziert zwar Wahl- und Parteiprogramme, ist aber für die Partei- und Fraktionsführung bisher in der politischen Praxis ein Fremdwort geblieben.

Unsere Aktionsvorschläge konnten zwar manchmal – wie bei Lokführerstreik oder bei einer Veranstaltung gegen Krankenhaushausprivatisierungen – durchgesetzt werden, aber selbst dann nur mit monatelangen Verzögerungen. Diese Schwerfälligkeit und der zähe, unpolitische Widerstand des Parteiapparates, der neue Mitglieder und Aktivisten systematisch von der Mitarbeit abschreckt und entmutigt, ist noch nicht überwunden, was besonders der Parteitagsbeschluss gegen die Solidaritätsaktionen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst unterstreicht.

Trotzdem deuten sich Veränderungen an, die zum Teil von außen durch die bisherigen Warnstreiks der Beschäftigten und die Aktionsbeschlüsse im Gesamtpersonalrat gegen den Haushalt, zum Teil aber auch durch die innerparteiliche Opposition in zwei Kreisverbänden sowie in der Linksjugend["solid] erzwungen wurden. Sie spiegeln sich noch nicht in Parteitagsmehrheiten, weil die Delegierten der neuen Partei ohne jede inhaltliche Diskussion gewählt wurden, machen sich aber immer deutlicher bemerkbar. Entscheidend für die weitere Entwicklung der Bremer LINKEN wird es sein, dass die kritischen Gewerkschafter und Mitglieder von sozialen Initiativen, die die Partei zur Zeit noch mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung von außen beobachten, selbst an die Partei wenden und für ihre Forderungen zu nutzen versuchen. Dafür muss die innerparteiliche Opposition auch weiterhin politische Angebote und Vorschläge machen.

Initiativen gegen rotgrünen Haushalt

Schon einen Tag nach der knappen Bestätigung der offiziellen Parteilinie durch die Restdelegierten wurde sie durchbrochen. Bei einem Bündnistreffen für Aktionen gegen den Senatshaushalt, an dem auch die Bürgerschaftsabgeordneten Erlanson und Beilken teilnahmen, wurde von den 25 TeilnehmerInnen der unten dokumentierte Aufruf zur Unterstützung der Proteste des Gesamtpersonalrats gegen den Haushalt beschlossen. Auch wenn es für eine massenhafte Mobilisierung des Widerstands gegen den Senat wenige Tage vor der letzten Haushaltslesung wohl zu spät ist, bietet dieser Aufruf zu einem Oppositionsbündnis zumindest die Chance für eine Bündelung der antineoliberalen Kräfte in Bremen und Bremerhaven.

Dokumentiert:

Ein lebenswertes Bremen braucht mehr Geld – Nein zum rot-grünen Kürzungshaushalt!

Aufruf zu Protesten gegen den Haushaltsentwurf der Bremischen Landesregierung

Nach 12 Jahren Großer Koalition erwarten die Beschäftigten und die sozialen Initiativen einen Politikwechsel im Land Bremen. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung hat die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung in den Stadtteilen, die Verbesserung der Stellung der Beschäftigten und eine zukunftsorientierte Bildungspolitik versprochen. Der Entwurf für den Haushalt 2008/2009, der am 8.-10. April beschlossen werden soll, schreibt jedoch in weiten Teilen die Haushaltspolitik der Großen Koalition fort:

• Der Personalabbau im öffentlichen Dienst geht weiter

• Die Mittel für Beschäftigungspolitik werden reduziert

• Die Kürzungspolitik im Schul- und Hochschulbereich wird fortgesetzt

• Zwangsumzüge und Ein-Euro-Jobs werden nicht abgeschafft

Armutsbekämpfung und Überwindung der sozialen Spaltung sowie aufgabengerechte Personalausstattung und Bezahlung im öffentlichen Dienst gehören zusammen!

