Alles altes Eisen? Die Bahn soll zu Dumpingpreisen an private Investoren gehen

Für den Ausverkauf der Bahn entwickelte deren Management eine kreative Buchführung, übersah aber, dass der Wert der Bahn bereits regelmäßig berechnet wird.

von Winfried Wolf


 

So konnte man es im Handelsblatt lesen: „Eisern will der Bahn-Chef vor allem beim Streckennetz bleiben. Dieses könne nicht beim Bund bleiben. Höchstens könne man dem Bund formal eine Mehrheit am Kapital der Fahrweg AG einräumen.“ Das wurde am 4. Oktober 1993 geschrieben. Der damalige Bahn-Chef hieß Heinz Dürr.

Im Focus war zu lesen: „Das Mega-Milliarden-Ding. Das 41.000 Kilometer lange Schienennetz ist als Immobilie pures Gold. […] Selbst unansehnliche Bahnschneisen, die brutal unsere Städte zerschneiden, könnten finanziell wirkungsvoll genutzt […] werden. Geschickt ließen sich ganze Stränge in Gebäude verpacken, so dass sie aus dem Blickfeld verschwinden – und noch als Immobilie fette Zinsen abwerfen.“ Das wurde in der Focus-Ausgabe 43 des Jahres 1993 geschrieben.

Bei der Bahnreform 1993/94, die von ihren Betreibern als Vorstufe einer Bahn-Privatisierung gesehen wurde, und bei der aktuellen materiellen Privatisierung der Deutschen Bahn AG ging es immer vor allem um den gewaltigen Immobilienschatz, der mit der Bahn verbunden ist. Entsprechend große Mühe geben sich diejenigen, die den Ausverkauf der Bahn betreiben, um den Wert dieses Vermögens herunterzuspielen.

Wert der Bahn

Mehr als ein Jahr lang wurde erbittert darüber debattiert, wieviel die Bahn denn wert sei. Ursprüngliche Aussagen unter anderem im Gutachten von Booz Allen Hamilton mit dem Titel „PRIMON – Privatisierung mit und ohne Netz“ vom Februar 2006 lauteten, es gehe um Vermögenswerte, die zwischen 14,2 und 23,3 Milliarden Euro liegen. Dies wurde von kompetenter Seite, so von Berlins Finanzsenator, zurückgewiesen. Thilo Sarrazin schätzte den Wert der Deutschen Bahn AG auf mehr als 100 Milliarden Euro.

Bisher wurde dabei übersehen, dass der Wert der Bahn bereits regelmäßig berechnet wird. Jedes Jahr erscheint die Statistik „Verkehr in Zahlen“. Sie wird vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwickelung herausgegeben und enthält in ihrer neuesten Ausgabe für die Jahre 2006/2007 ein Vorwort des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, in dem sich dieser zu „Ökologie, Nachhaltigkeit und Sicherheit“ als „Kern der Verkehrspolitik“ bekennt. In dieser Statistik finden sich auf den Seiten 38 und 39 detaillierte Berechnungen zum „Bruttoanlagevermögen“ der Verkehrssektoren „zu Preisen von 2000“, also bei Ausschaltung der Inflation. Diese Berechnungen erfolgten rückwirkend bis in die fünfziger Jahre, die aktuelle Ausgabe enthält die Zahlen für den Zeitraum 1980 bis 2005.

Brutto und netto

Danach hatte die Deutsche Bahn AG bei ihrer Gründung 1994 ein Bruttoanlagevermögen im Wert von 164,8 Milliarden Euro, wobei der Verkehrsweg damals auf 103,5 Milliarden Euro taxiert wurde. Im Jahr 2005 lag das Bruttoanlagevermögen der Deutschen Bahn AG bei 181,4 Milliarden Euro und der Wert des Verkehrswegs bei 126 Milliarden Euro. Das Bruttoanlagevermögen nennt Wiederbeschaffungswerte, was aus Sicht des Eigentümers die entscheidende Kategorie darstellt. Die Schrift „Verkehr in Zahlen“ nennt auch die Werte des „Nettoanlagevermögens“, die den „Zeitwert der zeitlich verschieden installierten Verkehrsanlagen und Verkehrsmittel auf einheitlicher Preisbasis“ wiedergibt. Das Nettoanlagevermögen der Bahn wird dabei für das Jahr 2005 mit 116,8 Milliarden Euro wiedergegeben, wobei als Teil dieses Gesamtwerts das Nettoanlagevermögen des Verkehrswegs mit 86,3 Milliarden Euro beziffert wird. Im Übrigen wird das Nettoanlagevermögen aller privaten Eisenbahnen („NE-Bahnen; nichtbundeseigene Eisenbahnen“) nur bei 4,9 Milliarden Euro (brutto: 7,5 Milliarden Euro) gesehen, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass der eigentliche Wert der Bahn im Verkehrsweg – in der Infrastruktur – steckt. Das Schienennetz und die Bahnhöfe sind zu 99 Prozent Eigentum der Deutschen Bahn AG, auch wenn der Anteil der Privaten im Bahnverkehr bei rund fünf Prozent liegt.

Bilanzwert

In der Anhörung des Verkehrsausschusses des Bundestags vom 10. Mai 2006 hat unter anderem der Gutachter Professor Karl-Dieter Bodack auf zwei Vorgänge verwiesen, wie die Bahn den Wert des Unternehmens künstlich wesentlich niedriger bilanziert: Erstens wurde bei der Gründung der Deutschen Bahn AG nicht, wie es korrekt gewesen wäre, der addierte Bilanzwert von Bundesbahn und Reichsbahn zugrunde gelegt. Statt dessen wurde dieser Wert um 43 Milliarden Euro reduziert. Zweitens wurden seit 1994 die jährlichen Zuschüsse des Bundes für die Infrastruktur und die Investitionen in die Neubaustrecken in einer addierten Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro wertmäßig nicht bilanziert. Diese Gelder seien „ja geschenkt“, so Hartmut Mehdorn. Als Effekt dieser Operationen nimmt die Deutsche Bahn AG keine Abschreibungen auf Anlagepositionen in Höhe von rund 100 Milliarden Euro vor, das heißt, es entstehen nicht die entsprechenden Kosten. Gleichzeitig bezieht sie ihren auf diese Weise künstlich aufgeblähten Gewinn auf eine viel zu geringe Bilanzsumme, was wiederum zu einer höheren Kapitalrendite führt.

Interessant ist nun, wie „Verkehr in Zahlen“ hier vorgeht. Nach dieser Statistik hatten Bundesbahn und Reichsbahn Ende 1993 ein Bruttoanlagevermögen im Wert von 164 Milliarden Euro. Ende 1994 hatte die Deutsche Bahn AG ein Bruttoanlagevermögen in Höhe von 164,8 Milliarden Euro. Die Abwertung unterblieb also. In den folgenden Jahren bis 2005 stieg das Bruttoanlagevermögen kontinuierlich an, wobei der Zuwachs auch die Investitionen enthält, die durch Bundesmittel ermöglicht wurden. So heißt es in der Erläuterung dieser Schrift auf Seite 21: „Das Bruttoanlagevermögen wird […] unter Annahme spezifischer Nutzungszeiten für die einzelnen Investitionsaggregate […] als gewichtete Summe der kumulierten Investitionsjahrgänge […] errechnet.“ Auch hier finden sich die Tricks, mit denen das Bahnmanagement kreative Buchführung und einen Ausverkauf unter Wert betreibt, nicht wieder.


Winfried Wolf ist marxistischer Ökonom und Verkehrsexperte. Noch 2007 will er gemeinsam mit anderen die erste Ausgabe der neuen Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie lunapark21 herausbringen. Winfried Wolf ist aktiv im Bündnis Bahn für Alle.

Zum Auftakt der Sozialismus-Tage 2007 in Berlin wird Winfried Wolf einen Vortrag über die Hintergründe und Konsequenzen der Bahn-Privatisierung halten. Im Anschluss wird der Film „Bahn unterm Hammer“ von Leslie Franke und Herdolor Lorenz gezeigt: Freitag, den 28. September um 20 Uhr.