Die durch die Agenda 2010 und Hartz IV hervorgerufene Verarmung der Menschen ganzer Stadtteile wird durch den vorliegenden Haushalt verfestigt. Soziale Dienste, Ämter, Kitas, Schulen und Polizei sind unterfinanziert und überlastet. Weiterhin werden die öffentlich Beschäftigten und die benachteiligten Stadtteile zur Haushaltskonsolidierung herangezogen. Durch die Verschiebung der Besoldungsanpassung werden den Beamten 20 Mio. Euro vorenthalten. Die Kürzungen bei WiN werden nur scheinbar zurückgenommen, in Wahrheit werden andere Stadtteilmittel stattdessen gekürzt.

Diese Politik wird den Anforderungen nicht gerecht. Wir fordern vom rot-grünen Senat einen Bruch mit der Kürzungspolitik der Großen Koalition:

• Keine weiteren Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst!

• Mehr Landesmittel für armutsfeste öffentliche Beschäftigung, weg mit den 1-Euro-Jobs!

• Rücknahme der Kürzungen bei Hochschulen (HGP V) und im gesamten Bildungsbereich!

• Angleichung der Beamtenbezüge an die Gehaltserhöhung der Angestellten zum 1.1.2008!

• Übernahme der tatsächlichen Miet- und Heizkosten der Hartz-IV-Haushalte, keine Zwangsumzüge!

• Ausreichende Finanzierung von sozialen und kulturellen Initiativen und Einrichtungen!

• Entschlossene Schritte zur Bekämpfung von Armut und Perspektivlosigkeit in den sozial benachteiligten Stadtteilen!

Bremen braucht endlich eine zukunfts- und beschäftigungsorientierte Politik! Im Gegensatz zu den Reichen und Investoren, die sich über ein Jahrzehnt sprudelnder Subventionen und Gewinne freuen durfte, wurde an den Beschäftigten und Arbeitslosen, RentnerInnen und MigrantInnen, sozialen und kulturellen Initiativen, Kindern und Jugendlichen, Schulen und Hochschulen systematisch gespart.

Es wird Zeit, dieses Verhältnis umzukehren – bei uns ist nichts mehr zu holen!

9.4.2008 9.30 Uhr vor der Bürgerschaft!

Wir unterstützen die dort gleichzeitig stattfindenden Aktionen des Gesamtpersonalrats! Und wir laden ein zu einem Folgetreffen am 14.4., 19.00 Uhr, im Paradox, Bernhardstr. 12

viSdP: Wilfried Schartenberg, Donaustr. 17, 28199 Bremen

Erst-Unterzeichnende:

Erst-Unterzeichnende: Traudel Kassel (Sozialplenum), Jost Beilken (MdBB DIE LINKE), Peter Erlandson (MdBB DIE LINKE), Inga Nitz (MdBB DIE LINKE), Silke Lieder (Solidarische Hilfe), Ekkehard Lentz (Bremer Friedensforum), Abidin Bozdag, Santiago Bekya (AK Nord-Süd), Jürgen Willner (AK-Erwerbslose IG-Metall Bremen),, Christoph Spehr (Fraktionsmitarbeiter DIE LINKE), Landesvorstand DIE LINKE Bremen, Rudolf Bauer (Prof. der Uni Bremen im Ruhestand),Angela Wilke, Renate Beck (Verdi –Erwerbslosenausschuss, Jan Restat, Benjamin Giffhorn (Uni-Proteste), Anke Jungclaus, Heino Berg, Henk Dijukstra (Montagsdemo), Wilfried Schartenberg, Heidemarie Behrens,Jörn Hermening, Hartmut Stinton, Axel Strausdat, Henning Tegeler, Conny Barth,

Außerdem hat die Linksjugend["solid] Bremen heute beschlossen, den Aufruf zu unterstützen

Weitere Unterschriften:

Name Vorname Organisation Ort Strasse Unterschrift